Bundesbank will sich von Thilo Sarrazin trennen

Bundesbank will sich von Thilo Sarrazin trennen
Die Deutsche Bundesbank will ihr Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin loswerden. Der Vorstand der Deutschen Bundesbank beschloss am Donnerstag einstimmig, bei Bundespräsident Christian Wulff die Abberufung von Sarrazin als Mitglied des Vorstandes zu beantragen. Der SPD-Politiker und frühere Berliner Finanzsenator war wegen seiner provokanten Thesen zur Integration von Muslimen in Deutschland, zur Erblichkeit von Intelligenz sowie zur genetischen Disposition von Juden in die Kritik geraten.

Die Bank entzog dem 65-Jährigen am Donnerstagnachmittag mit sofortiger Wirkung alle Zuständigkeiten im sechsköpfigen Vorstand. Sarrazin nahm an der Sitzung nicht teil. Über die Abberufung aus der Führung des Geldinstituts muss nun Wulff entscheiden. Er hatte sich am Mittwoch erstmals zum Fall Sarrazin geäußert und der Bundesbank eine Trennung nahegelegt. Er glaube, dass der Vorstand der Deutschen Bundesbank "schon einiges tun" könne, "damit die Diskussion Deutschland nicht schadet - vor allem auch international", sagte Wulff dem Nachrichtensender N24.

 

Am Donnerstag ließ der Präsident mitteilen, er werde den Antrag prüfen und zunächst keine Stellungnahme abgeben. Die Abberufung eines Vorstandsmitgliedes von der Spitze der Bundesbank ist in der bundesdeutschen Geschichte ohne Beispiel. Ein Regierungssprecher sagte nach Bekanntwerden des Vorstandsbeschlusses, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die "unabhängige Entscheidung" mit großem Respekt zur Kenntnis genommen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sprach von einem längst überfälligen Schritt. Mit seinen jüngsten Äußerungen habe Sarrazin eine rote Linie überschritten.

Linke gegen "goldenen Handschlag"

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sagte, Sarrazins Abberufung sei unausweichlich geworden. Er sei als Repräsentant der Bundesbank nicht mehr tragbar. Die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, sagte, jetzt müsse sichergestellt werden, dass Sarrazin keinen "goldenen Handschlag bekommt". Der Berliner SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der durch unkonventionelle Vorschläge zur Integration bekannt geworden ist, kritisierte den Abberufungsantrag. Es gehe den Menschen gegen den Strich, wenn jemand wegen umstrittener Thesen mit einem Berufsverbot belegt werde, sagte er "Spiegel Online".

Die Spitze der Bundesbank hatte sich bereits zu Beginn der Woche distanziert und Sarrazins Äußerungen diskriminierend und abwertend genannt. Die SPD eröffnete am Montag ein Parteiausschlussverfahren gegen den ehemaligen Berliner Finanzsenator. Am selben Tag hatte Sarrazin sein Buch "Deutschland schafft sich ab" vorgestellt. Mit der Veröffentlichung sowie vorbereitenden Interviews manövrierte er sich immer mehr ins politische Abseits.

Integrationsfähigkeit von Türken und Arabern

Sarrazin gehört dem Bundesbankvorstand seit Mai 2009 an. Bereits im Oktober vergangenen Jahres waren seine Kompetenzen beschnitten worden, als er den Bereich Bargeld aus seinem Verantwortungsbereich abgeben musste und zuletzt nur noch für Informationstechnologie, Risiko-Controlling und Revision zuständig war. Auslöser war damals ein Interview mit der Zeitschrift "Lettre International", in dem Sarrazin die Mehrheit der Türken und Araber in Deutschland als "weder integrationswillig noch integrationsfähig" bezeichnet hatte.

Der Vorgang ist ohne Beispiel in der Geschichte der Bundesbank, deren Vorstand unabhängig agiert. Zwar werden die sechs Mitglieder von Bund und Ländern in das Gremium berufen. Sie können aber von diesen nicht mehr entlassen werden. Das Recht der Abberufung einzelner Mitglieder steht - auf Antrag des Bundesbankvorstands - allein dem Bundespräsidenten zu. Offen ist, ob die Bundesregierung noch eingeschaltet werden muss. Experten von Präsidialamt und Bundesregierung prüfen das gegenwärtig. Die abschließende Entscheidung des Staatsoberhaupts werde sicher nicht kurzfristig erfolgen, hieß es in Berlin.

CDU-Politiker geben Rückendeckung

Vor einem Jahr hatte Bundesbankpräsident Axel Weber noch vergeblich versucht, den Vorstand davon zu überzeugen, dass man sich von Sarrazin trennen müsse. Jetzt stünden alle vier Mitglieder hinter dem Präsidenten, heißt es. Sonst müsse man damit rechnen, bis zum Ende der Laufzeit von Sarrazins Vertrag 2014 immer wieder in die Schlagzeilen zu gelangen. Die SPD hatte am Montag gegen Sarrazin ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Allerdings ist die Haltung der Parteimitglieder dazu geteilt.

Auch aus Reihen der politischen Gegner bekommt Sarrazin Rückendeckung. So plädierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach (58) in den "Stuttgarter Nachrichten" (Donnerstag) gegen einen Ausschluss Sarrazins aus SPD und Bundesbank. "Eine große Volkspartei muss auch kontroverse Debatten führen", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags. Sarrazin nutze nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung, auch wo er sich vergaloppiere. Bundestagspräsident Norbert Lammert mahnte in der "Rheinischen Post" (Donnerstag), die Empörung über Sarrazins Worte ersetze nicht die "ehrliche Auseinandersetzung" mit "Fehlentwicklungen bei Migration und Integration".

epd/dpa