"Viel Free" – die Umsonst-Stadt Berlin

"Viel Free" – die Umsonst-Stadt Berlin
Berlin ist nicht nur eine Wundertüte an Kunst, Kultur und Möglichkeiten - die Hauptstadt bietet viele Veranstaltungen auch günstig oder gar kostenlos an. Diese Kultur wird gepflegt wie in kaum einer anderen deutschen Stadt.
22.07.2010
Von Karola Kallweit

Ein Sommertag in Berlin. Für das Weizenbier setzt man sich an die provisorisch aufgestellte Biertischgarnitur beim Späti, den für Berlin typischen Ladenkiosken, danach flaniert man eine Runde am Landwehrkanal und schaut den Boulespielern zu, um anschließend in der geschichtsträchtigen Amerika-Gedenkbibliothek in der aktuellen Ausgabe des Spiegels zu blättern. Gegen Abend setzt man sich dann auf die Admiralsbrücke, lauscht den Gitarren der durch Berlin tingelnden Musiker und beendet den Tag schließlich auf dem Bebelplatz zum Konzert der Deutschen Staatsoper oder im Görlitzer Park auf einer Open-Air Technoparty. Ein teurer Spaß? Alles andere als das.

Stadt fördert etablierte Kultur

"Arm aber Sexy", so sei Berlin, findet OB Klaus Wowereit (SPD). "Sexy und Umsonst" trifft es eher, denn in Berlin gibt es Kultur für wenig oder gar kein Geld. Das ist zum Teil etablierte Kultur, die von der Stadt gefördert wird sowie eben die Subkultur. Berlin ist eine Metropole mit einem sehr hohen Anziehungspotential für junge Menschen aus der ganzen Welt. Darunter auch jede Menge Kreative. Besonders Franzosen und US-Amerikaner schätzen die niedrigen Atelier-Mieten und das schöpferische Potential der Stadt. Außerdem ist man schnell vernetzt mit anderen Kunstschaffenden. Wenn also kulturelle und künstlerische Vielfalt aufeinandertreffen, dann entstehen Ideen wie Tischtennisbars oder wandernde Kunst.

Diese Fülle Berlins hat Daniel Heyduck auf eine Idee gebracht. Zusammen mit einem guten Freund hat der Graphikdesigner eine Veranstaltungsplattform für das Internet entwickelt. Seit April 2009 kann auf freeguide.de nach Kategorien wie Film, Kunst und Musik gesucht werden. Das Besondere: Auf der Seite wird nur auf solche Events hingewiesen, für die der Interessierte keinen Eintritt zahlen muss.

"Berlin lebt von der Kultur des Individuellen und des Kleinen", sagt Heyduck. Diese ganz eigene Atmosphäre Berlins habe ihn damals bestärkt, seine Idee umzusetzen. Nachdem der Freundeskreis sein Interesse an einer solchen Seite bestätigte, war die Entscheidung getroffen. Das Hauptargument: In Berlin muss man nicht viel Geld ausgeben für Kultur.

Ideale Plattform zur Vernetzung

Für alternative Veranstaltungskonzepte, junge, unbekannte Künstler und neue Bars ist Freeguide eine ideale Plattform, um auf sich aufmerksam zu machen. Kreative laden ein, vernetzen sich, nutzen den Augenblick. Studenten, Touristen und an Subkultur Interessierte informieren sich auf dem Portal. Mittlerweile zählt die Seite 100.000 Seitenzugriffe im Monat. Es ist nicht nur das schmale Portemonnaie, sondern auch eine Haltung, so Heyduck, ob man sich gegen einen Club entscheidet, der 20 Euro Eintritt und dann noch einmal 15 für zwei Getränke verlangt. In München würde eine Seite wie freeguide nicht funktionieren, davon ist Heyduck überzeugt. Das Angebot an Umsonst-Veranstaltungen sei dort wesentlich geringer und in Westdeutschland sei man auch eher dazu bereit, für Veranstaltungen viel Geld auszugeben.

Die Auswahl, so Heyduck, sei ein wichtiger Aspekt. 50 bis 60 Prozent recherchieren sie selbst, zusätzlich haben sie alle wichtigen Newsletter abonniert. Immerhin 10 bis 15 Prozent der Tipps kommen von außerhalb. "Die Veranstaltungen sind oft inhaltlich anspruchsvoll, jemand ohne Bildung wird sich dafür nicht interessieren." Ein Aspekt, der auch den Journalisten und Buchautoren Bernd Wagner umtreibt, der das Buch "Berlin für Arme" geschrieben hat. Sein Buch habe er nicht nur für Arme und schon gar nicht für Dumme geschrieben, so die drastische Antwort des Autors.

Mit Nahverkehrsticket über den Wannsee

Wagner lebt seit 30 Jahren in Berlin. Er habe die Stadt noch zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als sie viele Menschen anzog, denen der westdeutsche Leistungsdruck zuwider war. Das Inseldasein der Stadt bot Schutz vor der Biederkeit in der Bundesrepublik. Auf die Idee, das Buch zu schreiben, sei er während eines Ausflugs mit Tochter und Enkelkind gekommen. Sie seien am Wannsee gewesen, dem einzigen Ort Berlins, wo man mit dem Boot fahren kann und lediglich den Preis für ein Ticket des öffentlichen Nahverkehrs zahlt. Wannsee-Kladow, eine circa halbstündige Bootsfahrt mit hohem Freizeitwert. Also warum nicht all diese Dinge aufschreiben, die man in Berlin für wenig Geld oder gar keines machen kann?

Berlin besitzt diese Aura des Möglichen. Man muss kein Millionär sein, um sich hier mit Kunst und Kultur zu umgeben. Am 30. Juli zeigt die Schaubühne übrigens in einer öffentlichen Generalprobe Othello. Einlass 19 Uhr am Bühneneingang. Und der Lieblingstipp von Autor Wagner: "Ein Hartz-IV-Empfänger kann in Berlin für drei Euro ins Theater, ob nun Schaubühne, Deutsches Theater oder Berliner Ensemble."


Karola Kallweit ist freie Journalistin in Berlin.