TV-Tipp des Tages: "Tatort: Vermisst" (SWR)

TV-Tipp des Tages: "Tatort: Vermisst" (SWR)
Mit diesem Film feierte SWR vergangenes Jahr das Dienstjubiläum von Lena Odenthal (Ulrike Folkerts). Ein verzwickter Fall, der das Ludwigshafener Duo durchaus an seine Grenzen bringt. Auch als Wiederholung unbedingt sehenswert.
22.06.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Vermisst", 22. Juni, 20.15 Uhr, SWR Fernsehen

Die besten Filme der "Tatort"-Historie glänzten meist durch großartige Ensemble-Leistungen, ungewöhnliche Geschichten oder außergewöhnliche Inszenierungen. Für "Vermisst" gelten diese Aspekte durchaus ebenfalls, doch das herausragende Merkmal ist die Geschichte. Vielleicht war es ganz gut, dass Autor Christoph Darnstädt zunächst gar nicht wusste, welchen besonderen Anlass sein Werk schmücken durfte: Mit diesem Film beging der SWR im letzten Herbst das zwanzigjährige Dienstjubiläum von Lena Odenthal und ihrer famosen Darstellerin Ulrike Folkerts. Darnstädts Erzählung aber ist weit entfernt davon, ein Feierstück zu sein. Die Konzentration gilt allein dem Fall, und der ist fraglos einer der kniffligsten, mit denen es die Ludwigshafener Ermittlerin in ihrer bewegten Karriere zu tun hatte. Einzig eine verpasste Geburtstags-Party zu Beginn verweist auf, dass hier neben der SWF/SWR-Kriminalistik auch eine der populärsten Figuren des hiesigen Krimigenres gefiert wird.

Doch während die Kollegen noch auf Lena warten, steht die Hauptkommissarin schon neben einer weiblichen Leiche. Richtig rätselhaft wird der Fund durch einen Anruf der Frau kurz vor ihrem Tod: Sie wolle eine Aussage zum Fall Ritterling machen. Der allerdings ist fast verjährt und ohnehin längst geklärt: Vor zwölf Jahren wurde besagter Ritterling (Thomas Sarbacher) trotz hartnäckigen Leugnens wegen des Mordes an seiner Frau verurteilt. Nun ist der frühere Sternekoch wieder frei, mit sich im Reinen und voller Pläne; außerdem kocht er sich geradewegs in Lenas Herz.

Das hilft ihr bei den Ermittlungen zwar nicht weiter, aber immerhin scheint die Identität der Toten geklärt: Es handelt sich offenbar um eine Frau, die vor zwölf Jahren verschwunden ist; ihr Stiefvater identifiziert sie. Allerdings ist nicht ganz klar, welche Rolle der Immobilienmakler Seegmeister (Jeroen Willems) und seine undurchsichtige Gattin (Corinna Harfouch) bei der Sache spielen.

Seegmeister hat der Frau eine Wohnung in Nizza besorgt. Kennen gelernt hat er sie angeblich in Paris, aber Lena vermutet, dass die Beziehung viel älter ist; Fotos, die ihr später anonym zugespielt werden, bestätigen das. Und weil auch der damals zuständige Kommissar irgendwie in die Sache verwickelt ist, stehen Lena und ihr hinsichtlich Ritterlings Kochkünsten nicht ganz unbefangener Kollege Kopper (Andreas Hoppe) vor dem vielleicht größten Rätsel ihrer gemeinsamen Laufbahn. Denn als der mutmaßliche Raubmörder endlich gefasst ist, wird der Fall erst richtig kompliziert.

Tatsächlich gelingt es Darnstädt und Regisseur Andreas Senn (das ZDF zeigt am Mittwoch seinen ähnlich dicht inszenierten Wirtschafts-Thriller "Über den Tod hinaus"), das Puzzle dieser Geschichte so raffiniert zusammenzusetzen, das jede gefundene Antwort gleich wieder zu neuen Fragen führt. Wer vor Lena Odenthal auf die Lösung kommt, sollte unbedingt Kriminalist werden.

Und selbst wenn die Geschichte nicht so herrlich verzwickt wäre: Schon allein die Schauspieler sind sehenswert. Corinna Harfouch als eiskalt kalkulierende Gattin, die ihren Mann wie eine Marionette steuert; Jeroen Willems als Getriebener seiner Gefühle; Thomas Sarbacher als in sich ruhender Freigeist: Sie alle bilden mit Ulrike Folkerts ein großartiges Ensemble, das durch Hoppe, aber auch durch Annalena Schmidt (Frau Keller) und Peter Espeloer (Kriminaltechniker Becker) vortrefflich ergänzt wird. Selbst wenn einige Werke in der zwanzigjährigen Geschichte spektakulärer waren: Ein würdiger Jubiläumsfilm ist „Vermisst“ allemal.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).