Autobahnkirchen: Bald 39 "Raststätten für die Seele"

Autobahnkirchen: Bald 39 "Raststätten für die Seele"
Pause an der Autobahn. Schnell zur Toilette, ein Brötchen kaufen, … und beten. Beten? Warum nicht. Um Gottes Schutz auf der Reise bitten - und vielleicht an die Menschen denken, die zuhause geblieben sind. In Deutschland bieten bisher 38 Autobahnkirchen die Möglichkeit zur Andacht unterwegs. Ab diesem Dienstag wird an der A 45 bei Siegen die 39. Autobahnkirche gebaut.
28.02.2011
Von Anne Kampf

Die neue Kirche in Wilnsdorf: Außen zackig, innen sanft
Autofahrer, die auf der A 45 Hagen-Gießen durch das Siegerland Richtung Süden unterwegs sind, werden die kleine weiße Kirche am Autohof Wilnsdorf schon von weitem sehen. Von der Seite betrachtet, hat sie genau die Form des Autobahnkirchen-Piktogramms auf den Raststättenschildern. Vom Eingang aus gesehen - raffinierte Idee der Architekten Till Schneider und Michael Schumacher - erinnert die Form des Gebäudes an das Autobahn-Symbol auf Verkehrsschildern.

Betritt der Besucher die Kapelle, taucht er - anders als die zackige äußere Form es erwarten lässt - in eine Art Gewölbe ein. Die runden Formen im Innern sollen ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln. Das Licht fällt so ein, dass eine mystische Atmosphäre entsteht - so versprechen es jedenfalls die beiden Architekten, die mit ihrem Entwurf einen Wettbewerb gewonnen haben.

Die Autobahnkirche Siegerland ist auch deswegen ein besonderes Projekt, weil sie von Privatleuten getragen wird. Die Kirchengemeinden vor Ort unterstützen den Verein "Autobahnkirche Siegerland" zwar, kirchliche Gelder fließen aber nicht in den Bau. Zwei Jahre hat der Verein gebraucht, um die nötigen 950 000 Euro von privaten Spendern zu sammeln, so dass an diesem Dienstag der erste Spatenstich gesetzt werden konnte.

Autobahnkirchen in Deutschland: Es gibt noch Lücken
Die erste deutsche Autobahnkirche entstand 1958 an der A 8 im bayrischen Adelsried. Sie wurde von einem Papierfabrikanten gestiftet, nachdem es in seiner Familie einen tödlichen Autounfall gegeben hatte. Nach und nach entstanden weitere Autobahnkirchen in Deutschland - allerdings nicht flächendeckend. Große Lücken gibt es im östlichen Bayern, im Saarland und im westlichen Rheinland-Pfalz und vor allem im Norden rund um Hamburg (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen).

Neben dem Projekt bei Siegen sind momentan drei weitere neue Autobahnkirchen in Planung: An der A 71 im Dreiländereck Hessen-Thüringen-Bayern ist es ebenfalls ein Verein, der am zukünftigen Rastplatz Bibra eine ökumenische Kapelle errichten will. Bei Zeestow an der A 10 (Berliner Ring) soll eine baufällige Dorfkirche saniert und dann auch für Durchreisende geöffnet werden.

In Grasdorf geht es gleich um zwei Autobahnen und zwei Kirchen: Der Ort liegt genau an der Stelle, wo die A 7 und die A 39 aufeinandertreffen - in der Nähe von Salzgitter. Nach Angaben von Birgit Krause von der Akademie Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge, die die Autobahnkirchen in Deutschland betreut, möchten in Grasdorf sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche Autobahnkirche werden. Welches Projekt realisiert wird, ist noch in der Diskussion.

Die Mehrzahl der bisher bestehenden 38 Autobahnkirchen in Deutschland sind gleichzeitig Gemeindekirchen, die zufällig in der Nähe der Verkehrsadern liegen: Hier finden sonntags normale Gottesdienste statt, und unter der Woche organisieren Freiwillige tagsüber den Schließdienst für die durchreisenden Besucher. Andere Autobahnkirchen wurden extra nur für diesen Zweck als kleinere Kapellen an den Raststätten errichtet, sie sind in der Regel ökumenisch. Die Autobahnkirche Himmelkron zum Beispiel verfügt darüber hinaus über einen Raum ganz ohne christliche Symbole, so dass dort Muslime ihren Gebetsteppich ausrollen können.

Autobahn und Kirche - wie passt das zusammen?
Eine Reise ist immer ein Wagnis. Deshalb ist die Bitte um den Reisesegen und der Dank für den Schutz unterwegs ein alter Brauch: Schon das Alte Testament berichtet davon, dass beispielsweise Abraham unterwegs Altäre baute, nachdem ihm Gott auf der Reise begegnet war (Gen 12, 6-8). Im Mittelalter war es Brauch, entlang der Pilgerstrecken Kapellen und Kreuze am Wegesrand zu errichten.

Damals waren die Menschen zu Fuß oder zu Pferd unterwegs - heute mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug. Die Mobilität hat vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg rasant zugenommen, und erst recht die Reisegeschwindigkeit. Das ist mit Belastungen verbunden. So schreibt die Akademie Bruderhilfe, die die Autobahnkirchen in Deutschland betreut, Autofahrer befänden sich in einer "extrem spannungsreichen Situation". 

"Der teilweise hohe Geräuschpegel im Auto, die Flut visueller Eindrücke, der Zwang, sich ununterbrochen zu konzentrieren sowie eine sehr geringe Bewegungsfreiheit sind wesentliche Faktoren physischer und psychischer Belastung. Diese Belastungen machen Ruhepunkte am Rande der Fahrbahn notwendiger," heißt es auf der gemeinsamen Internetseite der deutschen Autobahnkirchen. Die Akademie Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge meint sogar, Autobahnkirchen führten zu mehr Verkehrssicherheit: "Wer in Autobahnkirchen Rast gemacht hat, der fährt danach gelassener, rücksichtsvoller und sicherer." 

Männlich und "bürgerliche Mitte" - das Besucherprofil
Der typische Autobahnkirchen-Besucher ist männlich, über 40 Jahre alt, gebildet, katholisch und verheiratet. Insgesamt besuchen eher ältere als jüngere Menschen eine Autobahnkirche, mehr als 40 Prozent von ihnen gehören dem Milieu der "Bürgerlichen Mitte" an. Dieses Besucherprofil hat das
Zentrum für Kirchliche Sozialforschung an der Katholischen Fachhochschule Freiburg 2007 in der Studie "Spurwechsel: Gott auf der Autobahn" im Auftrag der Akademie Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge ermittelt.

Die Sozialforscher haben weiterhin herausgefunden, dass Autobahnkirchen-Besucher "mehrheitlich religiös musikalisch" sind und eine überdurchschnittliche hohe Bindung an ihre Kirche haben. Fast die Hälfte der Befragten hat den Stopp an der Autobahnkirche geplant, das gilt vor allem für diejenigen, die auf einer Besuchsreise sind. Sie machen regelmäßig an Autobahnkirchen eine Rast. 

Spontan und ungeplant nutzen besonders Berufsreisende und Urlauber diese Möglichkeit zur Besinnung am Wegesrand. Urlauber sind dabei eher Autobahnkirchen-Neulinge, kommen also zu ersten Mal, Berufsreisende dagegen entwickeln eine gewissen Routine und stoppen - je nachdem, wie viel Zeit sie gerade haben - öfter an Autobahnkirchen.

Zwei Drittel der Besucher nutzen der Studie zufolge die Autobahnkirche für "religiöse Akte" wie Beten oder eine Kerze anzünden. Andere Besucher betreten die Gebäude aus Neugier, interessieren sich für die Architektur oder wollen einfach nur ausruhen. In jedem Fall werden Autobahnkirchen zum "psycho-physischen Auftanken" genutzt und gelten damit als "Raststätten für die Seele".


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de.