Afghanistan: Staatschef Karsais zwielichtiger Bruder getötet

Afghanistan: Staatschef Karsais zwielichtiger Bruder getötet
Ahmad Wali Karsai gehörte zu den mächtigsten Politikern des Landes. Auch die USA waren bei ihrem Einsatz gegen die Taliban im Süden auf ihn angewiesen - trotz heftiger Vorwürfe, die von Korruption bis Drogenhandel reichten.
12.07.2011
Von Stefan Mentschel

Das Ende muss für Ahmad Wali Karsai plötzlich und unerwartet gekommen sein. In seinem Privathaus im südafghanischen Kandahar zog am Dienstag einer seiner Leibwächter unvermittelt die Waffe und gab mehrere Schüsse auf ihn ab. Eiligst wurde der jüngere Bruder von Staatspräsident Hamid Karsai von seinen Getreuen in ein Krankenhaus gebracht. Doch dort konnten die Ärzte nur noch den Tod des 50-Jährigen feststellen, der zu den einflussreichsten und schillerndsten Politikern des Landes gehörte.

Es wurden viele abenteuerliche Geschichten über Ahmad Wali Karsai erzählt. Meist ging es darin um Korruption, Vetternwirtschaft, Drogen und Gewalt. So soll er sich als Chef des einflussreichen Provinzrates von Kandahar an vielen Bauprojekten in der Region bereichert haben. Zudem berichtete Mitte 2008 das Magazin "Stern", britische Spezialeinheiten hätten in einem seiner Gehöfte tonnenweise Rohopium gefunden, den Grundstoff für Heroin. Für viele war das damals der Beweis, dass Karsai ganz dick im Drogengeschäft mitmischt.

Geld von der CIA

Doch wie so oft hielt sein mächtiger Bruder in Kabul schützend die Hand über ihn. Die Verwicklung in den Drogenhandel wurde bestritten, die Sache nicht weiter verfolgt. Die Vorwürfe allerdings hielten sich hartnäckig - auch im Ausland. In einer vertraulichen US-Depesche aus Afghanistan, die vergangenes Jahr von der Internetplattform Wikileaks veröffentlicht wurde, soll Ahmad Wali Karsai US-Diplomaten angesichts der massiven Anschuldigungen sogar angeboten haben, sich an einen Lügendetektor anschließen zu lassen, um seine Unschuld zu beweisen.

Doch Washington waren die Hände gebunden. Militär und Regierung brauchten den Strippenzieher im Süden. Wie ein US-Beamter der BBC sagte, war der Paschtune trotz aller Kritik jemand, mit dem die USA zusammenarbeiten konnten. Ihm sei es gelungen, die Lage in Kandahar weitgehend unter Kontrolle zu behalten. Auch in den US-Depeschen tauchte ein Hinweis auf den bulligen Politiker auf. Darin heißt es: "Es gibt keine andere Möglichkeit, als mit ihm kooperieren, obwohl er als korrupt gilt und vermutlich auch ein Drogenschmuggler ist."

Selbst vom US-Geheimdienst CIA soll Karsai jahrelang Geld erhalten haben, wie die "New York Times" im Herbst 2010 berichtete. So habe er dabei geholfen, in der Region Kandahar eine paramilitärische Einheit zusammenzustellen, die unter CIA-Regie operiere. Auch soll er den US-Kräften Zugang zu verschiedenen Immobilien verschafft haben. "Er ist unser Vermieter", wurde seinerzeit ein US-Funktionär zitiert.

Hauptfeind der Taliban

Die Nähe zu den USA machte ihn zum Hauptfeind der Taliban. Immer wieder gab es Mordversuche. Ende 2008 sprengte sich in Kandahar ein Selbstmordattentäter vor einem Regierungsgebäude, in dessen Räumen der Chef des Rates gerade eine Versammlung leitete, in die Luft. Karsai kam mit dem Schrecken davon, doch sechs Menschen starben. Wenige Monate später überlebte er einen Taliban-Angriff auf seinen Fahrzeugkonvoi.

Am Dienstag gelang es ihm nicht mehr, seinen Gegnern zu entkommen. Taliban-Sprecher Kari Jussif Ahmadi sagte, der Täter habe im Auftrag der Aufständischen gehandelt. In den vergangenen Wochen hatten diese immer wieder hochrangige Vertreter von Sicherheitsapparat und Regierung angegriffen. So starb im April der Polizeichef von Kandahar bei einem Anschlag. Der deutsche Afghanistan-Experte Thomas Ruttig sprach gegenüber dpa unlängst von einer neuen "Frühjahrsoffensive der Taliban", der nun auch Ahmad Wali Karsai zum Opfer fiel.

Staatschef Karsai zeigte sich am Dienstag zutiefst erschüttert vom Tod seines Bruders. "So ist das Leben des afghanischen Volkes", sagte er in Kabul mit Tränen in den Augen. "Jeder von uns leidet, und wir hoffen, dieses Leid (...) beenden zu können."

dpa