Ökumenische Familien: Wo die Einheit gelebt wird

Ökumenische Familien: Wo die Einheit gelebt wird
Es gibt Familien, für die ist jeder Tag ein ökumenischer Kirchentag. Zum Beispiel für die Beyers in Tübingen. Beate (50) ist katholische Religionspädagogin. Ihr Mann Jörg (52) ist evangelisch und Unternehmensberater. Zusammen mit ihren drei Söhnen (20, 18 und 15) gehen sie abwechselnd in den evangelischen Gottesdienst und in die katholische Messe. Die Familie ist in beiden Kirchen engagiert – je nach Lebenssituation mal stärker katholisch oder evangelisch. "Wir sind", sagt Familienvater Jörg Beyer stolz, "als konfessionsverbindende Paare nicht das Problem, sondern die Lösung!"
25.02.2011
Die Fragen stellte Martin Rothe

Herr und Frau Beyer, Sie sind seit 28 Jahren verheiratet. Spielen konfessionelle Unterschiede bei Ihnen überhaupt noch eine Rolle?

Jörg Beyer: Beate und ich wissen uns auch in der Kirche des jeweils anderen zu Hause. Ich gehe mit großem Gewinn in die katholische Eucharistiefeier.

Beate Beyer: Ich bin im Laufe unserer Ehe katholischer geworden. Weil ich ständig meine Konfession zu erklären hatte, musste ich mir mehr Gedanken machen über katholische Riten.

Jörg Beyer: Vieles diskutieren wir aus. Was nicht lösbar ist, müssen wir einfach so stehen lassen.

Zum Beispiel?

Beate Beyer: Da wäre die Frage, wie man den Karfreitag begehen soll. Bei den Protestanten wird der Karfreitag fast wie ein katholisches Hochamt gefeiert: mit Chor, Orgel und Glocken. Das ist mir zu feierlich an diesem Trauertag.

Sie, die Katholikin, sagen, Sie seien im Laufe Ihrer ökumenische Ehe katholischer geworden. Inwiefern?

Beate Beyer: Evangelische Gottesdienste sind sehr wortorientiert – besonders bei uns in Württemberg. Deshalb ist der geistliche Gewinn der Teilnehmer sehr davon abhängig, wie gut der Prediger redet. Ich denke dann oft: So eine Weltkirche wie die katholische hat schon was! Egal in welchem Land ich bin – in der Messe fühle ich mich immer zu Hause. Und wenn die Predigt nicht so gut ist, dann kann ich wenigstens von der Eucharistie etwas Stärkendes mit nach Hause nehmen.

Jörg Beyer: Auch wenn für mich als evangelischer Christ die Predigt die Mitte bleibt – durch meine Frau bin ich zum Liturgiker geworden.

Was können die beiden Konfessionen voneinander lernen?

Beate Beyer: Mir ist aufgefallen: Die evangelischen Pfarrer predigen anders – nämlich wirklich an der Bibel entlang. Von dieser Betonung der Bibel und davon, dass so viele Protestanten hier in Württemberg bewusst mit der Bibel leben – Stichwort Herrnhuter Losungen – haben die Katholiken hier wirklich etwas gelernt. Im Gegenzug beobachte ich, dass bei den evangelischen Christen jetzt öfter Abendmahl gefeiert wird. Für mich gehören Wort und Liturgie zusammen.

In welcher Konfession haben Sie beide Ihre Kinder erzogen?

Beate Beyer: In erster Linie christlich. Unsere drei Jungs sind in zwar alle katholisch getauft, zur Erstkommunion gegangen und Ministranten geworden. Aber sie sind in beiden Konfessionen aufgewachsen.

Jörg Beyer: Als die Kinder älter waren, sind sie in die evangelische Jungschar und den Jugendkreis gegangen, haben sich im CVJM und im Posaunenchor engagiert. Sie waren einige Jahre lang im evangelischen Religionsunterricht. Und sie sind auf Freizeiten der Evangelisch-methodistischen Kirche mitgefahren – also einer Freikirche.

Beate Beyer: Sonntags ist unsere Standardfrage: In welchen Gottesdienst gehen wir heute? Wir sind grundsätzlich alle zusammen in einen Gottesdienst gegangen. So haben die Kinder beides kennen gelernt.

Ist so ein Konfessions-"Cocktail" denn bekömmlich?

Beate Beyer: Ich verstehe nicht, warum manche Eltern Angst haben, ihre Kinder mit verschiedenen Glaubensstilen zu verwirren.

Jörg Beyer: Wir freuen uns, dass sie überhaupt eine Beziehung zum Glauben entwickelt haben.

Beate Beyer: Unsere Kinder fanden es eher doof, dass die Christen nicht eins sind. Aber sie selbst haben auch Schwerpunkte gesetzt: Unser großer Sohn hat eher eine katholische Mentalität, einer der jüngeren mehr eine evangelische.

Sie mussten als konfessionsverbindende Familie Ihren eigenen Weg finden. Wer oder was hat Ihnen dabei geholfen?

Jörg Beyer: Wir sind mit der ganzen Familie häufig zur ökumenischen Gemeinschaft in Taizé gepilgert. Für uns war Taizé gerade in schwierigen Phasen ein roter Faden. Durch einen der dortigen Brüder bekamen wird auch seelsorgerliche Begleitung. Taizé hat auch unsere Kinder stark geprägt: Einer unserer Söhne, damals sechs Jahre alt, sagte dort nach dem Gebet zu mir: "Papa, gell, Gott spricht alle Sprachen!"

Was raten Sie selbst anderen konfessionsverbindenden Familien?

Jörg Beyer: Wenn ein Elternteil stärker im Glauben verwurzelt ist und die religiöse Erziehung übernimmt, dann sollte bei dessen Konfession der Schwerpunkt liegen. Auf keinen Fall sollte man sich von der eigenen Verwandtschaft unter Druck setzen lassen.

Beate Beyer: Wenn die Wohngegend von einer Konfession dominiert ist, kann man sich bei der Kindererziehung für diese entscheiden. Das erleichtert manches.

Jörg Beyer: Die Familie sollte regelmäßig gemeinsam in beide Gemeinden gehen. So wird den Kindern auch deutlich: Es geht nicht um die Institution, sondern um Jesus Christus. Die Gemeinde ist nicht der letzte Maßstab.

Sollten die Eltern ihren Kindern nicht selbst die Entscheidung überlassen?

Beate Beyer: Anfangs lieber nicht. Denn wenn Eltern den Kindern in Sachen Religion sagen: "Mach was du willst", landen die Kinder in einem Vakuum. Wenn sie keine Religion oder Konfession kennenlernen – wofür oder wogegen sollen sie sich dann später entscheiden? Eltern sollen Angebote machen, später können die Kinder selbst entscheiden. Es wäre für mich kein Problem, wenn meine Kinder sich jetzt, wo sie über 14 Jahre alt – also religiös mündig – sind, sich für die evangelische Konfession entschieden.

Jörg Beyer: Ich rate zu Mut, Ausdauer und Gottvertrauen. Schließlich sind wir als konfessionsverbindende Paare nicht das Problem, sondern die Lösung!

Beate Beyer: Wir haben eine prophetische Aufgabe: Wir können die Einheit der Konfessionen 24 Stunden am Tag leben, die für die Kirchen noch Zukunft ist.

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Wie sehen Sie – als direkt Betroffene – den aktuellen Zustand der Ökumene?

Beate Beyer: Uns schmerzt, dass die Abendmahlfrage nicht generell geklärt ist.

Jörg Beyer: Und das Desinteresse der Gemeinden – nach der Devise: Ökumene ist "nice to have", aber nichts wirklich Wichtiges. Derzeit begegnen wir leider allzu oft einer "Ökumene der Profilneurosen".

Welche Erwartungen haben Sie an die Kirchen?

Jörg Beyer: Wir wünschen uns, dass Pfarrer und Hauptamtliche den konfessionsverbindenden Paaren und Familien Mut machen zur Offenheit und sie unterstützen. Sie könnten diese Paare auch ansprechen, ob sie bei einem ökumenischen Gottesdiensten oder anderen Veranstaltungen mitwirken. Ökumenische Zusammenarbeit ist für uns etwas Existenzielles!

Beate Beyer: Unsere Hoffnung an die Konfessionen ist, kurz gesagt: versöhnte Verschiedenheit – und zwar unter einem Dach. Derzeit wurstelt jede Konfession so vor sich hin. Aber unser christlicher Auftrag ist es, eins zu sein, "damit die Welt glaube", wie das Neue Testament sagt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Lesetipp Friedrich Schweitzer/Albert Biesinger: Religiöse Erziehung in evangelisch-katholischen Familien, Freiburg 2009. Verlag Herder, 140 Seiten, 12,95 Euro.


Martin Rothe ist freier Journalist und arbeitet regelmäßig für evangelisch.de. Er hat unter anderem Theologie studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind Kirche, Islam, Integration und Zivilcourage.