"Ich möchte meine Jacke ausziehen können"

"Ich möchte meine Jacke ausziehen können"
Was bedeutet Qualität im Gottesdienst? Workshop-Teilnehmer diskutierten am Freitag auf dem Kirchentag, wie Gottesdienste besser werden können.

"Und jetzt die Frau da draußen", Folkert Fendler deutet aus dem Fenster. Im Hof vor dem Gruppenraum hat sich eine Frau zu Wort gemeldet. Das Fensterbrett reicht ihr bis zur Nasenspitze, aber sie ruft trotzdem in den Raum, wie sie sich einen Gottesdienst vorstellt. Der Workshop "Was bedeutet Qualität im Gottesdienst?" ist so voll, dass sich Teilnehmer vor den geöffneten Fenstern drängen.

Gute Rahmenbedingungen für die Gottesbegegnung

Folkert Fendler und Christian Binder kommen aus Hildesheim vom Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst. Diese Einrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) arbeitet daran, evangelische Gottesdienste attraktiver zu machen. Eine Gottesbegegnung könne man auch mit den besten Methoden nicht herbeiführen, stellt Fendler gleich zu Anfang klar. Aber jede Gemeinde könne gute Rahmenbedingungen schaffen. "Kein Bauer kann Weizen herstellen, aber er pflügt und sät", sagte er.

Wie schwierig es ist, Qualität zu messen oder Strategien für bessere Gottesdienste zu entwickeln, merken die Teilnehmer schnell. Die einen wünschen sich einen festen Gottesdienstablauf. Die anderen wollen überrascht werden. Nur in wenigen Punkten sind sich alle einig. Der schönste Gottesdienst nützt nichts, wenn die Kirche kalt ist. "Ich möchte meine Jacke ausziehen können", sagt ein Teilnehmer.

Den Gottesdienst zum Erlebnis machen

Fendler und Binder unterscheiden drei Kategorien, nach denen sich die Wünsche der Gottesdienstbesucher messen lassen. "Grundanforderung" heißt alles, was als selbstverständlich vorausgesetzt wird, wie etwa die Anwesenheit des Pfarrers. Erst die "Leistungsanforderungen" sorgen dafür, dass Besucher zufrieden die Kirche verlassen. Eine tiefsinnige Predigt kann eine Leistungsanforderung sein. Im besten Fall gibt es noch "Begeisterungsfaktoren" die den Gottesdienst zum Erlebnis machen.

Möglichst alle Wünsche der Besucher zu erfüllen, führt jedoch noch nicht zu besseren Gottesdiensten. Anhand von Milieustudien zeigen die beiden Theologen, wie weit die Anforderungen einzelner Bevölkerungsgruppen auseinander gehen. "Die Geselligen tauschen sich gern aus, für die Hochkulturellen ist das Miteinander Reden furchtbar" sagt Christian Binder. Keine Gemeinde könne deshalb allen unterschiedlichen Milieuerwartungen gerecht werden. "Gottesdienst ist mehr als die Summe der Wünsche und Bedürfnisse der Menschen", sagt er "Gott will möglicherweise mehr geben, als die Menschen erwarten." Es sei daher sinnvoll, sich auf eine mögliche Wirkung des Gottesdienstes zu konzentrieren, wie etwa Sinnstiftung oder Trost.

kirchentag.de