Koalition übernimmt Vorschlag der Pharmabranche

Koalition übernimmt Vorschlag der Pharmabranche
Nach dem Deal mit den Energieversorgern zur Atompolitik muss sich die Koalition erneut Kritik wegen Klientelpolitik gefallen lassen. Dieses Mal geht es um die Bewertung von neuen Arzneimitteln, die bisher von einem unabhängigen Gremium erfolgte.

Die Bewertung neuer Arzneimittel soll künftig - wie von der Pharmaindustrie gefordert - nach Vorgaben der Bundesregierung erfolgen und nicht nach denen eines unabhängigen Gremiums. Die Opposition warf Schwarz-Gelb drastische Klientelpolitik vor. Das Bundesgesundheitsministerium und die CDU wiesen die Kritik zurück: Von einer Entschärfung der Pharmaregeln könne keine Rede sein. Unterdessen warnten die Krankenkassen vor einer neuen Finanzlücke durch die Gesundheitsreform.

Grüne: Koalition lernt nicht aus Desaster

"Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats das Nähere zur Nutzenbewertung", heißt es in einem Antrag der Koalitionsfraktionen, der der Nachrichtenagentur dpa am Freitag vorlag. Dies hatte der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) in einem der dpa vorliegenden Papier fast wortgleich vorgeschlagen. Im Gesetzentwurf für die Neuordnung des Arzneimittelmarktes war noch geplant, dass der gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Kassen die wichtigen Details unabhängig von der Politik regelt. Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) und die "Frankfurter Rundschau" hatten zuerst über die Änderung berichtet.

"Rösler stellt nicht den Nutzen für die Patienten in den Vordergrund, sondern den Nutzen für die Pharmaindustrie", sagte die SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann der dpa. Mit der geplanten Verordnung umgehe die Koalition demokratisch legitimierte Gremien. Grünen-Expertin Birgitt Bender sagte: "Statt vom Desaster der reduzierten Mehrwertsteuer für Hotels zu lernen, treibt die Koalition ihre Klientelpolitik auf die Spitze." Der oberste deutsche Arzneimittelkontrolleur Jürgen Windeler forderte in der "Financial Times Deutschland", Patienten dürfe man nicht zumuten, unnütze Pillen zu schlucken, um Herstellerinteressen entgegenzukommen.

"Die Vorwürfe sind haltlos", sagte der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), Christian Lipicki. Alle weiteren Regelungen - außer der neuen Zuständigkeit des Ministeriums - habe es bereits im Gesetzentwurf gegeben. "Das bedeutet keine Aufweichung zugunsten der Pharmaindustrie." Vfa- Geschäftsführerin Cornelia Yzer wies die Behauptung züruck, die Politik habe von ihrem Verband abgeschrieben. Der CDU- Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte der dpa, die Nutzenbewertung solle nur nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen. "Alles andere wäre fatal und wird es mit uns nicht geben."

Arzneipreise treiben Krankenkassenkosten

Seit Jahren treiben die von den Firmen frei festgesetzten Preise für neue Medikamente die Kassen-Ausgaben in die Höhe. Kritiker monieren, die Mittel seien oft kaum verändert - höhere Preise deswegen nicht vertretbar. Die Nutzenbewertung soll Basis für Rabattverhandlungen zwischen Herstellern und Kassen werden.

Harsche Kritik setzte es auch an der geplanten Finanzreform für die Kassen. Anlässlich einer Verbandsanhörung dazu warnten die Kassen vor einer neuen Finanzlücke. "Wer einen steuerfinanzierten Ausgleich erst ab 2015 in Aussicht stellt, riskiert spätestens ab 2013 Zusatzbeiträge auf breiter Front und kann nicht für sich beanspruchen, eine verteilungsgerechte Lösung geschaffen zu haben", sagte die Sprecherin des Kassen-Spitzenverbands, Ann Marini. AOK-Chef Herbert Reichelt warnte, wegen mangelnder Bundeszuschüsse müsse der Sozialausgleich für Zusatzbeiträge ab 2014 wohl über höhere Zusatzbeiträge finanziert werden - statt wie geplant über Steuermittel.

Der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbands, Eberhard Jüttner, warnte: "Die staatlich geförderte Rosinenpickerei der privaten Krankenversicherung (PKV) auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft ist unerträglich unsozial und muss gestoppt werden." Der Bundesvize des Beamtenbunds, Klaus Dauderstädt, sagte: "Diese Reform verdient ihren Namen nicht. Sie ist weder nachhaltig noch sozial ausgewogen."

dpa