Anti-Atom-Demos: Kirchen fordern Umkehr und Ausstieg

Anti-Atom-Demos: Kirchen fordern Umkehr und Ausstieg
Zehntausende Atomkraftgegner haben am Wochenende die Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland gefordert und der Opfer der Katastrophen in Japan gedacht. Allein in Hannover gingen laut Polizeiangaben am Samstag rund 10.000 Menschen auf die Straße. Es sei Zeit für ein Nein ohne jedes Ja, sagte der evangelische Stadtsuperintendent, Hans-Martin Heinemann, auf der Kundgebung. "Diese Technologie ist nicht faszinierend und ein Ausweis der Grandiosität menschlicher Wissenschaft, sondern eine hochgefährliche Gratwanderung."

In zahlreichen weiteren Städten demonstrierten die Gegner der Atomkraft. In Hamburg folgten über 1.200 Menschen dem Aufruf von Gewerkschaften und Kirchen. Die Demonstranten protestierten vor der Geschäftsstelle des Stromkonzerns Vattenfall, der die AKW Krümmel und Brunsbüttel betreibt. In Köln kamen nach Veranstalterangaben bis zu 2.000 Aktivisten zusammen, in Göttingen waren es rund 1.000. Am Sonntag versammelten sich Atomgegner vor dem baden-württembergischen Atomkraftwerk Neckar-Westheim.

Die größte Kundgebung gab es am Rhein in Neuenburg (Baden-Württemberg) gegen das grenznahe Atomkraftwerk im französischen Fessenheim. Die Atomkraftgegner zählten "mehr als 10 000 Menschen, die meisten aus Deutschland", sagte Jean-Paul Lacote von elsässischen Naturschutzverband "Alsace Nature". Die Polizei sprach von 7500 Teilnehmern. Fessenheim ist das mit 34 Jahren älteste Atomkraftwerk in Frankreich.

In Stuttgart mischten sich viele Kernkraftgegner mit gelben Anti-Atomkraft-Fahnen und -Plakaten unter eine Demonstration gegen das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21. Die Polizei sprach von rund 18 000 Teilnehmern, die Veranstalter zählten rund 60 000 Menschen. Neben "Oben bleiben" forderten die Demonstranten eine Woche vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg auch "Abschalten" und "Abwählen". "Viele Stuttgart-21-Gegner sind auch gegen Atomkraft und haben das heute zum Ausdruck gebracht", sagte Mitorganisator Rainer Benz.

Am Montag wieder Mahnwachen

Im Wendland rund um Gorleben werden unterdessen Mahnwachen für die Betroffenen der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima vorbereitet. Auch in Hannover, seit 1983 Partnerstadt von Hiroshima, gedachten die Teilnehmer der Opfer des Erdbebens und Tsunamis und der Nuklearkatastrophe in Japan mit einer Schweigeminute. In zahlreichen Kirchen wurden Gedenkandachten und Gebete für die Menschen in dem asiatischen Land gehalten.

Atomkraftgegner haben für diesen Montagabend (18.00) zu Mahnwachen in ganz Deutschland aufgerufen. In mehr als 670 Orten sollen Bürger für einen Ausstieg aus der Kernkraft demonstrieren, teilte die Anti-Atom-Organisation "Ausgestrahlt" am Sonntag mit. Unter anderem ist wieder eine Mahnwache in Berlin geplant. Am kommenden Wochenende sollen in Berlin, Hamburg, Köln und München Großdemonstrationen stattfinden.

Im evangelischen Kirchenkreis Rotenburg bei Bremen sollen ab diesem Montag bis zum 26. April immer abends um 18 Uhr Glocken zum Gebet für die Katastrophenopfer in Japan und zur Abkehr von der Atomkraft rufen. Der 26. April ist der Jahrestag der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl vor 25 Jahren.

Käßmann: "Regierung müsste sagen: Wir sind schockiert"

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, forderte die Bundesregierung auf, ihre Kehrtwende in der Atompolitik zu erklären, um wieder glaubwürdig zu sein. "Die Regierung müsste sagen: Wir sind schockiert, wir haben das falsch eingeschätzt! Mir würde das helfen, die politische Wende zu verstehen", sagte Käßmann dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag".

Auch die deutschen Lutheraner haben angesichts der Nuklearkatastrophe in Japan den Ausstieg aus der Atomtechnik gefordert. "Atommeiler bersten, Kettenreaktionen sind nicht beherrschbar. Was wir verharmlosend 'Restrisiko' zu nennen pflegten, ist Realität geworden", sagte der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich in seiner Predigt im schleswig-holsteinischen Ratzeburg am Sonntag. Dies wecke Ängste, die zu der Forderung nach Umkehr und Ausstieg führten, sagte Ulrich, der auch Stellvertreter des Leitenden Bischofs der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist.

Die Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland rief die politisch Verantwortlichen auf, den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie zu forcieren, wie es in einem am Samstag verabschiedeten Beschluss des Kirchenparlaments hieß. Zudem müsse die Förderung erneuerbarer Energien verstärkt werden.

epd/dpa