Vor die Tür gehen, ohne Angst zu haben

Vor die Tür gehen, ohne Angst zu haben
Heute ist Weltflüchtlingstag. Was es für Menschen bedeutet, auf der Flucht zu sein und vielleicht irgendwann einen sicheren Ort zu finden, davon berichtet eine irakische Familie. Sie schätzt es, einfach ohne Angst das verlassen zu können.
16.06.2010
von Matthias Klein

Er hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Der Schreiner Easho B. lebte als assyrischer Christ in Bagdad in ständiger Angst. "Vermummte haben uns bedroht", sagt er leise und schaut für einen Moment in die Ferne. Eine Zukunft sah er in der Heimat nicht. Sein letzter Ausweg: die Flucht. Zunächst nach Syrien. 2009 kam er nach Deutschland. Heute leben Easho, seine Frau Bayan und ihre fünf Kinder zwischen drei und 17 Jahren in einer Flüchtlingsunterkunft in Wiesbaden.

Wohnung ist spärlich eingerichtet

Familie B. gehört zu den 2.500 irakischen Flüchtlingen aus Syrien und Jordanien, die im Rahmen eines Ansiedlungsprogramms von Deutschland aufgenommen wurden. "Endlich können wir vor die Tür gehen, ohne Angst zu haben", beschreibt der Vater das neue Leben. "Deutschland ist ein sehr schönes Land. Wir fühlen uns wohl hier."

Die Eltern können bislang nur ein paar Worte Deutsch. Sie sitzen auf einem kleinen Bett im Schlafzimmer. Auf dem Boden spielt ihr dreijähriger Sohn Steven. Mit einem roten Plastiklastwagen rollt er zwischen den Betten herum. Die Wohnung ist spärlich eingerichtet, die Wände sind kahl. Über der Tür hängt ein bunt ausgemaltes Bibelzitat in arabischer Schrift.

Die Familie ist kein Einzelfall. Als religiöse Minderheit würden Christen im Irak verfolgt, berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Sie würden nicht ausreichend geschützt: "Manchmal entscheidet schon der Hinweis auf die Religionszugehörigkeit im Ausweis über Leben und Tod", sagt Carsten Jürgensen, Irak-Experte von Amnesty.

EU nahm besonders Schutzbedürftige auf

In Deutschland fühlt Familie B. sich sicher. Im November 2008 hatte die Europäische Union beschlossen, besonders schutzbedürftige Iraker aus Flüchtlingscamps in Jordanien und Syrien aufzunehmen, vor allem Familien, alleinerziehende Mütter, Frauen und Kinder. Familie B. hat nun in Deutschland zunächst eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für drei Jahre.

"Dieses Programm ist für die Menschen sehr entlastend, da es für sie sehr schnell geht. Den quälenden Hürdenlauf eines normalen Asylverfahrens können sie sich sparen", erklärt die evangelische Flüchtlingspfarrerin Ursula Schoen. Momentan gehen die Eltern zu Deutschkursen, die Kinder besuchen die Schule. Der älteste Sohn Ashour träumt davon, Busfahrer zu werden. "Ich würde sehr gerne eine richtige Ausbildung machen", sagt er. Auch die neunjährige Ashorina spricht schon Deutsch. "Schau mal", ruft sie - und zeigt stolz ihren Pass mit dem deutschen Stempel.

Die Familie wünscht sich mehr Unterstützung für die Kinder, zum Beispiel bei den Hausaufgaben. Pfarrerin Schoen sagt, die Kinder bräuchten eine Perspektive. "Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie kein Ziel sehen und resignieren. Sie fragen sich oft, wozu es sich lohnt, sich anzustrengen."

Zwei Millionen Iraker flohen nach Syrien und Jordanien

Von Anfang an forderten Organisationen wie Amnesty International und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, das Neuansiedlungsprogramm nur als ersten Schritt zu sehen und nicht nur einmalig eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Schließlich seien in den vergangenen Jahren etwa zwei Millionen Iraker alleine nach Syrien und Jordanien geflohen.

"Das Programm an sich ist ein bemerkenswerter Erfolg", sagt Stefan Telöken, Sprecher des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. "Aber für uns ist damit die Hoffnung verbunden, dass Deutschland regelmäßig Flüchtlinge im Rahmen eines Neuansiedlungsprogramms aufnimmt. Das wäre eine wichtige Ergänzung zu den normalen Asylverfahren." Außerdem sollten auch geflüchtete Menschen aus anderen Ländern wie zum Beispiel Somalia die Chance zur Aufnahme haben.

Bayan B. freut sich unterdessen auf eine eigene Wohnung, die die Familie in Aussicht hat, und blickt nach vorn: "Wir hoffen, dass unsere Kinder etwas Gutes lernen." Der Irak scheint schon weit weg. "Heimweh? Nein, das haben wir überhaupt nicht", sagt Easho. "Wir wollen niemals mehr zurück."

epd