Spardemos: Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf

Spardemos: Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf
Tausende haben in Dresden gegen die Sparpolitik ihres Bundeslandes protestiert. Schon vor dem bundesweiten Sparpaket der Regierung hatte eine Koalition aus Sozial- und Kulturverbänden die Demonstration geplant. Sie wirft ein Schlaglicht auf die Kritik der Straße an den Kürzungen.
17.06.2010
Von Katharina Weyandt

4.000 Demonstranten waren es im März, heute stehen 10.000 vor dem sächsischen Landtag. Denn "mit 124 Euro Ausgaben pro Einwohner für Sozialpolitik ist Sachsen bundesweit Schlusslicht und ist darauf noch stolz!" ruft der sächsische Diakonie-Chef Oberkirchenrat Christian Schönfeld auf dem Podium, unter Applaus und Trillerpfeifen. Einige Vuvuzelas sind auch dabei. Schönfeld kritisiert die "Sonntagsreden", "man werde das familienfreundlichste Bundesland, man sei für alle Sachsen da, und in Wirklichkeit werden immer mehr Menschen ausgegrenzt". Der Sozialstaat habe weniger ein Ausgabe- als ein Einnahmeproblem. "Die Armen sind auf Gerechtigkeit angewiesen, die Reichen auf Ungerechtigkeit", zitiert er Berthold Brecht.

Kürzungen schon im laufenden Landeshaushalt, etwa der Jugendpauschale von 14,30 Euro auf 10,40 Euro, der Suchtkrankenhilfe um 15 Prozent und im Bereich Psychiatrie um 7 Prozent hatten Ende Mai in Dresden zur Gründung eines ungewöhnlich breiten Bündnisses aus Bildung, Kultur und Sozialem geführt. So war der bunte Zug unter dem Motto "Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf" schon geplant, als in Berlin das Kabinett seinen Sparplan ausbrütete, der, wie Präsident Klaus-Dieter Kottnik vom Diakonischen Werks der EKD urteilte, die "sozial Schwächsten im Übermaß belaste".

Menschenwürdige Arbeit, kein Unterrichtsausfall - es geht um Grundlagen

Zum Beispiel Marina Schwiertz und andere aus einer Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch Kranke in Dresden-Gorbitzsch. Sie hat ihre Forderungen mit der Hand auf ein liniertes Blatt geschrieben: "Sie sollen bei den Obersten Politiker sparen und nicht bei den kleinen Leute". Und: "In Pflegeeinrichtungen soll man menschenwürdig arbeiten und nicht wie am Fließband."

Jenny Tisch, Elftklässlerin aus Zwickau, sorgt sich um den Unterrichtsausfall in Mathe, Englisch und anderen Fächern. Auch Annegret Stefan, Kerstin Seidel, im Studium an der Technischen Universität Chemnitz, sehen es als "absolut schwierig, dass bei Bildung gekürzt wird. Wir machen alle Demos mit." Ihr Kommilitone Andreas Jacob, "aus einer klassischen Arbeiterfamilie mit drei Kindern", ist froh, dass die ostdeutschen Länder noch keine Studiengebühren erheben.

Dorit Roth vom CVJM Leipzig (Bild links) trägt ein großes Transparent mit vielen Unterschriften über die Elbbrücke. Sie habe jetzt eine volle Stelle, "aber wie das weitergeht, kann man sich ja ausrechnen, wenn die Mittel um ein Drittel gekürzt werden".

Die Polizei ist doppelt da: Zum Sichern und zum Demonstrieren

"Wenn der Etat mal um zehn Prozent sinkt, merken das große Teile der Bevölkerung doch gar nicht unmittelbar", hatte eine Woche zuvor der sächsische Finanzminister Professor Georg Unland in einem Interview mit der "Zeit" gesagt. Bildungsberater Dietmar Langer aus Chemnitz schult in seinem "Metanoia-Netzwerk" vor allem Arbeitslose in Gesundheit und Ernährung und weiß: "Die Folgekosten von sozialen Einsparungen werden auf die Krankenkassen umgelagert." 20 Milliarden Euro jährlich würden schätzungsweise die psychosomatischen Krankheiten durch "keine, falsche oder prekäre Arbeit" kosten. Er hat ein Papier in der Tasche, auf dem die Sozial- und Gesundheitsministerin die Gesundheit als wichtiges Ziel betont, und demonstriert in Dresden, damit das Land sich auch an der Prävention beteiligt.

Drei Damen in den 60igern sind dabei, weil sie "gesellschaftlich engagiert" sind, zum Beispiel ehrenamtlich bei der "Volkssolidarität". Und es sei doch "peinlich, wenn bei solchen sozialen Problemen nur 1.000 mitmachen und die anderen im stillen Kämmerlein meckern." Geld sei genug da, das Militär, zwei Regierungsstandorte... Und brauchen wir einen Bundespräsidenten? Gleich beginnt eine muntere Diskussion.

Die Polizei begleitet die völlig friedlich verlaufende Demonstration doppelt: zum einen in grünen Uniformen im Dienst und zum anderen in grünen T-Shirts als Mitdemonstranten. "Wir brauchen Bildung, Forschung und Entwicklung und zu allem eine hohe innere Sicherheit", erklärt der Vorsitzender der Polizei-Gewerkschaft in Sachsen, Matthias Kubitz. Dafür brauche man unbedingt dies breite gesellschaftliche Bündnis. Auch viele junge Leute sind da: Viele aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr sieht man in der prallen Dresdner Sonne, denn die Landesregierung hatte ihren Zuschuss um die Hälfte gekürzt.

"Eigentlich müsste man das jede Woche machen"

Während vor dem Landtag an der Elbe noch die Einschnitte aufgezählt werden, wartet eine Gruppe älterer Touristen nach Stadtrundfahrt und Frauenkirche am Zwingerteich auf ihren Bus – in Hörweite der Lautsprecher. Wie finden sie so eine Demonstration? "Das ist gut, dass man darauf aufmerksam macht. Viele denken ja, das nützt nichts, das ist das Problem", meint ein Mann, und die Frau an seiner Seite pflichtet ihm bei.

Kerstin Böhme, Buchhalterin aus dem Diakonischen Werk Sachsen, trägt abwechselnd mit Kolleginnen das lila Diakonie-Banner. Es ist ihre erste Demonstration überhaupt. "Eigentlich müsste man das jede Woche machen", meint sie nach einer Weile, während auf der Bühne "ein heißer Herbst" versprochen wird. Bundesweit sind weitere Proteste zu erwarten.

Ein nächster Schritt ist in der kommenden Woche die bundesweite "Fokuswoche" der Nationalen Armutskonferenz. Als Auftakt wird am Samstag in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg Hartz IV thematisiert. Zu den Referenten gehören unter anderem der katholische Sozialethiker und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks attac, Friedhelm Hengsbach, Diakonie-Direktorin und Sprecherin der Landesarmutskonferenz Berlin, Susanne Kahl-Passoth sowie die Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop.


 

Katharina Weyandt arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de und betreut den Kreis "Wenn die Eltern älter werden" in unserer Community.