"Wir wissen, wovon wir reden": Amnesty feiert 50 Jahre

"Wir wissen, wovon wir reden": Amnesty feiert 50 Jahre
Der 50. Jahrestag der Gründung von Amnesty International ist für die Menschenrechtsorganisation Anlass zur Rückblende, aber kein Grund zum Zurücklehnen. Wenn Amnesty am Freitag in Berlin mit einem "Fest für die Menschenrechte" und der Verleihung des Menschenrechtspreises an die Anfänge im Jahr 1961 durch den britischen Rechtsanwalt Peter Benenson erinnert, werden auch Fragen nach der Zukunft gestellt.
27.05.2011
Von Lukas Philippi

"Oft habe ich den Eindruck, dass wir uns in der entgegengebrachten Anerkennung bequem eingerichtet haben", schreibt etwa der ehemalige Generalsekretär der deutschen Sektion (1990-1999), Volkmar Deile, in einem Sonderband zum Jubiläum. "Ist der Erfolg uns zu Kopf gestiegen", fragt der heute im Ruhestand lebende Pfarrer.

Bereits zum 60-jährigen Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 2008 hatte Deile kritisch angemerkt, dass trotz einer weltweit wachsenden zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsbewegung etwa der Kampf gegen die Folter vergleichsweise erfolglos geblieben sei. Zudem hätten das Verschwindenlassen politischer Gegner sowie politische Morde zugenommen.

Mit mehr als drei Millionen Mitgliedern und Förderern in über 150 Staaten ist Amnesty heute die größte Menschenrechtsorganisation weltweit: Allein in Deutschland werden etwa 114.000 Unterstützer gezählt, darunter mehr als 25.000 Mitglieder. Der Jahresetat liegt aktuell bei rund zwölf Millionen Euro in der deutschen Sektion. Der überwiegende Teil stammt aus Beiträgen, Spenden und Geldbußen.

Ein Grund für den Erfolg ist die Glaubwürdigkeit, die längst auch staatliche Stellen den Berichten der Organisation entgegenbringen. "Wir reden über Dinge, die wir wissen, und wir wissen, wovon wir reden", betont Stefan Kessler, Vorstandssprecher von Amnesty in Deutschland.

"Urgent Action" kann in Stunden Tausende aktivieren

Eine typische Aktionsform von Amnesty zum Schutz bedrohter Menschen ist die sogenannte Urgent Action: Innerhalb weniger Stunden wird dazu ein weltweites Netzwerk mit fast 80.000 Menschen aktiviert, die mit Briefen an Regierungsstellen und Behörden auf die akute Bedrohung von Menschen aufmerksam machen. Im vergangenen Jahr war dies 267 Mal der Fall. Laut Amnesty führt etwa ein Drittel dieser "Urgent Actions" zu Erfolgen in Form von Hafterleichterungen, Freilassungen oder Aufhebung von Todesurteilen.

Diesen Appellen gehen oft langwierige Recherchen vor Ort voraus. Carsten Jurgensen etwa ist in der Londoner Amnesty-Zentrale für Nahost zuständig und war mit Ausbruch der Revolution zum wiederholten Mal in Ägypten. "Wir haben die exzessive Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten dokumentiert", sagt der 47-Jährige. Zudem sprach er mit Menschen, die in Haft gefoltert wurden.

Dass dies nicht immer ungefährlich ist, bekam der Vater von zwei Söhnen vor einigen Jahren zu spüren, als er 2001 ein Wahllokal in der ägyptischen Provinz aufsuchte. Obwohl als Amnesty-Mitarbeiter ausgewiesen, wurde der studierte Islamwissenschaftler von sieben Männern in Zivil brutal zusammengeschlagen.

Eine Geschichte mit vielen Erfolgen

Ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung widmet sich Amnesty heute nicht mehr allein der Betreuung von Gefangenen: Gegen das US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba wird ebenso Öffentlichkeit hergestellt wie gegen Gewalt an Frauen, Rüstungsexporte, Landvertreibungen, Abschiebungen von Flüchtlingen, Polizeigewalt in Deutschland oder über den Völkermord in Ruanda.

Die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty, Monika Lüke, spricht zum 50. Geburtstag von einer Geschichte "mit vielen kleinen, großen und großartigen Erfolgen". Dabei verweist die Juristin unter anderem auf die Abschaffung der Todesstrafe in vielen Staaten: "Mehr als zwei Drittel aller Staaten, nämlich 139, haben die unmenschlichste aller Strafen ausgesetzt oder abgeschafft. Als wir uns 1961 gründeten, waren es erst zehn", schreibt Lüke zum Jubiläum.

Auch für die kommenden Herausforderungen setzt Lüke auf das Engagement der vielen freiwilligen Helfer: "Nur zusammen können wir die Welt verändern." Beim Berliner Festakt am Vorabend des offiziellen Jahrestages der Gründung soll auch zum sechsten Mal der Menschenrechtspreis der Organisation überreicht werden. Preisträger ist der Mexikaner Abel Barrera Hernández und das von ihm gegründete Menschenrechtszentrum "Tlachinollan".

dpa