Muslimische Notfallbegleiter helfen manchmal besser

Muslimische Notfallbegleiter helfen manchmal besser
Wenn Rettungsdienste zu Notfällen gerufen werden, sind oft auch Seelsorger dabei. Sie kümmern sich um die Angehörigen. In Köln werden auch muslimische Notfallbegleiter ausgebildet. Sie können bei muslimischen Beteiligten besser vermitteln, weil sie die Bräuche und Gewohnheiten besser kennen.
20.01.2011
Von Barbara Driessen

Ismail E. Gunija (32) fährt sich durch seinen dunklen Vollbart und lacht dabei. Er studiert in Wuppertal Politik und Wirtschaft, doch aufgewachsen ist er in Tunesien. Obwohl Ismail erst seit wenigen Jahren in Deutschland lebt, ist sein Deutsch perfekt: "Ich hatte Deutsch im Abitur", erzählt er. Und außerdem hat er im Fernsehen immer "Derrick" angeschaut, im Originalton mit arabischen Untertiteln. Der gläubige Muslim versteht sich jetzt als Teil der deutschen Gesellschaft und möchte seinen Beitrag leisten. Deshalb nimmt er an einer Ausbildung für muslimische Notfallbegleiter in Köln teil. Sie sollen bei Unglücken und Krisen muslimische Opfer und deren Angehörige unterstützen.

Notfallbegleiter mit dem richtigen Fingerspitzengefühl

Während eines Einsatzes verhalte sich ein muslimischer Notfallbegleiter nicht unbedingt anders als ein christlicher Notfallseelsorger, sagt Nigar Yardim, eine islamische Theologin, die die Kursteilnehmer in religiösen Fragen fitmachen will: "Doch ein Muslim kann oft besser zwischen den Rettungsdiensten und den muslimischen Angehörigen vermitteln. Da braucht man jemanden, der sich in beiden Bereichen gut auskennt", sagt sie. Jemanden mit dem richtigen Fingerspitzengefühl.

Yardim erzählt von dem Fall eines verstorbenen Kindes. Die Polizei wollte die Leiche direkt mitnehmen, aber die Familie weigerte sich, das Kind wegzugeben. Der muslimische Notfallbegleiter konnte den Beamten deutlich machen, dass sich die Familie erst zu Hause in Ruhe verabschieden wollte. "Und so haben die Polizisten dann vier Stunden vor der Tür gewartet", erzählt sie.

Wer an dem Kurs teilgenommen hat, kann sich anschließend an einer örtlichen Rufbereitschaft beteiligen. "Im Ernstfall alarmieren die Rettungsdienste zunächst die kirchliche Notfallseelsorge, die dann auf einen muslimischen Pool zurückgreift", erläutert Thomas Lemmen. Der Theologe und Islamwissenschaftler ist Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Gesellschaft, die die Kurse in Zusammenarbeit mit dem Landespfarramt für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland organisiert.

"Leichenwaschung ist religiöse Pflicht für Muslime"

Lemmen und sein Team haben sich bewusst für den Begriff "Notfallbegleiter" statt "Notfallseelsorger" entschieden: "Denn Seelsorge ist ein sehr christlich geprägter Begriff, mit dem Muslime zunächst wenig anfangen können", sagt Lemmen. Die Einsätze, zu denen sie gerufen werden, seien für Christen wie Muslime dieselben: "Unfälle mit Todesfolge, plötzlicher Kindstod und Suizide".

Was viele Rettungsdienste beispielsweise nicht wissen: Im Islam dürften weibliche Leichen nicht von Männern angefasst werden. Wenn aber nur männliche Sanitäter vor Ort seien, dann könne der Notfallbegleiter zumindest einen Kompromiss vorschlagen, erläutert Yardim: "Indem etwa weibliche Angehörige die Tote zunächst mit einem Tuch abdecken, bevor jemand anders sie anfasst."

Kursteilnehmerin Züleyha Bozkurt (40) hat bereits Erfahrung. Bevor die heutige Sprach- und Integrationsmittlerin 1979 mit ihrer Familie nach Deutschland kam, besuchte sie in der Türkei eine religiös orientierte Schule, in der sie auch die traditionelle Leichenwaschung erlernte.

"Leichenwaschung ist religiöse Pflicht für Muslime" erläutert sie. Schon mit 14 Jahren fing sie an, selbst Leichen zu waschen. "Und so hatte ich schon früh Umgang mit Toten und trauernden Menschen." Von dem Kurs erhofft sie sich nun noch mehr Professionalität bei ihrer Arbeit.

In der Muttersprache kann man besser trösten

Die gebürtige Iranerin Jila Shafaghi (58) aus Bonn glaubt, dass muslimische Notfallbegleiter vor allem den Vorteil haben, den Angehörigen in der eigenen Sprache zusprechen zu können: "In der Muttersprache kann man einfach besser trösten", sagt sie. Und auch Fatma Logemann (58), auf Zypern geboren, meint, dass muslimische Notfallbegleiter einfach einen schnelleren Zugang zu muslimischen Familien haben.

Finanziert werden die sechstägigen Kurse bislang mit Unterstützung des Landespfarramtes für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland, durch Spenden und mit ehrenamtlichen Engagement. "Am Anfang war ich erstaunt, dass eine kirchliche Veranstaltung so gut mit Muslimen harmonisiert", sagt Derrick-Fan Ismail E. Gunija. "Aber die Veranstalter hier sind mit unglaublich viel Offenheit und Herz dabei."

epd