"Wir dachten, Libyer wären unorganisiert und lethargisch"

"Wir dachten, Libyer wären unorganisiert und lethargisch"
Hans Kremhöller aus Hamburg hat am Dienstag Libyen verlassen. Der 58-jährige ehemalige Pilot war dort seit Juli als Flugsicherheits-Berater für Afriqiyah Airways tätig. Die Lage in der Hauptstadt Tripolis wurde am Sonntag und Montag so bedrohlich, dass Kremhöller sich entschloss, auszufliegen. Im Interview mit evangelisch.de berichtet er von der Situation in Libyen.
24.02.2011
Die Fragen stellte Anne Kampf

Wie hat es sich angefühlt, mitten in einer Revolution zu stecken?

Hans Kremhöller: Am Tage vergleichsweise normal, wie vor der Revolution auch. Wir haben selbst Arbeiter gesehen, die ihren Tätigkeiten nachgegangen sind und Leute, die Einkäufe getätigt haben. Es wurde dann nur am Abend und in der Nacht unangenehm, weil wir dann zuhauf Gewehr- und Pistolenschüsse in der Umgebung gehört haben. Das war eigentlich alles.

Hatten Sie Angst?

Kremhöller: Nein.

Konnten Sie noch normal leben in Tripolis, also einkaufen, Leute treffen, telefonieren, ins Internet gehen?

Kremhöller (Foto links: privat): Es gibt zwei Mobilfunknetze in Libyen, und innerhalb dieser Netze konnte man telefonieren. SMS ging nicht, ins Ausland telefonieren auch nicht, meine deutsche Handynummer war dort nicht erreichbar. Das Internet ging erstaunlicherweise, zeitweise allerdings nicht sehr stabil. Normales Leben, das ist ein bisschen schwierig zu sagen, denn die Revolution startete ja im Osten von Libyen, und wir wussten wohl, dass sie irgendwann dann auch mal nach Tripolis kommen würde. Aber während in Bengasi und im Osten schon gekämpft wurde, war in Tripolis alles ruhig. Da gab es dann unter Umständen mal Aufmärsche von Gaddafi-Anhängern, die ihrem großen Führer zugejubelt haben, da haben wir uns allesamt noch frei in der Stadt bewegt. Erst als wir dann Nachrichten bekommen haben, dass in der Stadt selbst gekämpft wird, dass Anhänger und Gegner und diese Milizbanden, die Gaddafi da wohl eingesetzt hat, aufeinander schießen würden, da haben wir zugesehen, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit im Apartment waren und haben uns verbarrikadiert, die Rollos runtergelassen, damit wir kein Ziel bieten.

Wer sind die Gaddafi-Gegner? Sind das bestimmte Bevölkerungsgruppen?

Kremhöller: Viele sind in irgendeiner Weise in der Vergangenheit mal mit dem System in Konflikt geraten und wegen Nichtigkeiten im Gefängnis gelandet. Diese Leute werden mit Sicherheit Herrn Gaddafi nicht mehr großartig die Treue halten wollen. Die meisten Gegner sind wohl ähnlich wie in Tunesien und Ägypten junge Menschen, die wenig Perspektive und wenig Zukunftsaussichten haben und zum Teil aus sehr verarmten Schichten kommen.

Das heißt, ein Grund für die Revolution ist Armut?

Kremhöller: Es ist wohl die Summe aus vielen Dingen. Aber da muss ich gestehen, dass ich nicht so hundertprozentig involviert bin. In einem halben Jahr Land und Leute und vor allem das Leben der Leute und deren Gefühlswelt kennen zu lernen, das maße ich mir nicht an.

Es gibt keine genauen Angaben über die Zahl der Toten. Was wissen Sie?

Kremhöller: Was ich von meinen Kollegen gehört habe, sind die Zahlen, die so im Laufe des Sonntags und Montags veröffentlicht wurden. Da gab's ja dann irgendwann 84 oder 85 Tote, und dann später auch mal höhere Zahlen. Aber das ist eher das absolute Minimum. Die Zahl der tatsächlichen Opfer wird wahrscheinlich sehr sehr viel höher liegen.

Wie wird Gaddafi in der Bevölkerung wahrgenommen? Auf uns hier wirkt er in den Fernsehbildern skurril, um nicht zu sagen verrückt.

Kremhöller: Er ist Teil eines Systems, das eigentlich keiner so richtig mag. Zumindest von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe. Niemand wird natürlich gerne von sich erklären, dass er in einem Staat lebt, der von einem Verrückten regiert wird. Er wird wohl wahrgenommen als der Führer eines Regimes, der seine Leute massiv unterdrückt und gewisse Entwicklungsmöglichkeiten verhindert - als der große Übeltäter, so wie er hier im Westen dargestellt wird, aber eigentlich nicht. Der schlimmste Vorwurf, den man ihm macht, ist eigentlich, dass er Schule und Ausbildung der jungen Menschen verhindert. Ich habe mehrfach mit Leuten in meinem Alter gesprochen, die die Zeit vor Gaddafi miterlebt haben und die davon geschwärmt haben, was für ein weit entwickeltes Land Libyen doch gewesen ist, als der König noch an der Macht war, welch hohen Standard das Land eigentlich hatte. Manche sprachen davon, dass es zu diesem Zeitpunkt mit jedem westeuropäischen Staat hätte mithalten können. Diese Dinge seien nun verloren gegangen, und das würde man ihm und seinem Clan nun massiv vorwerfen.

Wie lange wird er sich nach Ihrer Einschätzung noch halten?

Kremhöller: Im Moment habe ich den Einruck, es herrscht so 'ne Art Ruhe in der Stadt. Das sind auch die Nachrichten, die ich von den Leuten, die noch da sind, erhalte. Die ersten beiden Nächte waren wohl die umkämpftesten. Jetzt vermeiden es die meisten Leute erstmal, nachts auf die Straße zu gehen, um nicht einfach - wie soll ich sagen - abgeschossen zu werden. Da werden mit Sicherheit unterstützende Maßnahmen nötig sein, um der Sache ein Ende zu machen, zum Beispiel könnten kämpfende Truppen nach Tripolis verlegt werden. Die werden wohl nötig sein, um der Sache ein Ende zu machen. Inwieweit das jetzt stattfindet, kann ich nicht beurteilen. Das nächste Problem, mit dem Gaddafi fertig werden müsste, wäre die Versorgung seiner Leute und von sich selbst mit den nötigsten Lebensmitteln. Die können zwar anfangen, die Läden zu plündern, aber das geht ja auch nur 'ne bestimmte Zeit. So lange keine neuen Waren in die Stadt hineinkommen, und das scheint jetzt wohl schwierig geworden zu sein, wird er irgendwann aushungern. Der Preis für Mehl ist zum Beispiel extrem hochgeschnellt. Die Leute wissen schon, dass jetzt unter Umständen Versorgungsschwierigkeiten dazukommen.

Wie sind Sie aus Libyen rausgekommen?

Kremhöller: Ich bin vorgestern auf dem Luftweg rausgekommen. Das hatten wir privat organisiert über unsere Kontakte zu den ausländischen Fluggesellschaften, von denen meine Kollegen hergekommen sind. Am Flughafen habe ich abenteuerliche Szenen erlebt. Ich denke mal, die meisten Leute waren Ausländer, die aus dem Land wollten. Da drängten erhebliche Menschenmassen in den Flughafen und schlugen sich da um zwei Türen. Es war schon schwierig, da überhaupt reinzukommen. Ich bin über Malta geflogen und habe eine Nacht in Malta bei einem Kollegen im Haus verbracht und bin dann gestern von Malta aus nach Hamburg weiter.

Was denken Sie, wie es nun weitergeht in Libyen?

Kremhöller: Ich wünsche den lieben Menschen dort, die ich getroffen habe, dass es schnell zu Ende geht. Aber es ist sehr undurchsichtig. Als die Sache losging in Tunesien und dann auch in Ägypten, haben wir schon diskutiert und gesagt, das wird doch auch jetzt irgendwann mal hierher kommen. Da hatten wir eigentlich allesamt den Eindruck: Nein, irgendwie auch wieder nicht, dafür sind die Libyer zu unorganisiert und irgendwie auch zu lethargisch - lethargisch gemacht vom Regime. Aber offenbar hatten wir uns da ganz massiv getäuscht.

Wollen Sie wieder hin?

Kremhöller: Wenn sich die Situation ähnlich normalisiert wie in Ägypten oder Tunesien, plane ich durchaus, da wieder hinzugehen. Einfach aus dem Grund, weil die Aufgabe, die ich dort hatte, interessant und abwechslungsreich war. Und auch nicht so weit weg von Zuhause, dass man nicht regelmäßig mal für einen kurzen Abstecher nach Hause kommen konnte. Ich hab mich dort nicht heimisch gefühlt, das nicht. Das Sozialisieren mit den Libyern ist schwierig, denn es gibt dort keinerlei Nachtleben. Die einzige Möglichkeit wäre, sich über einer Wasserpfeife in so einem Kaffeehaus zu treffen, aber da ich dem Laster des Rauchens entsagt habe, habe ich daran kein großes Interesse. Wie lernt man sonst Leute kennen in einer fremden Umgebung? Man geht aus, man trifft sich bei einem Bier oder Wein und fängt an, sich zu unterhalten. Das gibt's dort aber nicht. Insofern ist es relativ schwierig, sich einen Freundeskreis zu schaffen und sich dort wohlzufühlen. Aber ich würde schon wieder hingehen.


Der Hamburger Hans Kremhöller arbeitete seit Juli als Flugsicherheits-Berater für Afriqiyah Airways in Tripolis.