Friedensnobelpreis "nicht für Schreibtischarbeit"

Friedensnobelpreis "nicht für Schreibtischarbeit"
Chinesische Menschenrechtler sind 2010 die Favoriten für den Friedensnobelpreis. Vor der Entscheidung hüllt sich das Osloer Komitee in Schweigen, deutet aber an: Die Auszeichnung soll "nicht für Arbeit am Schreibtisch" vergeben werden.
05.10.2010
Von Thomas Borchert

Kurz vor der Osloer Entscheidung über den diesjährigen Friedensnobelpreis spielt der Komiteechef ein bisschen Orakel. "Wir wollen den Preis an jemanden geben, der gekämpft hat, ein Risiko eingegangen ist. Der aktiv ist und Friedensarbeit nicht hinter einem Schreibtisch betrieben hat", sagte Thorbjørn Jagland in einem Interview mit "Drammens Tidende". Ob er damit die heftigen Spekulationen über den inhaftierten chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo oder einen anderen Kandidaten aus der Menschenrechtsbewegung in China indirekt bestätigen wollte, ließ der Norweger offen.

Zumindest sicher scheint damit aber, dass nach der sensationellen Verleihung des Preises an US-Präsident Barack Obama kein Politiker in mächtiger Position oder in Ehren ergrauter Ex-Regierungschef wie der Jahr für Jahr nominierte Helmut Kohl ausgezeichnet wird. Zu Jaglands Andeutungen würden weniger schlagzeilenträchtige Kandidaten perfekt passen: etwa die afghanische Menschenrechtlerin Sima Samar, die Russin Swetlana Gannuschkina von der vor allem für Tschetschenen aktiven Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" oder eben die Chinesen Liu Xiabo und der ebenfalls inhaftierte Aids-Aktivist Hu Jia.

Obama eine falsche Entscheidung?

Der einzige Mann im fünfköpfigen Osloer Komitee hat vielleicht selbst eingesehen, dass die Entscheidung für Obama nach nur einem Amtsjahr im Weißen Haus bei allem guten Willen vielleicht doch keine so glückliche Idee war. Reiner Vorschuss, viel zu früh und überdies wohl auch keine echte Hilfe für den mit gigantischen Erwartungen ohnehin schwer beladenen Präsidenten aus Washington, lautete die Kritik. Obama machte bei seiner Blitzvisite in Oslo zum Empfang der Medaille und der Dotierung von zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp eine Million Euro) auch nicht unbedingt den glücklichsten Eindruck.

Beim Anlauf für die diesjährige Entscheidung hat sich Geir Lundestad, der zwar nicht stimmberechtigte, aber einflussreiche Chef des Osloer Nobelinstitutes, öffentlich über Druck durch Regierungsmitglieder aus Peking beklagt. Das werten Beobachter als Indiz für eine mögliche Vergabe an Liu Xiabo, die Lundestad schon vorher ein bisschen "absichern" wolle. In den vergangenen Jahren soll es hinter den Kulissen diskrete Hinweise an das Komitee auch aus norwegischen Regierungskreisen gegeben haben, dass man den Zorn der chinesischen Führung vielleicht lieber vermeiden würde.

Unkonventionelle Entscheidung?

Als früherer sozialdemokratischer Ministerpräsident und Außenminister kennt Jagland die heimischen "Regierungskreise" bestens und von innen. Dass er den Vorsitz im Nobelkomitee auch behalten hat, als ihn der Europarat in Straßburg vor einem Jahr zu seinem Generalsekretär wählte, empfinden manche als Gefahr für seine Unabhängigkeit bei der Nobelpreisvergabe. "Es könnte um Vorschläge für den Friedensnobelpreis gehen, die Mitgliedsländern im Europarat nicht schmecken", meinte Kaare Willoch, wie Jagland früher mal Regierungschef in Oslo.

Forderungen nach seinem Rücktritt weist der Komiteechef ab und verbreitet ungebremste Tatenlust bei der Suche nach neuen Preisträgern: "Wir denken im Komitee ganz anders, als die Presse und manche Experten glauben." Das könnte man vielleicht als versteckten Hinweis auf eine ganz und gar unkonventionelle Entscheidung am nächsten Freitag interpretieren. Warum nicht den Friedensnobelpreis an das Internet? Es ist ist wegen seiner friedensstiftenden Wirkung auf die Liste mit 237 Kandidaten gekommen. Oder vielleicht die EU? Sie wurde vor ein paar Jahren sogar schon mal als "Favorit" gehandelt.

dpa