Weniger Qualm: "Klima-Kollekte" hilft Frauen in Indien

Weniger Qualm: "Klima-Kollekte" hilft Frauen in Indien
Die Klima-Kollekte funktioniert so: Menschen in Deutschland zahlen, wenn sie eine Flugreise unternehmen, freiwillig einen CO2-Ausgleich in einen Fonds ein. Mit dem Geld werden Projekte in ärmeren Ländern finanziert, die dem Klimaschutz und den Menschen dienen: Beispielsweise Biogasanlagen in Indien.
21.05.2011
Von Ingo Lehnick

Dass sie in einer blitzsauberen Küche steht, ist für Rathnamma noch immer wie ein Wunder. Früher war die 44-jährige Inderin beim Kochen in dichten Holzqualm gehüllt und blickte auf rußgeschwärzte Wände. Doch seit 2007 kocht Rathnamma wie die meisten Frauen ihres Dorfes mit Biogas - erzeugt in einer eigenen, kleinen Anlage direkt vor dem Haus. Die Neuerung hat den Alltag der Bewohner im südindischen Gundlapalli, rund hundert Kilometer nordöstlich von Bangalore, nachhaltig verbessert. Sie trägt obendrein zum Klimaschutz bei - ein Umstand, der künftig sogar noch Geld in die Familienkasse spült.

Möglich macht dies unter anderem die "Klima-Kollekte", bei der Menschen in Deutschland zum Ausgleich für von ihnen verursachte Treibhausgase- etwa durch Flugreisen - in einen kirchlichen Fonds einzahlen. Mit dem Geld werden Zertifikate von Klimaschutzprojekten in ärmeren Ländern erworben. Ein Weg, auf dem auch die Menschen in Gundlapalli und den umliegenden Dörfern unterstützt werden, wo viele niederen Kasten oder der diskriminierten Gruppe der Dalits angehören. Um das Schicksal dieser Landbevölkerung kümmert sich seit vielen Jahren ADATS, eine indische Partnerorganisation des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn - dort ist auch die Klima-Kollekte angesiedelt.

Inderin: "Unsere Träume werden wahr"

Für das Dorf sind die von ADATS installierten einfachen Biogasanlagen ein Segen. Sie bestehen aus einem unterirdischen Faulbehälter, in dem aus dem gesammelten Tierdung das Biogas entsteht, einer Leitung und einem Gasherd mit zwei Brennstellen. "Unsere Träume werden dadurch wahr", sagt Rathnamma und entzündet stolz eine Gasflamme. Mit dem Dung von vier Kühen, so erzählt sie, betreibt ihre Familie die Anlage.

Bei Biogas denkt die 44-Jährige indes weniger an Klimaschutz als an die vielen Erleichterungen des täglichen Lebens. Früher musste sie zweimal pro Woche vier bis fünf Stunden Brennholz sammeln gehen. Die Wege wurden immer länger und die Arbeit mühsamer. Jetzt hat sie wie ihre Nachbarinnen stattdessen mehr Zeit für die Kinder. Ohne den Qualm der Holzöfen leben die Menschen zudem gesünder. Und der bei der Biogasproduktion vergorene Dung verbessert als hochwertiger Dünger den Ertrag der Felder.

Positiv ist aber auch die Umweltbilanz: Weniger Abholzung bedeutet zugleich eine geringere Bodenerosion, und ein geringerer CO2-Ausstoß verringert den Beitrag zur Erderwärmung. Über 5.000 Biogasanlagen hat ADATS in der Region bereits gebaut, weitere 18.000 sind vorfinanziert. Die Besitzer zahlen die Investitionskosten in den ersten sechs bis sieben Jahren mit ihren Einnahmen aus den Emissionszertifikaten zurück, danach erhalten sie das Geld als regelmäßige Einnahme.

Soziale Strukturen verbessern sich

Zwar profitieren von dem Projekt überwiegend die reicheren Dorfbewohner, die eigenes Vieh haben, wie ADATS-Direktor Ram Esteves einräumt. Als zweitbeste Lösung gebe es aber für die Ärmeren immerhin sparsamere Holzöfen, die den Verbrauch halbieren und obendrein weniger stark qualmen. Großen Wert legt Esteves vor allem auf den ganzheitlichen Ansatz seiner Organisation. Entwicklung und Klimaschutz müssten Hand in Hand gehen, betont der charismatische Kopf des ehrgeizigen Programms, dessen Wurzeln drei Jahrzehnte zurück reichen.

Damals herrschten in den Dörfern feudalistische Strukturen, Angehörige niedriger Kasten wurden als Arbeitssklaven gehalten und Frauen durften das Haus nicht verlassen. ADATS-Mitarbeiter gingen in die Dörfer, starteten Alphabetisierungsprogramme, weichten das Kastensystem auf, verbesserten die Stellung der Frauen und der Armen und gründeten Landarbeitergewerkschaften. In Gundlapalli liegt der Schulbesuch inzwischen mit 93 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Dutzende Jugendliche fanden Arbeit außerhalb des Dorfes, der landwirtschaftliche Ertrag wurde durch besseres Know-how verdoppelt, die Bewohner gründeten Kredit-Fonds für Projekte.

Verbessert haben sich so das Alltagsleben der Menschen und die sozialen Strukturen. Aber wie nützlich ist dieser Emissionshandel wirklich für das Klima? Kaufen sich die Industriestaaten mit derlei Geschäften nicht nur ein reines Gewissen, ohne ihren Lebensstil wirklich ändern zu wollen, wie die indische Vorzeige-Umweltkämpferin Sunita Narain argwöhnt? Einen "Ablasshandel" dürfe es nicht geben, mahnt auch die Geschäftsführerin der Klima-Kollekte, Olivia Bee vom EED: "Nur unvermeidbare Emissionen von Treibhausgasen sollen kompensiert werden." Esteves sieht den Emissionshandel ebenfalls grundsätzlich kritisch. "Aber solange er existiert, sollen die Armen davon profitieren", sagt er bestimmt. 

epd