3-D-Fernsehen zwischen Erwartung und Realität

3-D-Fernsehen zwischen Erwartung und Realität
3-D lautet der Trend nicht nur im Kino, sondern inzwischen auch beim Fernsehen. Doch die Sender tun sich schwer. Inhalte fehlen und billige Produktionen drohen, Chancen zu zerstören.
08.09.2010
Von Alexander Gajic

Der Speer, der aus der Leinwand sticht. Viele Menschen denken wahrscheinlich auch heute noch an solche "pop out"-Effekte, wenn sie an bewegte, dreidimensionale Bilder denken - 60 Jahre 3-D-Kino als Jahrmarktattraktion sind schuld. 60 Jahre, in denen scheinbar mit Nachdruck daran gearbeitet wurde, das 3-D-Bilder vor allem eins sind: Spektakel. Denkbar für den kleinen Kick, aber kein Thema für ernsthafte Filmkunst.

Inzwischen denken einige vermutlich auch noch an computeranimierte Trickfilme und natürlich an "Avatar", den Film mit dem höchsten Einspielergebnis aller Zeiten, der das Thema 3-D endgültig und unübersehbar in den Routenplaner der weltweiten Medienlandschaft katapultiert hat. Wer sich für Filme begeistert, hat mittlerweile vermutlich auch schon Filme in 3-D gesehen, und obwohl der Hype derzeit noch anhält, ebbt er schon wieder ab. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete am 30. Juli von einer Studie, nach der zumindest in den USA schon erste "Ermüdungserscheinungen" eingetreten sind: der Anteil der Zuschauer, die einen neuen Film in der dreidimensionalen Version sehen, sinkt von Filmstart zu Filmstart.

Verschwendete Dimension

Die Stimmung des Publikums spiegelt sich auch bei einigen prominenten Autoren wider. In den USA veröffentlichte Kritikerpapst Roger Ebert einen Artikel in "Newsweek" mit dem Titel "Why I hate 3-D (and You Should Too)", in Großbritannien gehört der beliebte BBC-Kritiker Mark Kermode zu den Gegnern der neuen Technik. 3D sei "eine verschwendete Dimension" schreibt Ebert, es füge dem Filmerlebnis "nichts hinzu" außer Kopfschmerzen und Defiziten für Menschen, die keine stereoskopischen Bilder sehen können. Auf der anderen Seite der Streikpostenkette steht die produzierende Industrie. Im Kino setzen die großen Studios in den 3-D-Film mindestens ebenso viel Hoffnung wie die Verlage in Tablet-PCs.

3-D-Filme lassen sich teurer verkaufen, als Events anpreisen und scheinen - für den Moment zumindest - relativ sicher vor Piraterie: eine Goldgrube. Einige Verwertungsschritte weiter, im Fernsehsektor, sind es vor allem die Gerätehersteller, die den 3-D-Trend vorantreiben. Wer auch nur ein Spiel der Fußball-WM diesen Sommer gesehen hat, dem dürfte sich die 3-D-Werbung von Sony in die Netzhaut gebrannt haben, so oft, wie sie zu sehen war. Auch Elektronikmärkte werben prominent mit 3-D-fähigen Flachbildschirmen, die "das grenzenlose Fernseh-Vergnügen" versprechen: "Was bislang nur im Kino erlebbar war, kommt jetzt zu Ihnen ins Wohnzimmer", heißt es in der Broschüre des Herstellers Panasonic.

Keine konkreten Planungen

Zwischen den Zeilen enthüllt dieselbe Broschüre allerdings das zentrale Problem des 3-D-Fernsehmarktes: Es gibt nichts zu sehen. Viele 3-D-Filme werde es "in Kürze" auf Blu-Ray geben, heißt es, und die stereoskopische Übertragung der French Open durch den französischen Telekommunikationskonzern Orange in Kooperation mit Eurosport im Mai sei nur der Auftakt für "viele weitere 3-D Sport-Übertragungen". Konkrete Aussichten: Fehlanzeige. Wie wenig das Marktschreiertum der Elektronikhersteller, das sich auch deutlich im Programm der IFA widerspiegelt, insbesondere mit der deutschen Realität zu tun hat, merkt man schnell, wenn man mit hiesigen Fernsehmachern telefoniert.

3-D-Fernsehen "ist für uns auf absehbare Zeit kein Thema", heißt es beim ZDF. Man beobachte die Entwicklung "mit Interesse", aber ohne "konkrete Planungen", lautet die Auskunft der Mediengruppe RTL. Ähnlich die ProSiebenSat.1-Gruppe, die immerhin bei einem Fußballspiel mal mit der Technik experimentiert hat: "Grundsätzlich sind wir für jeden technologischen Fortschritt offen, der unseren Zuschauern einen echten Mehrwert bietet", sagt Konzernsprecher Julian Geist. "Beim Thema 3-D können wir im Moment allerdings noch keine genaue Prognose abgeben, wann es tatsächlich marktrelevant wird."

Jedes System braucht seine Brille

In der ARD erfährt man hinter vorgehaltener Hand, dass die Frage, ob der momentane Boom nur eine Blase ist, nicht der einzige Zögerfaktor ist. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben auch gerade erst große Summen in HDTV investiert, ein Feld, auf dem es noch "genug zu tun" gebe. Genug zu tun gibt es übrigens auch noch in der 3-D-Fernsehtechnik, die ja als Schritt zumindest aus Konsumentensicht wesentlich spektakulärer ist als HDTV. Beispielsweise sind die Shutterbrillen der einzelnen Display-Hersteller nicht miteinander kompatibel. Hätte der Inhaber eines Panasonic-Gerätes seine Nachbarin mit Sony-3-D-Fernseher gerne zu einem französischen Tennisnachmittag zu sich eingeladen, hätte er ihr für rund 120 Euro eine Extra-Brille kaufen müssen, weil ihre Sonybrille bei ihm nicht funktioniert. Zudem muss er damit rechnen, dass ihr das Zuschauen Unwohlsein bereiten kann. Die sogenannte Disparity, die Verschiebung zwischen den beiden Stereobildern, die den räumlichen Effekt erzeugt und je nach Bildschirmgröße auch unterschiedlich berechnet werden muss, könne immer noch leicht zu Gesundheitsproblemen führen, wenn unachtsam produziert werde, sagt Dietrich Westerkamp, der die gerade gegründete Arbeitsgruppe 3D-HD-TV bei der Deutschen TV-Plattform leitet.

Weitere offene Fragen gebe es im Bereich der Übertragung: Wer zwei Vollbilder übertragen will, braucht auch die doppelte Netzkapazität. Die gängige Alternative besteht derzeit in der Übertragung von zwei nebeneinander gestauchten Bildern in einem "Frame" - was einen leichten Qualitätsverlust bedeuten kann. Insgesamt gesehen "ist Deutschland wie schon bei HDTV nicht in der Pole-Position", meint Westerkamp. Im europäischen Umland starten derzeit stereoskopische Pay-TV-Sender von BSkyB (Großbritannien), Canal+ (Frankreich) und Sogecable (Spanien). Auch in den USA gibt es 3-D-Kanäle von ESPN und DirectTV über Satellit.

In der Bundesrepublik hat es bisher nur für einzelne Sport-Showcases gereicht, Fußballspiele für geladene Gäste bei Sat.1 und Sky Deutschland im März, das Auftaktspiel der Eishockey-WM im Mai bei Liga Total, dem IPTV-Kanal der Telekom. Inzwischen hat Sky bekannt gegeben, auch in Deutschland einen 3-D-Kanal starten zu wollen.

In den Kinderschuhen

Fast immer involviert, wenn es um 3-D geht: die Münchner Constantin Medien AG. Das Unternehmen bringt über Constantin Film nicht nur dieses Jahr noch drei stereoskopische Produktionen ins Kino, die zur Firma gehörende Produktionsfirma Plazamedia hat auch alle oben erwähnten Showcases inszeniert. Und Liga Total ist ohnehin eine Constantin-Tochter. Im Gespräch mit Robert Adams, der als Bereichsleiter Außenproduktion bei Plazamedia alle Sportevents koordiniert hat, wird deutlich, dass das zaghafte Herantasten der Sender an den 3-D-Markt nicht nur mit Geld zu tun hat. Die ganze Industrie steckt noch in den Kinderschuhen. So mussten die Plattformen für die 3-D-Kameras noch im Eigenbau zusammengeschraubt werden, der Aufbau wurde mit Fußball spielenden Mitarbeitern in der Ü-Wagen-Halle geprobt. Vor allem aber erfordert stereoskopische Inszenierung eine völlig neue Herangehensweise: "3-D lebt von Tiefenwirkung, Bewegung und davon, dass man nah am Geschehen ist", sagt Adams. Kameras müssen vertikal niedriger und horizontal näher am Spielfeldrand stehen, denn die bei Fußballübertragungen üblichen großen Totalen wirken leblos und flach.

Auch andere Techniken, die im 2D-Sport gang und gäbe sind, Blenden etwa oder schnelle Schnitte, müssen 3-D-Regisseure sich abgewöhnen. "Die Belohnung ist ein völlig neues Seherlebnis", sagt Adams und wirkt dabei ehrlich begeistert. "Hoffentlich wird das keine Seifenblase." Wer einmal bei einer guten 3-D-Inszenierung Blut geleckt hat, scheint keine Zweifel mehr daran zu haben, dass der Stereoskopie die Zukunft gehört. In der Kritikerdebatte spiegelt sich hingegen die übliche Innovationsskepsis wider, die auch Ton- und besonders Farbfilm und -fernsehen schon durchleben durften. War der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm noch relativ eindeutig als ein Schritt zu erkennen, der eine völlig neue Herangehensweise an das Erzählen von Geschichten erforderte, galt das Drehen in Farbe lange Zeit als teures Gimmick, das sich nur für große Spektakelproduktionen wie Monumentalfilme und Musicals lohnte. Klingt das nicht vertraut?

Ganz neue Geschichten

Über 30 Jahre dauerte es, bis Farbe im Spielfilm, und anschließend im Fernsehen, zum Standard wurde. Mittlerweile stellt niemand mehr die Frage danach, warum Nachrichten und Plenardebatten überhaupt in Farbe übertragen werden müssen, weil niemand mehr glaubt, dass Farbe nur dazu da ist, bunt zu sein. Genauso könnte sich in der Zukunft auch der Gedanke durchsetzen, dass Stereoskopie nicht nur den Zweck hat, dem Zuschauer kurzfristige Knallbonboneffekte zu präsentieren. Umso größer ist die Angst der Fürsprecher, dass die neue Technik von Profitgier und Eventsucht verbrannt wird. Ludger Pfanz, der an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe das neu gegründete "Expanded 3-Digital Cinema Laboratory" leitet, zeichnet zwei Szenarien für die Zukunft dreidimensionaler Bilder. Im schlimmsten Fall, erklärt er, sei der weitere Weg gepflastert mit nachträglich auf 3-D gerechneten und entsprechend schlammig aussehenden Produktionen wie der US-Film "Kampf der Titanen", die vor allem ein Stück vom Hype-Kuchen abhaben wollen.

Sollte sich der Trend irgendwann bis ins Fernsehen fortsetzen, ahnt Pfanz auch dort ein hastiges Nachsteuern ohne Konzept. "Wenn wir die Chancen aber richtig nutzen", so der Institutsleiter, "können wir ganz neue Geschichten erzählen." Seiner Ansicht nach muss die Inszenierung von 3-D schon beim Drehbuch anfangen. So wie beim Farbfilm einzelne Farben eine psychologische Wirkung entfalten können, besitze auch der Raum seine eigene Bedeutungsebene. Es gehe eben nicht nur darum, die Raumillusion zu perfektionieren, sondern darum, den Zuschauer mit gezielter Inszenierung zum Nachdenken zu bringen.

Das wandernde Auge

Große Chancen sieht Pfanz auch für den Dokumentarfilm. Stereoskopie produziere Bilder, in die man "richtig reinschauen" kann: "Man hat viel mehr zu gucken, weil das Auge im Raum besser wandern kann", sagt er. Mindestens zwei prominente Arthaus-Filmemacher hat er auf seiner Seite: Wim Wenders produziert derzeit einen Tanzfilm zum Werk der letztes Jahr verstorbenen Choreografin Pina Bausch. Sein Kollege Werner Herzog dreht eine Dokumentation über Höhlenmalerei in Frankreich. "Die zweidimensionale Kinoleinwand", sagt Wenders in der Pressemitteilung zu "Pina", "war bislang nicht in der Lage, weder emotional noch ästhetisch, Pina Bauschs Arbeit gerecht zu werden." 3-D gebe ihm die Möglichkeit, "den Zuschauer direkt mit auf die Bühne zu nehmen, mitten hinein ins Zentrum des Geschehens". Herzog spricht ähnlich evangelistisch von seinen Erfahrungen. Wer jedoch die deutsche Filmlandschaft kennt, weiß, dass außer Wim Wenders in Deutschland niemand Dokumentarfilme ohne einen koproduzierenden Fernsehsender auf die Beine stellen kann.

Das bedeutet wiederum, dass der Traum vom wandernden Auge schnell an seine Grenzen stößt. Die Berliner Filmemacher Alex Weimer und Esther Friedrich präsentierten auf der Medienwoche Berlin-Brandenburg einen ersten Trailer für ihren 3-D-Kurzanimationsfilm "Water Soul". "Wir wollten mit 3-D von Anfang an dabei sein, um uns früh zu etablieren", sagt Friedrich. Der Plan lautet, die Erfahrungen von "Water Soul" anschließend in weiteren Produktionen umzusetzen, unter anderem in einem Dokumentarfilm über amerikanische Alltagslebensräume

Bisher sind die Absolventen der Fachhochschule Würzburg in der deutschen TV-Landschaft allerdings abgeblitzt. "Der erhöhte Produktionsaufwand für 3-D macht die Zusammenarbeit mit Fernsehsendern schwierig", meint Weimer. Jetzt denken die beiden Movie Brats, so der Name ihrer Produktionsfirma, darüber nach, den Sendern auch eine 2-D-Fassung anzubieten, anders geschnitten versteht sich. Solche Geschichten sind Wasser auf die Mühlen von Ludger Pfanz. Gerade die Sender, die in Deutschland für Qualitätsfernsehen stehen, müssten seiner Ansicht nach ganz vorne mit dabei sein, wenn es darum geht, die Möglichkeiten der neuen Technik auszuloten. Wer jetzt einsteige, könne 3-D relativ günstig produzieren lassen, meint er, in ein paar Jahren sei es zu spät. "Dann haben andere den Markt längst besetzt. Und die öffentlich-rechtlichen Sender werden sich wieder fragen, warum keiner bei ihnen Fernsehen guckt."


Der Artikel von Alexander Gajic stammt aus der Ausgabe 67/2010 der Fachpublikation epd medien.