Ein Land, eine Kirche: 20 Jahre Wiedervereinigung

Ein Land, eine Kirche: 20 Jahre Wiedervereinigung
20 Jahre nach der Wiedervereinigung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist das kirchliche Zusammenwachsen in Ost- und Westdeutschland offensichtlich selbstverständlich geworden. Feierstunden oder andere protokollarische Zeremonien sind nicht geplant. Am 27. Juni 1991 trat die rechtliche Einheit der evangelischen Kirchen in Ost und West wieder in Kraft.
27.06.2011
Von Rainer Clos

Die Zeit der organisatorischen Trennung des deutschen Protestantismus war damit vorbei. In Coburg fand der Vereinigungsprozess der evangelischen Kirche seinen unspektakulären Abschluss. Einen Tag später, am 28. Juni 1991, kam erstmals wieder eine gesamtdeutsche Synode zusammen, der Kirchenvertreter aus allen 24 evangelischen Landeskirchen angehörten. Im Februar 1961 gab es die letzte gemeinsame Synode der deutschen Protestanten, nach dem Mauerbau im August konnten die Kirchenparlamentarier nur noch getrennt tagen.

"Wir haben gut zueinander gefunden, und ein Graben zwischen Ost und West ist auch nicht zu spüren gewesen", bilanzierte der damalige Präses Jürgen Schmude die Beratungen des neuen gesamtdeutschen EKD-Kirchenparlamentes, dem 120 west- und 40 ostdeutsche Protestanten angehörten. Kontroversen über das kirchliche Zusammenwachsen und den künftigen Kurs gab es in der vereinten Kirchensynode in Coburg nicht, der Umgang war von Fairness bestimmt.

Gemeinschaft blieb durch Partnerschaften lebendig

Auch während der institutionellen Trennung von DDR-Kirchenbund und EKD dauerte das Zusammengehörigkeitsgefühl der evangelischen Christen fort. Die 24 evangelischen Landeskirchen in Deutschland Ost und West hatten ein enges Netz an Partnerschaften geknüpft.

Die eigentliche Weichenstellung für die kirchliche Wiedervereinigung erfolgte zwei Monate nach dem Mauerfall. Im Januar 1990 trafen sich Beauftragte der EKD und des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR in der Evangelischen Akademie Loccum. Ergebnis dieser Klausurtagung war die einstimmig verabschiedete Loccumer Erklärung, in der festgehalten wird: "Die besondere Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland ist trotz der Spaltung des Landes und der organisatorischen Trennung der Kirche lebendig geblieben." In diesem Dokument wird als gemeinsames Ziel die kirchliche Einheit formuliert und die staatliche Einigung Deutschland bejaht.

Aus Sicht des Ostberliner Pfarrer Wolfgang Triebler verliefen die Verhandlungen von Loccum nicht in völliger Einmütigkeit: "Gegen die nationale Überfremdung der Rolle der Kirche in der Loccumer Erklärung regte sich mit der Berliner Erklärung Widerspruch. Statt Anschluss an die EKD wollten Theologen aus Ost- und West-Deutschland den kirchlichen Vereinigungsprozess nicht als Anschluss gestalten, sondern die Erfahrungen der DDR-Kirchen in eine erneuerte EKD einbringen. Die Berliner Erklärung kam freilich gegen den politischen Mainstream nicht an", schrieb Triebler in einem Beitrag für evangelisch.de. Triebler meint: "Hier hat die Kirche ihre Glaubwürdigkeit verspielt, die sie im Vorfeld der friedlichen Revolution errungen hatte. Der rasche Pakt mit den Mächtigen wurde von der Bevölkerung nicht verstanden."

Heiße Eisen: Religionsunterricht, Kirchensteuer, Militärseelsorge

Vorbereitet wurde die Vereinigung von einer "Gemeinsamen Kommission" aus zehn Vertretern der EKD und neun Mitgliedern des ostdeutschen Kirchenbundes, der seit 1969 acht evangelische Landeskirchen in der damaligen DDR vereinte. In diesem Gremium wurde die Möglichkeit, eine neue Kirchenverfassung zu erarbeiten, nicht aufgegriffen, da für die Erörterung von Verfassungsfragen keine Kraft gebunden und ein Scheitern eines solchen Bemühens nicht riskiert werden sollte.

Heiße Eisen in dem Prozess der Zusammenführung, die zunächst bis Jahresende 1993 angepeilt war, waren der Religionsunterricht, die Kirchensteuer und die Militärseelsorge. Während der Religionsunterricht und der staatlichen Kirchensteuereinzug von den östlichen Landeskirchen übernommen wurden, führte die Neuregelung der Militärseelsorge zu heftigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen. "Die Einwände der östlichen Kirchen waren aus ihrer Geschichte heraus verständlich. Militärpfarrer als Staatsbeamte erschienen ihnen als ein Restposten der früheren Allianz von Thron und Altar", fand der damalige Militärbischof Hartmut Löwe.

Gutachten: Ostkirchen waren nach 1969 Mitglied der EKD

Nach Verhandlungen mit dem Staat wurde als Übergangslösung eine Rahmenvereinbarung über die Soldatenseelsorge in den neuen Bundesländern geschlossen. Diese galt von 1996 bis Ende 2003. Seit Anfang 2004 gilt der Militärseelsorgevertrag als gemeinsamer rechtlicher Rahmen.

Hochemotionale Debatten löste auch ein Gutachten des Tübinger Staatskirchenrechtlers Martin Heckel aus, das im Sommer 1990 erschien und für Schub in dem Vereinigungsprozess sorgte. Heckel kam darin zu dem Ergebnis, dass die EKD-Mitgliedschaft der östlichen Landeskirchen auch nach 1969 fortbestand.

Der förmlichen Vereinigung am 27. Juni 1991 ging die Verabschiedung von zwei Kirchengesetzen über die nötigen Verfassungsänderungen durch die Synoden von EKD und Kirchenbund im Februar in Berlin-Spandau voraus. Der damalige EKD-Ratsvorsitzende und Berliner Bischof Martin Kruse bilanzierte bei dieser Gelegenheit: "Die Wiederherstellung der einen Evangelischen Kirche in Deutschland ist nicht das Ende des Vereinigungsprozesses, sondern eine wichtige Etappe in seinem Verlauf." 

epd/evangelisch.de