Zerstrittene EU lässt Griechenland warten

Zerstrittene EU lässt Griechenland warten
Das krisengeschüttelte Griechenland braucht dringend Geld - und die Europäer spielen mit. Die nächste Kredittranche soll im Juli ausgezahlt werden. Damit hört die Einigkeit dann aber auf. Es wird noch Wochen dauern, bis ein neues Hellas-Hilfsprogramm steht.
16.06.2011
Von Christian Böhmer

Ganz dringende Probleme werden in Brüssel gerne auf die lange Bank geschoben - ältere Diplomaten sprechen vom "Temporisieren". So ist es - so absurd es klingen mag - auch in der gefährlichen Griechenland-Krise, die erneut die Finanzstabilität des gesamten Kontinents zu erschüttern droht.

Während in Athen Ministerpräsident Giorgos Papandreou in dramatischen Stunden um sein Überleben kämpft, wird in Brüssel nach dem Eindruck von Beobachtern geschachert und getrickst wie bei Verhandlungen um Agrargelder.

Da die zerstrittenen Europäer nicht in der Lage sind, sich rasch auf ein neues Griechenlandpaket von bis zu 120 Milliarden Euro zu einigen, wird auf Zeit gespielt. Deutschland, die Niederlande und andere bestehen auf einer weitreichenden Beteiligung von privaten Gläubigern - Frankreich, die Europäische Zentralbank und viele andere Länder sind dagegen.

Nächste Woche 12 Milliarden - später mehr

Beschlüsse zu den neuen Milliardenhilfen für Athen soll es nach Worten von EU-Währungskommissar Olli Rehn nun erst Mitte Juli geben. Diplomaten zufolge steht der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Jean-Claude Juncker, hinter diesem Plan. Aber erst beim nächsten Krisentreffen der von Juncker geführten Euro-Kassenhüter in Luxemburg am Sonntag wird sich zeigen, ob es dazu einen europäischen Konsens gibt. Eine Reihe von Ländern wolle schnell Nägeln mit Köpfen machen, ist zu hören.

Der stille Kommissar Rehn, sonst kein Freund dramatischer Appelle, zog wenige Tage vor der Zusammenkunft die Reißleine. Er rief die Finanzminister offen dazu auf, ihren Streit um die Beteiligung der Banken, die bis zu 30 Milliarden Euro bringen soll, zu überwinden und sich zu einigen.

Rehn setzt darauf, dass die Euro-Kassenhüter die nächste Kredittranche von 12 Milliarden Euro aus dem bereits laufenden Hilfsprogramm am Sonntag oder Montag freigeben werden - damit wäre Griechenland zunächst bis September aus dem Schneider. "Wir werden das Szenario einer Insolvenz abwenden", lautet das Credo des Finnen.

Merkel und Sarkozy sollen Kompromiss finden

Mit einer Einigung auf die neue Kredittranche, die mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abgestimmt werden muss, scheint das Maximum des Machbaren aber zunächst erreicht. Kritiker fragen sich, wieso die Kontroverse um die Bankenbeteiligung beim neuen Griechenland-Paket sich immer weiter verschärft. Eigentlich, so findet es der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden, sind in dieser Frage nur noch "einige technische Arbeiten" zu erledigen.

Langgediente Diplomaten bemängeln, dass sich Deutschland und Frankreich bei diesem Reizthema nicht um einen Vorab-Kompromiss bemühten. "Vielleicht bringt ja der Besuch von Staatspräsident (Nicolas) Sarkozy bei Kanzlerin (Angela) Merkel etwas", sagt einer von ihnen mit Blick auf das Treffen am Freitag in Berlin.

Weiter gelte der Satz von Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac: "Wenn es eine Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich gibt, funktioniert Europa. Wenn es ihn nicht gibt, hält Europa an." Deutsch-französische Einigung oder nicht - Griechenland wird auch den EU-Gipfel am 23. und 24. Juni in Brüssel durcheinanderwirbeln.

Parlamentarier ärgern sich

Im Europaparlament wächst unterdessen die Verärgerung über das europäische Krisenmanagement in Sachen Griechenland. "Der EU-Ministerrat und die EU-Kommission sind unfähig, die notwendigen Reformen in Griechenland mit einem Wachstumspaket zu verbinden", kritisiert der hessische SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. Nötig sei ein "Marshallplan" für das Krisenland, um es wieder auf die Beine zu bekommen.

In Frankreich wird Kritik an dem Kurs Deutschlands gegenüber Krisenländern wie Griechenland, Portugal oder Irland laut. Der Banken-Volkswirt Patrick Artus schrieb in der Tageszeitung "Les Echos" (Donnerstag), die Deutschen wollten das Unmögliche: Eine Ausweitung ihres Wirtschaftsmodells auf die Eurozone. "Die Uneinheitlichkeit der Volkswirtschaften wird es aber nicht erlauben, das deutsche Modell zu kopieren - selbst in einem Zeitraum von zehn Jahren nicht", lautet sein Fazit.

 

dpa