Hitzige Europa-Debatte über Ungarns Medienpolitik

Hitzige Europa-Debatte über Ungarns Medienpolitik
Normalerweise umfasst der Antrittsbesuch eines Regierungschefs vor dem EU-Parlament zum Start in seine Ratspräsidentschaft vor allem schöne Worte und beifällige Reaktionen. Nicht im Fall Viktor Orbáns, des ungarischen Ministerpräsidenten: Wegen seiner umstrittenen Medienpolitik musste er sich am Mittwoch in Straßburg einer hitzigen Debatte und zahlreichen Angriffen stellen.
19.01.2011
Von Isabel Guzmán

Dabei gab sich Orban zum Einstieg Mühe, die europäischen Werte hoch zu halten. "Ungarn hat seinen Einsatz für die Pressefreiheit in der Vergangenheit bereits unter Beweis gestellt", rief er. "Sie können mit uns rechnen." Er bezog sich auf den seit Monaten schwelenden Streit über das neue ungarische Mediengesetz. Kritiker argumentieren, es ermögliche Orbans konservativer Partei Fidesz eine übermäßige Kontrolle über die Medien und führe zur Selbstzensur.

"Wir sind nicht eitel"

Ungarn werde das Gesetz "reparieren", wenn die EU-Kommission Mängel feststelle, sagte Orban. "Das sind für uns keine Prestigefragen, wir sind hier nicht eitel." Er warnte die EU-Politiker allerdings auch davor, Belange der ungarischen Innenpolitik und des amtierenden EU-Ratsvorsitzes miteinander zu vermischen. "Dann bin ich natürlich zum Kampf bereit", sagte er.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bekräftigte, dass die Kommission bei ihrer laufenden Analyse wahrscheinlich einen Änderungsbedarf feststellen werde. Der sozialdemokratische Fraktionschef Martin Schulz fand noch schärfere Worte. Er rief Orban auf, das Gesetz zurückzuziehen und einen "besseren" Entwurf einzubringen. "Ein einseitig besetzter Medienrat kontrolliert, was ausgewogene Berichterstattung ist. Das geht im Rahmen einer europäischen Rechtsgemeinschaft nicht!"

"Das Gesetz entspricht den europäischen Unionswerten nicht", sagte auch der Co-Fraktionschef der Grünen, Daniel Cohn-Bendit. Europa brauche Glaubwürdigkeit: "Wenn wir dieses Gesetz in Europa akzeptieren, wie wollen wir mit Herrn Lukaschenko oder den Chinesen reden?" Der liberale Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt sagte, Meisterwerke der ungarischen Literatur hätten unter dem Gesetz womöglich nicht verfasst werden können. Er verlangte, das Regelwerk zugunsten des Pluralismus abzuändern.

Freiheit "der wichtigste Wert"

Moderat äußerte sich der Chef der Christdemokraten, Joseph Daul: Zu seiner Fraktion gehören auch die Fidesz-Abgeordneten im EU-Parlament. "Die Fidesz-Partei gründet auf einem der wichtigsten Werte, der Freiheit", sagte er. Er habe Vertrauen in den ungarischen Ministerpräsidenten, der Änderungen am Gesetz zugesagt habe, sollte die Kommission Mängel finden. "Ich lehne jede Vorverurteilung ab!"

Viktor Orbán sprach am Ende der mehr als zweistündigen Diskussionen von einer "interessanten Debatte". Er sei aber verwundert darüber, dass "so viele respektable Menschen von falschen Fakten ausgehen". Wer sage, dass Ungarn auf dem Weg in die Diktatur sei, beleidige das ungarische Volk, rief er mit heiserer Stimme - und sorgte damit für empörtes Rumoren in den Reihen.

Zum Abschluss gab Orban den Abgeordneten eine fast schon philosophische Frage mit auf den Weg: "Wir leben im Zeitalter des Internet - wie ist es da möglich, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken?" Ungarns Regierung hat die EU-Präsidentschaft für sechs Monate inne - und Viktor Orbán die anspruchsvolle Aufgabe, Innen- und Europapolitik auf einen Nenner zu bringen.

epd