Der vierte Stern: Kein Wunder, sondern sechs Jahre Anlauf

Der vierte Stern: Kein Wunder, sondern sechs Jahre Anlauf
Am Mittwoch geht es für die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Spanien. Warum Deutschland danach den Titel holt: Eine Betrachtung eines langen Weges. Eines steht schonmal fest - ein Fußballwunder wird es nicht sein. Denn der deutsche Erfolg in Südafrika hat eine Vorgeschichte. Eine Vorgeschichte namens Joachim Löw.
06.07.2010
Von Hanno Terbuyken

Die Mannschaften dieser Fußball-Weltmeisterschaft haben wohlklingende Namen: Three Lions. Les Bleus. Selecao. Socceroos. Black Stars. All Whites. Squadra Azurra. Bafana Bafana. Albiceleste.

Sie sind alle nicht mehr dabei.

Die Deutschen dagegen kennt man eher als "Klinsmänner" (2006) und "Jogis Jungs" (2010). Wer da von einem Wunder spricht, wenn diese Mannschaft am Mittwoch Abend gegen Spanien gewinnt und ins Finale einzieht, lässt sehr viel harte Arbeit außer Acht. Denn was Lahm, Schweinsteiger, Klose, Müller, Özil und Co. in Südafrika zelebrieren, schütteln sie nicht spontan aus dem Fuß. Hinter dem Erfolg - der Name ist Programm - steht ein Trainer, der seit sechs Jahren mit dieser Mannschaft Fußball übt, wie Deutschland ihn schon seit den goldenen Zeiten von Beckenbauer und Müller (dem Älteren) nicht mehr kannte.

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Es ist das System Löw, das in den Siegen gegen Australien (4:0), England (4:1) und Argentinien (4:0) seine bisherigen Höhepunkte fand. Die jungen Wilden, die Löw um sich versammelt hat, spielen präzise, ausdauernd, schnell, bissig und trotzdem schön. Sie haben keine Einzeltäter, sie loben sich in ihren Interviews immer gegenseitig, und sie schießen gemeinsam Tore.

Die Fortsetzung des Sommermärchens

2006 hatte Fußballdeutschland das Glück, das Sommermärchen im eigenen Land erleben zu dürfen. Sönke Wortmann war mit der Kamera dabei und zeigte uns seine Version von "Kein schöner Schland" zum immer wieder Anschauen und Genießen.

Damals sagte Jogi Löw in die Kamera: "Die deutschen Tugenden reichen nicht aus." Kämpfen, Teamgeist, jedem Ball hinterherlaufen: Nur damit sei es nicht getan, "das können heutzutage alle", sagte Löw. Trainer Jürgen Klinsmann und sein US-Drill-Instructor Mark Verstegen machten daraufhin Fitness zur Hauptzutat des Sommermärchens 2006, damit die Deutschen wenigstens mehr laufen konnten als ihre Gegner.

Aber die Taktik auf dem Platz kam von Joachim Löw. In Wortmanns Film sieht man stets aufs Neue Klinsmann und Löw vor Flipcharts stehen. Spielzüge, Aufstellungen, Gegneranalyse: Immer steht Jogi da und denkt, und Klinsi hält den Edding bereit und schreibt auf, was sein Co-Trainer zu sagen hat.

Es war kein Wunder, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft neulich Argentinien mit 4:0 vom Platz gefegt hat. Die deutsche Nationalmannschaft ist kein Lazarus, der aus Mitleid alle vier Jahre neu erweckt wird. Sie ist quicklebendig, gelenkt von einem Fußballlehrer, der nicht die ikonischen Qualitäten eines Diego Maradona hat, sich aber fachlich an der Seitenlinie mit den Besten der Welt messen kann.

Der Erfolg (und der blaue Pullover) geben Löw Recht

Ex-Kapitän Michael Ballack passt übrigens nicht in das System Löw. Denn das profitiert von flachen Hierarchen, davon, dass jeder auf dem Platz für jeden die Beine in die Hand nimmt. Das ist nicht der Führungsstil eines Michael Ballack. Bei der WM 2006 brauchten die jungen Wilden das Vorbild und die Führung vielleicht noch. Inzwischen sind die Schweinis und Poldis in Jogis Auswahl aber vier Jahre älter und selbstbewusster geworden – "selber groß", möchte man an ihrer Stelle Michael Ballack zurufen. Jogi Löw wird das nicht besonders stören. Kevin Kuranyi hat er ja auch nicht mitgenommen, weil der nicht in sein System passt. Der Erfolg gibt ihm Recht.

Es ist diese Konsequenz, die Jogi Löw so erfolgreich macht, gepaart mit der Bescheidenheit (nebst blauem Pullover), die ihn so sympathisch macht, sowie der Fähigkeit, den Spielern auf dem Platz die richtige Inspiration mitzugeben. So hat Löw die englische Verteidigung um John Terry ausgespielt und Weltfußballer Lionel Messi kaltgestellt. La Furia Roja, die roten Furien um Iniesta und Xabi Alonso, um Villa und Torres, erwartet die gleiche kalte Dusche.

Paul hat bloß Angst vor der Fritteuse

Auch wenn Oktopus Paul aus Angst vor einem Ende als spanische Paella-Zutat einen Sieg der Spanier vorausgesagt hat: Jogi Löw wird es auch diesmal schaffen, seine Jungs richtig aufzustellen und mit Weltklasse die Weltklasse auszuspielen. Da darf man einfach mal - der Kirchentag lässt grüßen - Hoffnung haben.

1954 war es ein Wunder. 1974 war es Können. 1990 war es Glück. So steht es auf einem T-Shirt, das ein Fan zum Public Viewing gegen Argentinien trug. 2010 wird es kein zweites Wunder sein, sondern das Ergebnis eines sechs Jahre langen Anlaufs, wenn "Jogis Jungs" den vierten Stern vom Fußballhimmel pflücken. Gegen Spanien. Gegen Holland. Auch ohne wohlklingenden Namen.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de und rechnet fest mit dem deutschen Weltmeistertitel - denn diese junge deutsche Nationalmannschaft habe ihn sich verdient, findet er. Und schönen Fußball spielen sie auch noch.