Wulff und Gauck: Die Kandidaten ganz präsidial

Wulff und Gauck: Die Kandidaten ganz präsidial
Die Kandidaten für das Amt des Staatsoberhauptes geben sich schon ganz präsidial - jeder auf seine Art. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) stellt sein Vorbild Nelson Mandela heraus, Joachim Gauck setzt auf die Freiheit als Leitgedanken seiner Bewerbung - "aber in der Form, wie ich sie definiere", wie der Kandidat von SPD und Grünen in einem ARD-Interview sagte. "Ich propagiere nicht die Freiheit, die den Leitsatz hat: 'Ich darf alles und nach mir kommen die anderen'."
13.06.2010
Von Katja Räther und Joachim Mangler

Wulff, rund 20 Jahre jünger als der Mitbewerber aus dem Osten, orientiert sich in Zeiten der Fußball-WM am südafrikanischen Volkshelden und Ex-Präsidenten: "Mandelas Leitbild war eine politische Führung, bei der der Hirte die Herde von hinten führt und aufpasst, dass ihm kein Schaf verloren geht, aber trotzdem die Richtung bestimmt", sagte der Kandidat der schwarz-gelben Regierungskoalition dem "Focus".

Der Niedersachse will weg vom gegenwärtigen Politikstil in Deutschland: "Nicht nur die Inhalte sind wichtig, sondern auch die Form." Es gebe eine verhängnisvolle Tendenz zu Vereinfachung, Verkürzung, Emotionalisierung und Skandalisierung, kritisiert Wulff und fordert mehr Ehrlichkeit von seinen Kollegen: Die Menschen "sehnen sich danach, reinen Wein eingeschenkt zu bekommen. Und sie sehnen sich auch nach Orientierung, danach, dass Politiker ihre Entscheidungen gut begründen und sie dann auch durchsetzen."

Gauck: Deutschland eine "Übergangsgesellschaft"

Und während Gauck in vielen Internet-Foren und Blogs als Favorit gehandelt wird, stellt sich Wulff an diesem Montag in einem Live-Videochat direkt den Fragen von Bürgern. Interessierte konnten ihr Anliegen bereits auf der Facebook-Seite des Präsidentschaftskandidaten loswerden. "Bitte verzichten Sie auf die Kandidatur", bat dort ein Nutzer namens Jürgen. "Es wäre ein Zeichen von Größe, wenn Sie sich bei der (auch für Ihre Parteifreunde) durchaus wählbaren Alternative weiterhin auf Ihre landespolitische Verantwortung besinnen würden."

Gauck kehrte am Wochenende an die Wurzeln seiner theologischen und politischen Karriere zurück - nach Rostock. Vor Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes erinnerte er in der Universität seiner Heimatstadt an die großen Tage der Bürgerbewegung der DDR: "Als wir 'das Volk' waren, waren wir stark", sagte der früherer Pfarrer und Bürgerrechtler in Erinnerung an die Wendezeit.

Gauck sieht Deutschland als Übergangsgesellschaft, in der sich zwei Gruppen gegenüberstehen. Einerseits jene Menschen, die ins Lager der Mächtigen eingetreten sind - eine "aus dem kleinen Osten" regiere gerade "das große Deutschland". Auf der anderen Seite stehe die große Gruppe, die den Weg in die politische oder ökonomische Ermächtigung noch nicht geschafft hätten. Sie verharrten in der Zwischenform des Geführtwerdens und des Selbst-Engagements.

Gauck erlebt "eine Welle der Ermutigung"

"Der Stolz von '89/'90 lebt nicht mehr in uns", klagt der begeisterte Demokrat Gauck. Er sagt aber von sich, dass er schon immer Menschen ermutigen konnte, damit sie sich nicht von Angst regieren ließen. Man könne auf Angst reagieren, indem man flüchte oder standhalte - "ich bin für Standhalten".

Nur zu Beginn seiner Rede spricht Gauck über seine Rolle als Kandidat. Er weiß, seine Chancen sind angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung "überschaubar" und "eher begrenzt". Aber er erlebe gerade eine Welle der Ermutigung. Auch Union und FDP, "die die Mehrheiten verwalten", seien in einen ernsten Prozess des Nachdenkens geraten. "Also, da schau'n wir mal", zitiert er Franz Beckenbauer unter dem Gelächter der Studenten.

Die Bevölkerung jedenfalls steht klar hinter Gauck - möglicherweise durchaus eine Spiegel der Unzufriedenheit mit der regierenden Koalition. Kein Wunder, dass SPD-Fraktionschef Steinmeier in der "Bild"-Zeitung schon Neuwahlen fordert.

dpa