Kerzengroschen für die Russisch-Orthodoxen

Kerzengroschen für die Russisch-Orthodoxen
Die deutschen Kirchen haben die Kirchensteuer, die amerikanischen Megachurches ihre Spendenaufrufe in Fernsehsendern. Die russisch-orthodoxen Gemeinden in Russland haben kein so ausgefeiltes Unterstützungsystem. Sie verkaufen Kerzen, damit in ihren Kirchen das Licht nicht ausgeht.
02.11.2010
Von Ann-Dorit Boy

Das Geheimnis sind die langen dünnen Bienenwachskerzen. In jeder russisch-orthodoxen Kirche brennen sie vor den Heiligenbildern, oft in sandgefüllten Schalen. Kaum ein gläubiger Russe betritt ein Gotteshaus, ohne eine Kerze anzuzünden. Man kauft sie am Eingang für umgerechnet einen Euro, rund zehnmal teurer als der Herstellungspreis. Die Wachslichter sind die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden in einem System ohne Kirchensteuer, in dem jede einzelne Kirche für ihre Finanzierung selbst verantwortlich ist.

Zwei Drittel der Einkünfte einer durchschnittlichen russisch-orthodoxen Gemeinde stammen aus dem Erlös des Kerzenverkaufs, das restliche Drittel aus der Sammelbüchse und den Gebühren für Riten wie Beichte oder Trauungen. "Unsere Kirchen versorgen sich selbst. Dieses System stammt noch aus der Sowjetzeit", erläutert Wladimir Wigilianski, Leiter der Presseabteilung des Moskauer Patriarchats.

Die Gemeinden leiten zehn Prozent ihrer Einnahmen an die zuständige Diözese weiter. Diese wiederum zahlt einen Teil an das Patriarchat in Moskau. Je nach Standort sind die Gemeinden relativ wohlhabend oder bitterarm. Ein System der Umverteilung gibt es nicht. Patriarch Kyrill wolle dies aber künftig ändern, kündigt Wigilianski an.

Kerzen, Ölmillionen und ein kircheneigenes Hotel

Ein Kirchenfinanzierung auf der Basis regelmäßiger Abgaben der Gläubigen, wie etwa in Deutschland, kommt für die russisch-orthodoxe Kirche nicht in Frage. Die Einkünfte der meisten Russen seien zu gering, klagte unlängst Metropolit Hilarion, der Leiter des Außenamtes beim Moskauer Patriarchat. Die Kirche benötige deshalb dringend regelmäßige Einnahmequellen, um ihre missionarische und soziale Arbeit zu finanzieren. Von den mehr als 140 Millionen Bewohnern Russlands zählen sich mehr als 60 Prozent zum orthodoxen Glauben. Zur Russischen Orthodoxen Kirche gehören allein in Russland insgesamt 12.600 Gemeinden.

Neben den Zahlungen der Diözesen fließt dem Patriarchat offiziell der Gewinn einer großen Manufaktur für Kerzen, Ikonen und sonstige Kirchenartikel in Sofrino nahe der russischen Hauptstadt. Auch ein kircheneigener Hotelkomplex in Moskau bringt Geld in die Kassen. Wie hoch diese Einnahmen und das Budget des Patriarchats sind, möchte der Kirchensprecher allerdings nicht verraten.

Nikolai Mitrochin, Historiker und Experte für die russisch-orthodoxe Kirche bei der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen, weiß noch von weiteren Geldquellen. "Die wichtigsten Sponsoren der Kirche sind die großen Staatskonzerne. Gazprom, Lukoil und die russische Eisenbahngesellschaft haben in den vergangenen 20 Jahren Zehntausende Millionen Rubel investiert", sagt Mitrochin. Die Missionsabteilung, das sei bekannt, werde fast komplett vom Gaskonzern finanziert. Von den zahlreichen neuen Kirchen, die jedes Jahr im ganzen Land gebaut werden, sei ebenfalls ein Großteil von Sponsoren aus der Wirtschaft bezahlt.

Gebäude und Ländereien will die Kirche behalten

Bis vor wenigen Jahren versuchte die orthodoxe Kirche selbst, mit kommerziellen Aktivitäten Geld zu verdienen. Es habe Experimente im Bankensektor und in der Landwirtschaft gegeben, erläutert Kirchensprecher Wigilianski. Diese wurden jedoch aufgegeben, auch weil die Bevölkerung es nicht goutiert habe, dass die Kirche als Unternehmen auftrat. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass das Patriarchat in den 90er Jahren Tabak und Alkohol importierte. Die Kirche weist diese Vorwürfe zurück. Es habe sich dabei um eine Diffamierungskampagne der Jelzin-Regierung gehandelt.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat der russische Staat der Kirche zahlreiche Ländereien, Kirchen und Kulturgüter zurückgegeben, die zu kommunistischen Zeiten enteignet worden waren. Ministerpräsident Wladimir Putin setzt sich zum Leidwesen vieler russischer Museumsdirektoren dafür ein, dass der Kirche weitere Klöster, Ländereien und wertvolle Ikonen übergeben werden. Jedoch sind UNESCO-geschützte Kirchen wie die im Moskauer Kreml davon ausgenommen.

Ob dies die Finanzsituation der orthodoxen Kirche ändern wird, hängt davon ab, wie sie das Eigentum nutzt und nutzen darf. Nach Angaben von Kirchensprecher Wigilianski sollen keine Kirchengüter verkauft werden und auch der kostbare Moskauer Baugrund werde nur für kirchliche Zwecke genutzt.

epd