USA, Großbritannien und Frankreich greifen Libyen an

USA, Großbritannien und Frankreich greifen Libyen an
Mit massiven Luft- und Raketenangriffen hat der internationale Militäreinsatz gegen Libyen begonnen. Die USA und Großbritannien starteten am Samstag von Kriegsschiffen und U-Booten aus Raketenangriffe auf militärische Ziele des Regimes von Machthaber Muammar al-Gaddafi. Zudem griffen französische und britische Kampfjets in die Militäraktion ein. Beschossen wurden vor allem Ziele in Küstennähe.

Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums wurden 110 Raketen vom Typ Tomahawk abgefeuert. Rund 20 militärische Anlagen seien ins Visier genommen worden. Französische Kampfflugzeuge beschossen ein Fahrzeug der libyschen Armee, wie der Generalstab in Paris mitteilte. Nach Informationen des arabischen Fernsehsenders Al-Dschasira trafen die Maschinen auch vier Panzer der Gaddafi-Truppen bei Bengasi, einer Hochburg der Aufständischen. Auch britische Kampfflugzeuge befanden sich über Libyen.

US-Präsident Barack Obama gab den Einsatzbefehl an die US-Streitkräfte für eine "begrenzte Militäroperation in Libyen". "Diese Aktion hat jetzt begonnen", sagte Obama am Samstag bei seinem Besuch in Brasilien. "Wir werden keine, ich wiederhole, keine US-Truppen am Boden einsetzen."

Ein Sprecher der libyschen Regierung sprach von einem barbarischen Akt. Der Geist der Gaddafi-Anhänger werde dadurch aber nicht geschwächt, sagte er in einer vom britischen Sender BBC übertragenen Pressekonferenz in Tripolis. Der Sprecher wiederholte seine Forderung, dass internationale Beobachter nach Libyen kommen sollten. Am Vortag war bei einer entsprechenden Einladung auch ausdrücklich Deutschland ins Spiel gebracht worden.

Über das Ergebnis des Raketenbeschusses konnte das Pentagon noch keine Auskunft geben, weil die Angriffe in der Nacht stattfanden. Mit dem Beschuss sollten weitere Angriffe auf Zivilisten und Oppositionsgruppen bei Bengasi verhindert werden, hieß es. Zudem sollte das Gaddafi-Regime behindert werden, sich gegen die Einrichtung einer Flugverbotszone zu wehren.

Cameron: "Notwendig, legal und richtig"

Großbritanniens Premierminister David Cameron nannte die Militäraktion "notwendig, legal und richtig". Zuvor war bekanntgeworden, dass die britischen Streitkräfte sowohl Tornado-Bomber wie auch Eurofighter sowie Aufklärungs- und Tankflugzeuge nach Libyen schicken wollten. Cameron begründete den Militäreinsatz damit, dass Gaddafi statt des angekündigten Waffenstillstands die Brutalität gegen sein Volk noch erhöht habe.

In einer Vorstadt von Tripolis versammelten sich nach einem Bericht des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira mehrere Hundert Gaddafi-Anhänger, um die Residenz des Machthabers gegen Angriffe französischer Militärjets zu schützen. Gaddafi lebt in einem Zelt in der Militärgarnison der Vorstadt in Bab al-Asisija.

Vor dem Einsatz hatte die libysche Führung Berichte über Angriffe ihrer Truppen auf die Aufständischen-Hochburg Bengasi dementiert. Außenminister Mussa Kussa sagte vor der Presse in Tripolis: "Wir halten uns vollständig an die von uns verkündete einseitige Waffenruhe und das Ende aller Militäroperationen." Die Angriffe auf die "bewaffneten Banden im Osten des Landes" seien eingestellt worden. Damit habe Libyen die UN-Resolution 1973 erfüllt, fügte er hinzu.

Libyscher Bürgerkrieg vor einer Wende

Die von den Vereinten Nationen gebilligte Operation, eine Flugverbotszone durchzusetzen, begann fast zeitgleich mit einem Gipfel der Staatengemeinschaft in Paris. Noch am Samstag versuchten Gaddafis Truppen, Aufständische im Osten des Landes bei heftigen Gefechten zurückzudrängen.

Damit steht der wochenlange blutige Bürgerkrieg wohl vor einer Wende. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy sagte nach dem Sondergipfel, an dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Außenministerin Hillary Clinton teilnahmen, dass es keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Alliierten gebe.

Auch US-Präsident Barack Obama unterstrich die Entschlossenheit der Weltgemeinschaft. "Das libysche Volk muss beschützt werden", sagte er nach einem Treffen mit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff in Brasília. Der UN-Sicherheitsrat hatte das Vorgehen der Staatengemeinschaft mit der Resolution 1973 in der Nacht zum Freitag autorisiert.

"Zu allen nötigen Aktionen entschlossen"

Nach inoffiziellen Berichten flogen die ersten Alliierten-Maschinen bereits über Libyen, als der Sondergipfel in Paris noch lief. An den Aufklärungsflügen waren demnach französische Rafale-Jets und britische Maschinen beteiligt.

In einer gemeinsamen Abschlusserklärung forderten die zwei Dutzend Spitzenpolitiker Gaddafi erneut auf, die Gewalt einzustellen, seine Streitkräfte aus den eroberten Gebieten zurückzuziehen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen. "Wir sind zu allen nötigen Aktionen entschlossen, auch zu militärischen, gemäß der UN-Resolution", hieß es.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ergänzte: "Es wird niemand gelingen, die internationale Staatengemeinschaft in ihrer Entschlossenheit zu spalten." Deutschland lehnt eine militärische Beteiligung an dem Einsatz ab und hatte sich im Sicherheitsrat bei der Abstimmung enthalten.

Die Truppen Gaddafis hatten nach Augenzeugenberichten noch kurz vor Gipfelbeginn Bengasi mit Artillerie und Panzergranaten beschossen. Arabischen Medien zufolge drangen Regierungseinheiten in die südlichen Vorstädte ein. Auch Kampfflugzeuge seien über das Stadtgebiet geflogen. Ein Militärjet wurde abgeschossen - unklar war, ob er den Rebellen oder den Regierungstruppen gehörte.

Gaddafi warnte und drohte

Nach Angaben des Vorsitzenden der provisorischen Gegenregierung in Bengasi, Mustafa Abdul Dschalil, gab es viele Opfer. In den Krankenhäusern herrsche großer Andrang, sagte er dem Sender Al-Dschasira.

Die Führung in Tripolis stritt ab, Bengasi angegriffen zu haben. Die Truppen hätten lediglich "in Selbstverteidigung" gehandelt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Jana. Gaddafis Truppen waren am Freitagabend, wenige Stunden nach einer Erklärung einer Waffenruhe, aus über 100 Kilometer Entfernung kommend auf Bengasi vorgerückt.

In Briefen an verschiedene Staatsführer warnte Gaddafi noch am Samstag vor einem militärischen Eingreifen. Wer sich in die Angelegenheiten des Landes einmische, werde dies bedauern. Die Angreifer müssten "unkalkulierbare Risiken für das Mittelmeer und Europa in Kauf nehmen", drohte Gaddafi.

Das UN-Flugverbot bezeichnete er als nichtig. Sie stehe "im Widerspruch zur UN-Charta, die jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedslandes verbietet", hieß es in dem Schreiben Gaddafis, das an Sarkozy, den britischen Premierminister David Cameron und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon adressiert war.

Merkels Teilnahme als gutes Zeichen gewertet

Gaddafi schrieb einen weiteren Brief an Obama, in dem er diesen seinen "Sohn" nannte. "Selbst wenn Libyen und die USA - Gott verbiete es - in den Krieg miteinander treten, wirst Du für immer mein Sohn bleiben", hielt Gaddafi fest. Die USA wollen ihre Beteiligung nach einem Zeitungsbericht zeitlich stark begrenzen. US-Soldaten dürften nach dem Willen Obamas nur "Tage, nicht Wochen" in den Kampf verstrickt werden, berichtete die "New York Times" (Samstag) unter Berufung auf Regierungskreise.

Merkel unterstrich nach dem Gipfeltreffen in Paris die deutsche Haltung, sich nicht an dem Militäreinsatz zu beteiligen. Die US-Stützpunkte in Deutschland könnten aber dafür genutzt werden. Die Teilnahme der kanzlerin an dem Treffen in Paris wurde von französischen Kommentatoren als "gutes Zeichen für Europa" gewertet.

Aufsehen erregte das Fernbleiben der Afrikaner, die nach Medienberichten in Mauretanien eine letzte Vermittlungsaktion vorbereiten wollten. Die Arabische Liga war dagegen ebenso durch ranghohe Repräsentanten in Paris vertreten wie die Europäische Union.

Nach anderen Ländern wie Großbritannien, Belgien, Spanien, Italien, Dänemark, Katar, den USA oder auch Kanada kündigte auch Norwegen seine Beteiligung an dem Militärseinsatz an. Man werde sechs Kampfjets vom Typ F-16 bereitstellen, erklärte Ministerpräsident Jens Stoltenberg. 

dpa