Regionale Bio-Aktien: "Wir wollen Nachhaltigkeit"

Regionale Bio-Aktien: "Wir wollen Nachhaltigkeit"
Wer ökologisch und umweltfreundlich produzieren will, braucht Geld. Doch die Investition rechnet sich mitunter erst nach Jahren - zu lange und zu unsicher für konventionelle Banken. Diese Lücke schließt die Regionalwert AG als Kreditgeber. Teilhaber sind die Bürger vor Ort.
02.06.2010
Von Miriam Bunjes

Joel Siegel hätte im vergangenen Sommer fast aufgegeben. Gerade hatte er mit all seinem Ersparten einen Obsthof in der Region Freiburg übernommen – als selbstständiger Quereinsteiger in der Landwirtschaft ist das quasi revolutionär. 50.000 Euro Startkapital hatte der 31-Jährige, 20.000 kostet allein die Jahrespacht. "Für einen Hektar Apfelpflanzung kann man beispielsweise locker 65.000 Euro Investition einrechnen", sagt Siegel. "Und wenn man wie ich einen konventionellen Hof auf Bio umstellt, gibt es sowieso erst im dritten Jahr Gewinn."

Er wollte ihn trotzdem, seinen eigenen biologischen Obstanbau. Dann aber hagelte es – der größte Teil seiner ersten Ernte war zerstört, sein Geld weg. "Die Bank wollte mir keinen Kredit geben", sagt Siegel. "Obwohl es eine war, die angeblich soziale Projekte fördert." Ein Landwirt braucht viel Kapital, Gewinn gibt es aber frühestens nach der Ernte. "Familienbetriebe besitzen ja oft ihren Hof und können ihn als Sicherheit bei der Bank angeben. Weil ich das nicht habe und auch noch kein abgeschlossenes Wirtschaftsjahr vorweisen konnte, war ich für keine Bank kreditwürdig", sagt Siegel. "Wie Landwirtschaft finanziell funktioniert, verstehen Banker nicht."

Ohne Kredit keine Chance

Christoph Hiß, geschäftsführender Vorstand der Regionalwert AG, kennt dagegen die Probleme der Landwirte. Bis 2006 war er selbst Biobauer, wie davor schon sein Vater. Seit dem verhagelten Sommer ist die Regionalwert AG stiller Teilhaber am Obsthof Siegel. 20.000 Euro Einlage durch die Regionalwert-Aktionäre – "ohne das Geld hätte ich aufgeben müssen", sagt Obstbauer Siegel. Macht er Gewinn, geht ein Teil davon an die Aktiengesellschaft. Macht er Verlust, schlägt sich auch das auf den Wert der Aktie nieder. "Es muss neue Finanzmöglichkeiten für Landwirte geben, sonst geht die Kulturlandschaft in der Region kaputt", sagt Hiß.

Die Landwirtschaft hat obendrein ein Nachfolgeproblem. In seiner Region um Freiburg, dem idyllischen Dreiländereck, übernehmen gerade mal zehn Prozent aller Bauernkinder den elterlichen Hof. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der Höfe halbiert. Die existierenden Betriebe sind größer geworden und pflanzen zunehmend Monokulturen, um effizient arbeiten zu können. Für die Böden ist das eine Katastrophe, weiß der gelernte Gärtnermeister. "Für Existenzgründer ist der finanzielle Druck aber noch höher, weil sie viel Startkapital brauchen", sagt Hiß. "Aus sich selbst heraus ist das gar nicht zu schaffen."

"Wir wollen Nachhaltigkeit in der Region"

Hiß hat die Regionalwert AG gegründet – seine Gärtnerei und sein landwirtschaftlicher Betrieb waren das Startkapital. Ende Mai lief die dritte Kapitalerhöhung, 1.400 neue Aktien hat die Regionalwert AG ausgegeben. Damit besitzt sie mehr als zwei Millionen Euro Kapital. Die werden in die bislang sieben Partnerunternehmen investiert: Landwirtschaftliche Betriebe wie der Obsthof Siegel, aber auch ein Naturkost-Großhändler und ein Bio-Catering arbeiten mit dem Geld der Aktionäre.

"Wir wollen Nachhaltigkeit in der Region", sagt Hiß, der sein Wissen über Kapitalmärkte durch ein Fernstudium in Social Banking an der Uni Plymouth erworben hat. "Darum investieren wir in die biologische Lebensmittelproduktion, deren Vertrieb und Weiterverarbeitung." Deshalb werden auch Milchviehbetriebe gefördert, obwohl sie aus wirtschaftlicher Sicht problematische Investitionen sind.

"Nachhaltig heißt sozial, ökologisch und ökonomisch", sagt Hiß. "Zusammen sind unsere Partnerunternehmen das alles. Da kann dann auch ein Milchhof bei sein, der nicht ökonomisch ist." Investiert wird in Neugründungen, aber auch in laufende Betriebe. Voraussetzung ist die Anerkennung als Biobetrieb. Auch eine Umstellung auf biologische Produktion wie bei Obstbauer Joel Siegel wird gefördert.

Kein Gang an die Börse

Die Beteiligungsformen der Aktiengesellschaft sind unterschiedlich: Einige Unternehmen hat die Regionalwert AG gekauft und verpachtet sie an die Unternehmer, an anderen hält sie stille Beteiligungen. Auch Beteiligungen mit Stimmrecht der Aktionäre soll es künftig geben. An die Börse geht Hiß aber nicht: "Das haben wir auch nicht vor", sagt er. "Es geht nicht um Spekulationsgewinne, sondern um nachhaltige Gewinne. Die kommen nicht so schnell, aber sie kommen."

Und das nicht nur als Geld, versichert Hiß, sondern man könne auch den sozialen und ökologischen Gewinn in der Region erkennen. Daran, dass es Biolebensmittel aus der Region gibt, dass sie nutzerfreundlich verkauft werden und dass Existenzgründer aus der Region eine Chance bekommen. Die meisten Teilhaber kommen tatsächlich aus Freiburg und Umgebung: "Es gibt ein Interesse an der Region."

Rendite erst in einigen Jahren

Dabei funktioniert eine Regionalwert-Aktie etwas anders als üblich: Um feindliche Übernahmen zu verhindern, sind die Aktien sogenannte vinkulierte Namensaktien und dürfen nur nach Zustimmung der Gesellschaft gehandelt werden. Eine weitere Besonderheit: Laut Geschäftsplan wird es erst in ein paar Jahren Gewinne geben. Auf ihre Rendite müssen die Anleger also vorerst warten.

Auch Joel Siegel muss auf seinen Gewinn noch warten. "Das ist normal in der Landwirtschaft", sagt er. Er setzt vor allem auf seine Bio-Beeren. "Beeren sind auf dem Bio-Markt bislang Mangelware", sagt der 31-Jährige. Er darf seine biologisch erzeugten Beeren allerdings erst in drei Jahren als "Bio" vermarkten – der Hof war zuvor konventionell bewirtschaftet. "Deshalb zahle ich im Moment eher drauf", sagt er. Von der stillen Einlage der Regionalwert AG hat er sich ein Bodenbearbeitungsgerät und Lagerkisten gekauft. "Für einen Hagelschutz hat es leider noch nicht gereicht", sagt er. Für den laufenden Unterhalt sorgt zurzeit seine Freundin. "So ist das eben in der Anfangszeit", sagt Siegel.

Zum Nachahmen freigegeben

Wenn Christoph Hiß' drei Söhne irgendwann die Familiengärtnerei übernehmen wollen, können sie sie von der Regionalwert AG pachten. "Mir ist es wichtig, dass sich meine Kinder ihren Beruf frei aussuchen können und sich nicht verpflichtet fühlen, den Hof zu übernehmen", sagt Hiß. "Stattdessen haben alle eine Chance, einen Hof zu bearbeiten, die das wirklich wollen."

Eine Vision, die funktioniert. Hiß kann sich seit einem Dreivierteljahr selbst Gehalt zahlen. Der deutsche Rat für nachhaltige Entwicklung ernannte ihn für die Regionalwert AG 2009 zum "Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit", und er wurde in das weltweite Fördernetzwerk Ashoka aufgenommen. "Ich habe inzwischen von mehreren Interessenten aus verschiedenen Regionen Anfragen bekommen. Ich denke, bald werden auch in anderen Regionen Unternehmen wie die Regionalwert AG entstehen."


Miriam Bunjes ist freie Journalistin und arbeitet in Dortmund.