Ein Autor und sein "christliches Trauerspiel"

Ein Autor und sein "christliches Trauerspiel"
"Es ist kein Glück, Dramatiker zu sein", sagte einmal der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und fügte hinzu: "Schon gar nicht, wenn man Erfolg hat wie der Autor des 'Stellvertreters'." Ist Rolf Hochhuth, der an diesem Freitag 80 Jahre alt wird, also ein unglücklicher Mensch? Dass er ein reizbarer Zeitgenosse ist, ist nicht nur unter Rezensenten bekannt. Und er liebt den Skandal, denn er verdankt ihm seinen internationalen Ruf.
01.04.2011
Von Claudia Schülke

"Der Stellvertreter", uraufgeführt 1963, wirft die Frage auf, ob Papst Pius XII. mit seiner Zurückhaltung gegenüber den Nazis den Holocaust mitverschuldet hat. Es war Hochhuths erstes Schauspiel und sorgt bis heute für Diskussionsstoff. Als er seinem Verlag das Drama mit dem Untertitel "Ein christliches Trauerspiel" im August 1961 anbot, lehnte die Zentrale ab: Zu provokant schienen in der Adenauer-Ära die Vorwürfe gegenüber der katholischen Kirche.

Zwei Jahre später druckte der Rowohlt Verlag das Stück dann doch, zeitgleich mit dessen Uraufführung durch den Regisseur Erwin Piscator an der Freien Volksbühne Berlin. Die Wogen schlugen hoch und spülten das Stück an den Broadway: 1964 wurde die dortige Produktion mit einem Tony Award ausgezeichnet. Kein Wunder, dass Rolf Hochhuth, der 1963 als freier Autor nach Basel übersiedelte, seither ein Skandal-Thema nach dem anderen aufrollt: Churchills Luftkrieg in "Soldaten, Nekrolog auf Genf" (1967), die Machenschaften der Pharmaindustrie in "Ärztinnen" (1980), die Diskussion um die Leihmutterschaft in "Unbefleckte Empfängnis" (1989).

Er brachte Filbinger zu Fall

Mit seiner investigativen Erzählung "Eine Liebe in Deutschland" brachte Hochhuth 1978 den baden-württembergischen Ministerpräsidenten und vormaligen NS-Richter Hans Filbinger und zu Fall. Im Jahr darauf verarbeitete er den Stoff nochmals in dem Stück "Juristen". Im Jahr 2005 sorgte Hochhuth selbst für einen Skandal, als er in der rechtsgerichteten Wochenzeitung "Junge Freiheit" lobende Worte für den Holocaust-Leugner David Irving fand. Später distanzierte er sich von seinen Äußerungen.

Im hessischen Eschwege 1931 als Sohn eines Schuhfabrikanten geboren, erlebte Hochhuth mit 14 Jahren den Einmarsch der US-Amerikaner als prägende Erfahrung. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Lehre als Buchhändler und arbeitete in Buchhandlungen und Antiquariaten in Marburg, Kassel und München. 1955 wurde er Verlagslektor beim Bertelsmann Lesering, später Cheflektor bei Rütten & Loening.

Hochhuth ist ein Selfmademan: Als Gasthörer hatte er Vorlesungen in Geschichte, Philosophie und Literatur an den Universitäten Heidelberg und München besucht. Er hatte auch viel gelesen, vor allem die Brüder Mann, Robert Musil, Jacob Burckhardt und Heinrich von Treitschke. Sein Geschichtspessimismus, der sich schon bald in eigenen Texten bemerkbar machte, geht auf Oswald Spengler zurück, den Untergangspropheten des Abendlandes.

Streit um Berliner Ensemble

Seit 1996 ist die von Hochhuth gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung Eignerin der traditionsreichen Berliner Brecht-Bühne, dem "Theater am Schiffbauerdamm". Das Land Berlin ist Pächter, lang ist die Liste der Streitereien zwischen Senat und Hochuth. Wegen Querelen mit Intendant Claus Peymann um das Vorkriegsstück "Sommer 14" hatte der Senat Hochhuth 2009 gar ausgesperrt. Mittlerweile darf der Hausherr am Bertolt-Brecht-Platz die Immobilie wieder betreten: Im vergangenen Sommer musste Hochhuth nicht mehr in die Urania ausweichen, sondern konnte sein Stück "Insel Komödie oder Lysistrate und die Nato" (1974) in Brechts Berliner Ensemble aufführen.

Hochhuths Instinkt für Effekte geht Hand in Hand mit einem hohen moralischen Anspruch. Immer wieder setzt er sich in Offenen Briefen und Essays rigoros für eine moralische Erneuerung in der Politik ein und beruft sich auf die Verantwortung des Einzelnen für dessen Taten.

Dem Dokumentartheater gab er starke Impulse. Doch seine hölzernen Bühnentexte sind überfrachtet von Archivmaterial. Seine Regieanweisungen ufern zu Prosa-Exkursen aus. Seine Theaterfiguren treten nicht als lebendige Menschen, sondern als verkörperte Thesen auf. Als "Schriftsteller mit vielen Wörtern, aber ohne Sprache" hat ihn einst der Theaterkritiker Georg Hensel bezeichnet. "Er schreibt keine Konflikte mit verteilten Rollen; er schreibt Debatten mit verteilten Argumenten".

epd