Proteste nach chaotischem Wahlsonntag in Haiti

Proteste nach chaotischem Wahlsonntag in Haiti
Nach den chaotischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Haiti haben Oppositionspolitiker und tausende Demonstranten eine Annullierung des Urnengangs gefordert.
29.11.2010
Von Matthias Knecht

Knapp elf Monate nach dem verheerenden Erdbeben sollten die Wahlen für Haiti den Aufbruch in eine bessere Zukunft markieren. Doch sie endeten im Chaos. Aufgebrachte Bürger plünderten am Sonntag (Ortszeit) Wahllokale, errichteten Barrikaden und zündeten Autoreifen an. In der Hauptstadt Port-au-Prince demonstrierten Tausende für eine Annullierung der Präsidentschafts- und Parlamentswahl.

Dasselbe forderten die Favoritin Mirlande Manigot und die Mehrheit der 19 Bewerber für das Präsidentenamt. In einer gemeinsamen Erklärungen sprachen sie von massivem Wahlbetrug. Sie werfen der Regierung "Kidnapping der Wahlen" zugunsten ihres Kandidaten Jude Celéstin vor, Schwiegersohn des amtierenden Präsidenten René Préval.

Beweise für einen Betrug legten Manigat und die anderen Kandidaten bisher nicht vor. So wies die provisorische Wahlbehörde den Vorwurf auch zurück und erklärte die Abstimmung in den meisten Bezirken für gültig. Doch mit ihrer chaotischen Organisation nährte die eilends nach dem Erdbeben aufgebaute Behörde das Misstrauen.

Wähler an Stimmabgabe gehindert

Haitis "Nationales Netz zur Verteidigung der Menschenrechte" sprach von einer "Schande für die Behörden". Ähnlich äußerte sich ein internationaler Wahlbeobachter, der in lokalen Medien von "katastrophalen Wahlen" sprach. Eine offizielle Stellungnahme gaben die 100 Beobachter der Organisation Amerikanischer Staaten zunächst aber nicht ab.

Bereits in den Tagen vor der Wahl hatte lokale Beobachter vor einem möglichen Betrug gewarnt, nachdem die Wahlbehörde bereits nominierte Supervisoren der Opposition durch regierungstreues Personal ausgewechselt hatte. Die Regierungstreuen sollen laut Manigat am Wahltag oppositionelle Wähler an der Stimmabgabe gehindert haben. Zudem hingen vertauschte Listen vor vielen Wahllokalen. Erboste Wähler fanden ihren Namen nicht und konnten darum nicht abstimmen. An anderen Orten stimmten Bürger laut lokalen Medien zweimal ab, oder sie verwendeten die Personalausweise von Menschen, die beim Erdbeben umgekommen waren. Und in den Slums von Port-au-Prince sollen plötzlich volle Urnen aufgetaucht sein.

"Vertiefung der humanitären Krise"

Eine Niederlage ist die Chaos-Wahl für die internationale Gemeinschaft. Mit 29 Millionen US-Dollar hat das Ausland die Wahlorganisation unterstützt. 12.600 Soldaten und Polizisten der UN-Friedensmission überwachten die Abstimmung über den Nachfolger von Präsident René Préval, der laut Verfassung nicht wieder kandidieren durfte. Zudem wurden zugleich die nach dem Erdbeben verschobenen Wahlen für alle 99 Sitze des Abgeordnetenhauses und 11 der 33 Senatssitze nachgeholt.

Für Haiti steht viel auf dem Spiel. Rund zehn Milliarden US-Dollar versprach die internationale Gemeinschaft nach der Jahrhundertkatastrophe mit rund 230.000 Toten. Bisher floss das Geld nur spärlich, da die Geber die neue Regierung abwarten wollten. Bereits vor der Wahl warnte die International Crisis Group vor einer "Vertiefung der humanitären Krise", sollten Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Abstimmung aufkommen.

Genau dieser Fall ist jetzt eingetreten. Damit droht Haiti weitere politische Instabilität und weitere Zurückhaltung der Geldgeber. Dabei bleibt Haiti dringend auf die ausländische Hilfe angewiesen. Denn zugleich leidet das Land unter einer Cholera-Epidemie, die bisher mehr als 1.600 Menschenleben forderte.

epd