Kreuzfahrtschiffe: Sonnendecks mit Schattenseiten

Kreuzfahrtschiffe: Sonnendecks mit Schattenseiten
Eine Kreuzfahrt mit Rock-Altmeister Udo Lindenberg, auf den Spuren des Philosophen Immanuel Kant oder einfach nur relaxen im Ferienclub auf hoher See; kostenlos mit oder am besten ganz ohne Kinder - das Angebot der marinen Tourismusindustrie ist breit, bunt und kaltschnäuzig. Doch Gewerkschafter und Umweltschützer kratzen am schillernden Image der Boombranche.
11.06.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Auf den Weltmeeren kreuzen mittlerweile 300 Traumschiffe. "Sie sind luxuriös oder sportlich, bieten Fun oder Kultur, fahren ins Eis oder in die Tropen", schwärmt der Deutsche Reiseverband (DRV). In nur zehn Jahren hat sich die Zahl der "Hochseegäste" mehr als verdreifacht und wächst weiter. 2010 buchten über 1,2 Millionen Deutsche eine Kreuzfahrt, ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Trotzdem schäumt die Branche zwischen Rostock und München nicht über, gilt ihr der Bundesbürger doch eher als Geizkragen. So gibt es bei preiswerten Anbietern einen siebentägigen Törn mit Vollpension schon mal für 100 Euro pro Tag. International fallen die Durchschnittspreise meist höher aus, und im Spitzenbereich zahlen Gäste täglich 1.000 Dollar plus X.

Kein Ende des Booms in Sicht

Wirtschaftlich ist der deutsche Markt (noch) zweitklassig. Hochseekreuzfahrten machen hierzulande nur etwa ein Prozent des gesamten Reisemarktes aus - in den USA sind es bis zu fünf Prozent. Weltweit wird die Branche in diesem Jahr einen Umsatz von fast 30 Milliarden Dollar einfahren, meldet der Branchendienst "Cruise Market Watch".

Ein Ende des maritimen Booms ist nicht in Sicht, und auch der deutsche Markt soll weiter wachsen. "Um der stetig steigenden Nachfrage entsprechen zu können, wird das Angebot weiter ausgebaut", berichtet Sebastian Ahrens vom Reiseverband. Selbst an Land: Die Häfen in Hamburg, Kiel und Rostock erweitern ihre Terminals, um noch mehr zahlungskräftige Passagiere anzulocken. Die Erfolgswelle hat auch Europas Schiffbauer erreicht. Der Preis für einen Luxusliner mit zigtausend Kabinen, Konzertsaal und einem Dutzend Restaurants beträgt rund eine halbe Milliarde Euro.

Die Mindestlöhne werden unterlaufen

"Neben Licht" sieht Karl-Heinz Biesold, Schifffahrtsexperte der Gewerkschaft Verdi, "auch viel Schatten an Bord und unter Deck". Die wenigen Gutverdiener, wie Matrosen im Maschinenraum und Offiziere auf der Kommandobrücke, sowie die vielen Niedriglöhner, wie Reinigungsfrauen in den Kajüten, Köche und Kellnerinnen, stammen fast alle aus Osteuropa und Südostasien.

Mannschaftsdienstgrade verdienen international laut Verdi nur zwischen 700 und 1.200 Dollar im Monat. Sie wohnen tief unten im Rumpf als unfreiwillige Nomaden im Dienste der amerikanischen und westeuropäischen Tourismusindustrie. Oft erst nach acht oder zehn Monaten kehren sie für einen kurzen Heimaturlaub zu ihren Familien zurück, die sie mit ihrem Auslandsjob über Wasser halten. Zwar gibt es einen weltweiten Tarifvertrag, der Mindeststandards bei Löhnen und Unterkünften festlegt, doch vor allem in der Karibik haben längst nicht alle Kreuzfahrer den Tarifvertrag unterschrieben und mangels Kontrollen halten sich noch weniger daran.

Katholische Filipinos besorgen den Service an Bord

Reedereien verweisen auf den globalisierten Preisdruck und auf die Discounter-Mentalität vieler Verbraucher: Eine Passage für 100 Euro pro Tag lasse sich nun einmal nicht mit hohen Tariflöhnen "darstellen". Aber gemessen an den Einkommen in Malaysia, der Ukraine oder den Philippinen - jeder vierte Seefahrer weltweit stammt aus dem katholischen Land - sind die Traumschiffe trotzdem attraktive Arbeit"nehmer". Neue Rechte für Matrosen und Catering-Mitarbeiterinnen weltweit soll das "Maritime Arbeitsübereinkommen" (MLC) bringen, das Regierungen, Gewerkschaften und Reedereien erarbeitet haben. Bis Ende 2012 müssen 30 Staaten ratifizieren, damit der globale Mindestkodex offiziell in Kraft tritt - und fortan von allen Hafenbehörden kontrolliert werden muss.

Deutsche Reeder zahlen überdurchschnittlich. Gewerkschaftlich aktive Seeleute kritisieren jedoch, dass selbst Premium-Anbieter wie Aida, TUI und Hapag-Lloyd fremde Flaggen hissen, um Gebühren und Sozialkosten zu drücken. Allein ein deutsches Traumschiff fährt noch unter Schwarz-Rot-Gold, die aus der gleichnamigen Fernsehserie bekannte "MS Deutschland" der Reederei Deilmann.

Schmutziger Diesel

Schatten werfen obendrein die qualmenden Schornsteine auf die Luxusliner. "Die Kreuzfahrtunternehmen müssen schleunigst ihren Kurs ändern, indem sie auf die Verbrennung des Sondermülls Schweröl verzichten und auf den vergleichsweise sauberen Schiffsdiesel umsteigen", fordert Lucienne Damm, Leiterin der NABU-Kampagne "Mir stinkt’s! Kreuzfahrtschiffe sauber machen!".

Die von einer wachsenden Kreuzfahrtflotte ausgestoßenen Ruß-, Schwefel- und Stickoxide gefährden Küstenanwohner immer stärker. Technisch könnten bessere Kraftstoffe, Landstrom und Filter schnell Abhilfe schaffen. Zur Umsetzung bedarf es aber weiterer politischer Vorgaben. So müssen die Kreuzfahrer seit Januar in den EU-Häfen vergleichsweise schwefelarmen Treibstoff einsetzen. Doch der hat immer noch einen 100-fach höheren Schwefelanteil als LKW-Diesel.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.