Australien: Bootsflüchtlinge sind Wahlverlierer

Australien: Bootsflüchtlinge sind Wahlverlierer
Das Thema "Bootsflüchtlinge" ist eines der beherrschenden Themen des australischen Wahlkampfes und könnte die Wahl am heutigen Samstag entscheiden.
20.08.2010
Von Michael Lenz

Am Mittwoch dieser Woche hat die australische Küstenwache nördlich der Weihnachtsinsel im Indischen Ozean ein Boot mit 31 Flüchtlingen abgefangen. Die Männer, Frauen und Kinder hatten die gefährliche Reise in einem kaum hochseetüchtigen Boot gewagt, um in Australien um politisches Asyl zu bitten. Die Weihnachtsinsel ist auch die vorläufige Endstation der Flüchtlinge. Die zu Australien gehörend Insel mit dem freundlichen Namen ist Standort des Internierungslagers für Bootsflüchtlinge.

Das Boot mit den 31 Flüchtlingen war das dritte innerhalb dieser Woche, das von der Küstenwache abgefangen wurde und schätzungsweise das 152. seit der Regierungsübernahme der Labor Partei vor drei Jahren. Insgesamt mehr als 4.000 Bootsflüchtlinge haben in diesem Jahr bereits die gefährliche Reise nach Australien unternommen und das Lager auf der Weihnachtsinsel platzt aus allen Nähten. Die meisten sind vor Verfolgung und Diskriminierung aus Sri Lanka, dem Irak und vor allem Afghanistan geflohen. Aber sie sind in Australien nicht willkommen. Im Gegenteil. Seit den Tagen von Ex-Premierminister John Howard werden Bootsflüchtlinge als Bedrohung der Sicherheit Australiens gebrandmarkt, als potentielle Terroristen, die man aus dem "besten Land der Welt" mit allen Mitteln fernhalten muss.

Wahlkampf auf dem Rücken von Bootsflüchtlingen

Die beiden großen Parteien - die Labor Partei und die konservative Liberale Partei - liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Durch das Mehrheitswahlrecht wird letztlich die Wahl in einigen wenigen Wahlkreisen in Melbourne und Sydney entschieden, in denen die Kandidaten um Bruchteile von Prozenten kämpfen.

Labor und Liberale Partei sind sich einig, dass die Bootsflüchtlinge in Zukunft nicht mehr nach Australien dürfen, nicht mal auf die Weihnachtsinsel. Bis zu der Entscheidung über die Asylanträge sollen die Flüchtlinge aus den Ländern, in denen sie politischer oder religiöser Verfolgung ausgesetzt sind, in Lagern im Ausland interniert werden. Premierministerin Julia Gillard von der Labor Partei hat Ost-Timor als Standort des Internierungslagers ausgemacht. Oppositionsführer Tony Abbott, ein bekennender Katholik, will die "Pazifische Lösung" seines Parteifreunds Howard wiederbeleben und das von der Labor-Regierung geschlossene Asylbewerberlager in dem Südseestaat Nauru wieder eröffnen. Er werde die Zahl der Boote pro Jahr auf drei senken, so wie es während der Howard-Ära war, versprach Abbott am Tag vor der Wahl.

Der Unterschied zwischen Labor und Liberaler Partei ist allenfalls graduell. Gillards Argument für Ost-Timor lautet: das Land hat internationale Flüchtlingsabkommen unterzeichnet, Nauru nicht. Auch ist die Rhetorik der Laborpolitiker gegen Bootsflüchtlinge nicht so ätzend und hetzend wie die von Abbott und den Liberalen, die damit vor wenigen Wochen den ehemaligen australischen Premierminister Malcolm Fraser, eine Gallionsfigur der Liberalen, zum Parteiaustritt getrieben hat. Unmittelbarer Anlass für den politischen Paukenschlag des 80-jährigen Elder Statesman war ein TV-Wahlkampfspot der Liberalen, in dem rote Pfeile von Asien aus nach Australien zeigten und "Invasion" von "illegalen Flüchtlingen" nach Australien suggerierten. Dieser Spot stelle "nicht nur für die Partei, sondern für ganz Australien einen Rückfall in die rassistische Vergangenheit" dar, zitierten australische Medien Fraser.

Ost-Timor vs. Nauru

Weder kann von einer "Invasion" von Asylbewerbern noch von "illegalen" Flüchtlingen die Rede sein, wie Flüchtlingshilfeorganisationen unter Verweis auf offizielle Regierungsstatistiken nachweisen. So nimmt Australien von allen Flüchtlingen, die Asyl in den 44 industrialisierten Ländern suchen, lediglich 1,6 Prozent auf. Die überwiegende Mehrheit der Bootsflüchtlinge ist bis vor kurzem als echte Flüchtlinge anerkannt worden. Vor allem aber bei den Flüchtlingen aus Afghanistan, die die das größte Asylbewerberkontingent stellen, ist die Anerkennungsraten von 90 Prozent bis zum Frühjahr dieses Jahres nach einem von der Labor-Regierung verfügten zeitweisen Stopp der Bearbeitung von Asylanträgen afghanischer Flüchtlinge auf knapp 30 Prozent gesunken. Erika Feller, UN-Assistenzflüchtlingskommissarin, kritisiert Mitte Juli, dass die australischen Behörden bei der Entscheidung über Asylanträge afghanischer Flüchtlinge nicht mehr die Entscheidungsrichtlinien der Flüchtlingshilfeorganisation der Vereinten Nationen zu Grunde legten.

Nauru ist mehr als bereit, wieder Australiens Flüchtlinge aufzunehmen. Denn Australien lässt sich bei "Kompensationszahlungen" für den Entsorgungsservice nicht lumpen. Ost-Timor hingegen lehnt Gillards Ansinnen bisher ab. Erst in dieser Woche sagte ein Sprecher der Armee Ost-Timors, sein Land sei nicht "der Müllplatz Australiens". Die einflussreiche katholische Kirche Ost-Timors ermahnte in einer "Wir sind das Volk"-Erklärung die Regierung Ost-Timors, den "Wunsch des Parlaments" zu respektieren. Das Parlament Ost-Timors hatte sich im Juli gegen den von Gillard ohne Absprache mit Ost-Timor verkündeten Bau des Asylanteninternierungslagers ausgesprochen.

Inder, Libanesen, Klimaflüchtlinge nicht willkommen

Die harsche Haltung gegen Bootsflüchtlinge ist ein Ausdruck des latenten Rassismus in Australien, der in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar geworden ist. Zuletzt in Melbourne, wo es in den letzten 18 Monaten immer wieder zu gewalttätigen Hetzjagden gegen Studenten aus Indien gekommen ist, die Dutzende von Verletzten und einige Todesopfer gefordert hatten. In Sydneys Stadtteil Cronulla lieferten sich 2005 weiße Jugendliche tagelange Straßenschlachten mit muslimischen Einwanderern aus dem Libanon. "Wir sind hier geboren, ihr seid hergeflogen" grölten die weißen Jugendlichen den Libanesen entgegen.

Die Türen fest geschlossen hält die "Festung Australien" auch vor Klimaflüchtlingen aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft im Osten. So mancher der Inselstaaten im Südpazifik droht durch den Klimawandel in nicht allzuferner Zukunft im Meer zu versinken. Tuvalu ist so ein Staat. Experten gehen davon aus, dass das 26 Quadratkilometer große Tuvalu in den nächsten 50 Jahren untergehen wird und die 12.000 Tuvaluaner eine neue Heimat brauchen. Bitten der Regierung Tuvalus um eine neue Heimat in Australien verhallten bisher ungehört.

Der Klimawandel und seine Folgen standen ganz oben auf der Tagesordnung beim Gipfeltreffen der Staaten des "Pacific Islands Forum" vor zehn Tagen in Vanuatu. Premierministerin Julia Gillard glänzte jedoch durch Abwesenheit und Oppositionschef Abbott ließ mitteilen, im Falle seines Wahlsiegs die umgerechnet mehr als 208 Millionen Euro aus dem Entwicklungshilfeetat zu streichen, die als Hilfe für Anpassungsmaßnahmen der Südseeländer an den Klimawandel vorgesehen sind.

Wendepunkt "Tampa"

Solche Töne kommen gut an bei einem großen Teil der Australier. Schon einmal hatte die Liberale Partei mit einer rigiden fremdenfeindlichen Politik eine Wahl gewonnen. Das war 2001. Premierminister John Howard galt als sicherer Wahlverlierer, als im August der norwegische Frachter Tampa mit mehr als 438, aus Seenot geretteten Flüchtlingen an Bord in australische Gewässer segelte. Am 11. September ereignete sich der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York. Mit einem beispiellosen Propagandafeldzug setzte Howard die Tampa-Flüchtlingen mit Al-Kaida-Terroristen gleich, peitschte ein "Grenzschutzgesetz" durch das Parlament, die "Pazifische Lösung" wurde geboren, die Wahl gewonnen und Australiens Ruf als tolerantes Land, das zigtausende Bootsflüchtlinge aus Vietnam aufgenommen und vielen tausend Chinesen nach dem Tientamen-Massaker eine neue Heimat gegeben hatte, nachhaltig ruiniert.


Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.