PID: Die evangelische Kirche findet keine klare Linie

PID: Die evangelische Kirche findet keine klare Linie
Die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) sorgt seit Monaten für heftige Diskussionen. Für ein Verbot dieser umstrittenen Methode zur Untersuchung von Embryonen spricht sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus. Der in Wien lehrende Theologe und Medizinethiker Ulrich H. J. Körtner hat kritische Anmerkungen zu dem EKD-Papier. In einem Beitrag für evangelisch.de hält er dem Rat zugute, seelsorgerlich zu argumentieren und vom Leid der betroffenen Menschen auszugehen. Allerdings greife es ethisch zu kurz, die Frage nach PID mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten.
17.02.2011
Von Ulrich H. J. Körtner

Es gibt eine Sorte Witze, die heißen "Frage an Radio Eriwan". Die Antwort lautet immer: "Im Prinzip ja, aber …". Von gleicher Güte ist die Stellungnahme, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 15. Februar zu Präimplantationsdiagnostik (PID) abgegeben hat. Nur lautet die Antwort dieses Mal: "Im Prinzip nein, aber …".

Es ehrt den Rat, dass er den bestehenden Dissens in der Frage, ob die PID in Deutschland gesetzlich verboten oder in eingeschränktem Umfang zugelassen werden soll, nicht verschleiert, sondern offen benennt. Auch unter Kirchenmitgliedern und Theologieprofessoren sind die Meinungen in dieser Frage geteilt. Es gehört zur evangelischen Diskussionskultur, in Fragen des Glaubens und der Ethik um einen Konsens zu ringen, ihn aber nicht durch autoritäre Entscheidungen eines bischöflichen Lehramtes zu erzwingen.

Zwist schon bei Stammzellforschung

Ein ähnliches Bild zeigte sich schon vor Jahren in der Frage der Stammzellforschung. 2002 veröffentlichte der Rat der EKD eine Argumentationshilfe der Kammer für öffentliche Verantwortung für aktuelle medizin- und bioethische Fragen unter dem Titel "Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen". Damals war es in der Kammer nicht möglich, sich auf eine einheitliche Position in der Frage, ob schon befruchtete Eizellen eine menschliche Person sind und ob die Gewinnung von embryonalen Stammzellen und die Forschung an ihnen ethisch zulässig sind oder nicht. Damals bezog der Rat allerdings einstimmig Stellung gegen jene Gruppe in der Kammer, die sich für die Stammzellforschung aussprach.

Heute verläuft die Konfliktlinie mitten durch den Rat selbst. Wie die Mehrheitsverhältnisse genau liegen, ist der aktuellen Stellungnahme zur PID und den bisherigen Medienberichten nicht zu entnehmen. Es tut aber auch nichts zur Sache. Unverständlich ist für mich, wie die Ratsmitglieder, welche die PID in engen Grenzen für ethisch vertretbar und mit einem christlichen Menschenbild vereinbar halten, am Ende doch die Forderung nach einem vollständigen Verbot der PID mittragen können.

Göring-Eckardts brisante Doppelrolle

Ich halte es auch für einen problematischen Vorgang, dass die Grünen-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Göring-Eckardt ihre ablehnende Haltung vorab in den Medien kundgetan hat, hier also in der Doppelrolle als Politikerin und Kirchenvertreterin agiert. Mag auch der Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, damit kein Problem haben, so ist die Optik doch unglücklich.

In seiner Stellungnahme gegen die PID argumentiert der Rat in erster Linie seelsorgerlich. Er geht vom Leid der Menschen aus, die von Behinderung oder auch der Diskriminierung behinderter Menschen betroffen sind. Dieser Zugang zur Debatte steht der Kirche gut an. Es ist gut, dass die EKD Eltern zur Annahme eines Kindes mit eingeschränkten Lebensmöglichkeiten oder einer schweren Behinderung ermutigen und auch die Gesellschaft in dieser Richtung beeinflussen will. Gut ist auch, dass die EKD das medizinische Personal mit seinen psychischen und moralischen Belastungen im Blick hat. Seelsorgerliche Begleitung und diakonische Hilfe sind das ureigene Feld christlichen Handelns, wenn es um den Schutz und die Annahme des Lebens als Gabe Gottes geht.

Fragwürdig ist aber der einseitige Blick, den die Stellungnahme generell auf die In-Vitro-Fertilisation (IVF) richtet. Es stimmt schon, dass die Zumutbarkeit der Prozeduren bei der künstlichen Befruchtung und Zeugung – der Rat spricht von Herstellung! – von Embryonen in der Petrischale offen diskutiert werden muss. Es stimmt auch, dass die PID die Chancen auf ein lebensfähiges und gesundes Kind zwar erhöht, aber keineswegs garantiert. Doch aus den Ausführungen des Rates zur IVF spricht ein paternalistischer Grundton, der die Betroffenen davor bewahren will, einen "Irrweg" zu beschreiten und die Ansicht durchblicken lässt, besser als die Betroffenen zu wissen, was für sie gut ist.

Paare fühlen sich unverstanden und allein gelassen

Leider hat es die EKD bis heute verabsäumt, ihre eher ablehnende Haltung zur IVF, die sie seit drei Jahrzehnten vertritt, selbstkritisch zu überdenken. Nicht nur die Zumutbarkeit der IVF-Prozeduren, sondern auch diejenige der EKD-Position zur modernen Reproduktionsmedizin muss erörtert werden. Ich kenne betroffene Paare, die bewusste Kirchenmitglieder sind, und sich bis heute von ihrer Kirche unverstanden und seelsorgerlich allein gelassen fühlen.

Eine einseitige Seelsorge, die bloß davon redet, dass ein erfülltes Leben auch ohne eigene Kinder oder mit einem Kind mit Behinderung möglich ist, und zur Kinderlosigkeit oder zum Verzicht auf ein weiteres Kind "einladen" will, wie es im Papier des Rates durchklingt, wird diesen Menschen nicht gerecht. Die Nöte jener Paare, die sich vor dem Hintergrund ernster gesundheitlicher Risiken oder eines schon hinter ihnen liegenden langen Leidensweges für IVF und PID entscheiden, finden in der aktuellen Stellungnahme des Rates weit weniger Gehör als jene, die vor gesellschaftlichen Dammbrüchen warnen, obwohl sozialwissenschaftliche Studien dafür keinen empirischen Hinweis geben.

Reinhard Bingener wirft dem Rat der EKD in einem am 16. Februar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienenen Kommentar vor, er drücke sich um die entscheidende Frage, nämlich diejenige nach dem Status des Embryos. Meines Erachtens ist diese Kritik unberechtigt. Denn selbst wenn jemand jeder befruchteten Eizelle, auch solchen im Reagenzglas, den Status einer menschlichen Person zugestehen möchte, kommt doch die Rechtsordnung nicht um Fragen eines abgestuften Lebensschutzes herum. Andernfalls müsste nicht nur die Antreibung ausnahmslos verboten werden, sondern es müssten auch nidationshemmende Mittel wie die Spirale unter Strafe gestellt werden.

Ethisch und juristisch unglücklich

Wenn der Ratsvorsitzende in einem Interview mit der FAZ am 16. Februar die von ihm befürwortete Aussonderung von nicht lebensfähigen Embryonen mit dem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen am Lebensende vergleicht, ist das ethisch und juristisch allerdings auch nicht gerade glücklich.

Bedauerlicherweise klammert der Rat rechtspolitische Erwägungen weitgehend aus. Mögliche Wertungswidersprüche zwischen dem geltenden deutschen Antreibungsrecht und der flächendeckenden Anwendung von Pränataldiagnostik auf der einen, dem Ruf nach einem Verbot der PID auf der anderen Seite werden nicht einmal ansatzweise erwähnt. Und ob es theologisch vertretbar ist, dass eine Kirche im weltanschaulich neutralen Rechtsstaat weitreichende staatliche Verbote fordert, um auf diese Weise ein christliches Menschenbild zu verteidigen, ist doch sehr die Frage.

Darf sich eine Kirche wie die evangelische, die den Schwangerschaftsabbruch nicht grundsätzlich verurteilt, sondern in einer Konfliktsituation als eine mögliche verantwortliche Entscheidung akzeptiert, auch wenn sie nicht ohne Schuld ist, kategorisch gegen die PID aussprechen? Sie ist keinesfalls der Königsweg, um alle denkbaren Schwangerschaftskonflikte aus der Welt zu schaffen. Und der Traum vom Wunschkind nach Maß oder vom Designer-Baby hat in einer christlichen Ethik keinen Platz. Die Vision einer leidfreien und von Behinderungen verschonten Gesellschaft ist eine totalitäre Utopie. Darin bin ich mit den Gegnern der PID völlig einig. Ich halte es jedoch für anmaßend und ungerecht, betroffene Paare mit einem hohen genetischen Risiko zu diffamieren und ihnen jedes Verantwortungsbewusstsein abzusprechen.

PID ist nicht notwendigerweise unethisch

Aus christlicher Sicht lautet die entscheidende Frage, ob im Geiste der Liebe gehandelt, das heißt aber die Not betroffener Paare gesehen wird. Es geht bei der PID nicht notwendigerweise um ein unethisches Programm zur Selektion von vermeintlich unwertem Leben. Sie soll vielmehr die Herbeiführung einer Schwangerschaft und damit die Geburt eines Kindes ermöglichen, das ohne die Möglichkeit einer PID gar nicht erst gezeugt würde.

Bestimmte genetische oder chromosomale Abweichungen verhindern bereits die Einnistung einer befruchteten Eizelle in der Gebärmutter, lösen Fehlgeburten aus oder sind die Ursache dafür, dass das Kind nach seiner Geburt nicht lebensfähig ist oder schon bald verstirbt. Paare, die mit dieser schrecklichen Möglichkeit rechnen müssen, weil sie Träger einer Erbkrankheit sind oder schon ein Kind mit schwerer Behinderung zur Welt gebracht haben, stehen vor der Alternative, auf leibliche Kinder zu verzichten.

Darf der Staat von den Betroffenen ein solches Opfer verlangen und in elementare Grundrechte eingreifen, wenn er gleichzeitig die routinemäßige Pränataldiagnostik nicht nur duldet, sondern sogar unterstützt? Wiegen das Leiden, die konkreten Ängste und Risiken betroffener Paare weniger schwer als das Dammbruchargument, die PID könnte die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen fördern, obwohl es für solche Prognosen sozialwissenschaftlich keinen empirischen Anhalt gibt? Die Alternative zwischen einem generellen Ja und einem strikten Nein greift ethisch zu kurz.


Prof. Dr. Ulrich Körtner ist Theologe und Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und zugleich Vorstand des dortigen Instituts für Ethik und Recht in der Medizin.