Wir wollen die Welt verändern: Bischof mit 13

Wir wollen die Welt verändern: Bischof mit 13
In Hamburg und jetzt auch in Berlin wird die Jahrhunderte alte Tradition der Kinderbischöfe neu belebt: Jugendlichen und Kindern wird die Möglichkeit gegeben, Politikern und Entscheidungsträgern ihre Anliegen vorzutragen und damit die Welt ein Stück (kinder-) freundlicher und gerechter zu machen. In Hamburg setzen sich Fünftklässler für Spielplätze ein und in Berlin geht es um gerechte Bildungschancen von Jugendlichen jeglicher Herkunft.
05.01.2011
Von Cornelius Wüllenkemper

"Wir wollen wirklich etwas verändern, am besten die ganze Welt" meint die 14jährige Schülerin Hanna. Sie ist vor einigen Wochen zu einer von vier Berliner Schülerbischöfen ernannt worden. Gemeinsam haben sich die Schüler der Evangelischen Schule Berlin Zentrum zwischen 13 und 15 Jahren das Thema Bildung ausgesucht: "Es kann nicht sein, dass Kinder mit Migrationshintergrund benachteiligt sind und dass Bildung vom Geld der Eltern abhängt" ist der 15jährige Julius überzeugt.

Die vier Schülerbischöfe, die innerhalb ihrer Klassen ausgewählt wurden und jetzt stellvertretend für alle Berliner Schüler sprechen wollen, haben ihre Anliegen, Gedanken und Forderungen nicht nur in einer Predigt in der Sankt Marienkirche direkt am Alexanderplatz präsentiert. Sie treffen auch Kirchenvertreter und Politiker, die "von da oben", wie den Präsidenten des Berliner Abgeordneten Hauses und die Staatsekretärin der Berliner Bildungsverwaltung, um Missstände aufzuzeigen und Besserung anzumahnen. Ihr Ziel: "Dass es zukünftig egal ist, ob ich weiß oder schwarz bin, arm oder reich. Die Chance, mich verwirklichen zu können, darf nicht von der Familie abhängen".

Ernsthafte Anliegen

Es sind also ernsthafte Anliegen, für die sich die vier Berliner Schüler einsetzen. Dabei war das Fest der Kinderbischöfe, dessen Tradition bereits 1305 in Hamburg entstand, ursprünglich eine Art spiritueller Karneval, während dessen ein auserwählter Klosterschüler den Erwachsenen seine Meinung sagen durfte. Nicht umsonst fiel der Tag der Ernennung des Bischofs auf den 6. Dezember, war doch der Heilige Nikolaus stets um das Wohl der Kinder und Schüler besorgt.

Während des Hauptfestes trug der auserwählte Kinderbischof im Gottesdienst eine Predigt in lateinischen oder deutschen Versen vor. Anschließend folgte ein Umzug durch die Stadt, den der Kinderbischof auf einem Pferd anführte und dem sich die Kinder der Stadt als Engel, Priester, Amtsherren, Ritter oder Teufel verkleidet anschlossen, Almosen und Lebensmittel einforderten und dabei allerlei Schabernack trieben.

Kein Karneval

"Mit Karneval und Jux hat das, was wir heute machen, nichts mehr zu tun", betont Pastor Johann Hinrich Claussen von der Sankt Nikolaikirche in Hamburg-Harvestehude. Vor 16 Jahren hatte sein Vorgänger Ferdinand Ahuis die Tradition der Kinderbischöfe nach Jahrhunderten als Erster wiederbelebt. Auch jetzt sind seit dem Nikolaustag wieder drei Hamburger Kinderbischöfe im Amt. Die jungen, aber selbstbewussten Schüler wurden in ihren Klassen ausgesucht und haben keine Schwierigkeiten ihre Anliegen klar vorzutragen: Das Thema der auserwählten Fünftklässler sind in diesem Jahr der Zustand der Spielplätze in Hamburg.

Bei der offiziellen Amtseinführung am Nikolaustag hielten die Schüler mit Bischofsmantel, Stab und Mütze ausgestattet eine Predigt im Gottesdienst. Zuvor wurde fünf Wochen lang gemeinsam mit 170 Altersgenossen die Situation der Hamburger Spielplätze untersucht, bewertet und dokumentiert. Die Ergebnisse der Recherche präsentierten die drei jungen Bischöfe kürzlich dem Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte.

Zuhören

"Die Politiker hören den Kinder wirklich zu und nehmen sich Zeit. Das Echo in den Medien spielt dabei natürlich auch eine wichtige Rolle", meint Pastor Johann Hinrich Claussen. Es ginge in erster Linie darum, den Kindern beizubringen, dass sie etwa verändern können in der Welt. Dass es bei den Kinderbischöfen nicht nur um guten Willen der Tradition wegen geht, beweisen konkrete Erfolge aus den vergangenen Jahren. So stand im letzten Jahr bei den Hamburger Kinderbischöfen die Frage im Zentrum, wieso man seine direkten Nachbarn in der Stadt eigentlich nicht wirklich kenne. Der zunehmenden Abkapselung der Hamburger Stadtteile voneinander begegneten die Kinder mit erfolgreichen Besuchs- und Kooperationsprojekten. Geleitet werden diese Unternehmungen zwar von Erwachsenen, initiiert wurden sie allerdings von den Kinderbischöfen. "Es geht darum, dass die Erwachsenen einfach mal still sind und die Kinder bestimmen lassen", betont Claussen.

Auch in Berlin, wo Superintendent Ralf Meister am Nikolaustag erstmals gezielt bereits ältere und selbstständigere Schüler aus der siebten bis neunten Klasse ins Bischofsamt berufen hatte, sind erste konkrete Erfolge bei den Bemühungen um mehr Bildungsgerechtigkeit zu sehen. Bis zum Ende ihrer Amtszeit am 25. Februar werden die vier Schülerbischöfe eine interkulturelle Lesegruppe sowie eine eigene Bibliothek ins Leben rufen, in der Schüler aus den höheren Klassen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum gemeinsam mit jungen Schülern mit Migrationshintergrund Texte lesen, um so ihr Ausdrucksvermögen fördern.

Kein Lampenfieber

"Wir wollten mit den Schülerbischöfen das Fest des Nikolaus" weg vom reinen Konsum mit symbolischen Initiativen neu konturieren", betont Ralf Meister. Wegen der baldigen Treffen mit den Vertretern aus der Politik haben die engagierten, selbstbewussten Jugendlichen kein Lampenfieber: "Letztlich sind das auch nur Menschen".


Cornelius Wüllenkemper ist freier Journalist und lebt in Berlin