Beauftragte Raue: Mehr als 200 Missbrauchsfälle bei Jesuiten

Beauftragte Raue: Mehr als 200 Missbrauchsfälle bei Jesuiten
Über Jahrzehnte hinweg hat der Jesuitenorden sexuellen Missbrauch und Gewalt gegen Kinder in seinen Einrichtungen systematisch vertuscht. 205 Opfer haben sich bisher gemeldet. Das geht aus dem Abschlussbericht hervor, den die Missbrauchsbeauftragte des Ordens, Ursula Raue, am Donnerstag in München vorstellte.

Die Vorwürfe richten sich gegen zwölf Patres, von denen bereits sechs verstorben sind, sowie zwei weltliche Mitarbeiter, wie die Berliner Rechtsanwältin sagte. Die Übergriffe hätten sich vor allem zwischen den 1960er und 80er Jahren ereignet. Betroffen seien neben der Berliner Einrichtung die Schulen Sankt Ansgar in Hamburg, Sankt Blasien im Schwarzwald, das Bonner Aloisiuskolleg sowie die ehemalige Jesuiteneinrichtung Immaculata im westfälischen Büren.

Laut Raue hatten die Schläge gegen die damaligen Schüler meist eine sexuelle Komponente. Die "Täterkarrieren" seien vom Jesuitenorden zwar nicht gefördert, aber auch nicht ordentlich behindert worden. "Man wusste, da ist einer, der fummelt gerne, und der andere hatte den Spitznamen 'Pavian'." Die betreffenden Personen seien aber lediglich versetzt und "verschoben" worden, kritisierte Raue. Die verantwortlichen Patres hätten inzwischen zugegeben, die Opfer nicht im Blick gehabt zu haben und würden dies bedauern. "Sie haben damals einfach nicht hingeguckt", so die Missbrauchsbeauftragte.

"Scham und Schande"

Der Provinzial des Jesuitenordens, Pater Stefan Dartmann, sprach von einer "skandalösen Wirklichkeit", die dem Orden "zu Scham und Schande gereicht". Er kritisierte zudem "Geisteshaltungen, die nicht nur bei einzelnen, sondern unbestreitbar in weiten Kreisen des Ordens verbreitet waren und vielleicht noch sind." Dazu zähle er die nicht vorhandene Opferperspektive sowie die primäre Sorge um den Ruf des Mitbruders oder des Ordens.

Der Jesuitenorden soll nach Ansicht von Raue Wiedergutmachung in Form schneller materieller Hilfe und Finanzierung von Therapien sowie Präventions- und Schutzarbeit leisten. Vor allem müssten Pfarrer im Umgang mit der eigenen Sexualität geschult werden. Es handle sich zwar um unterschiedliche Tätertypen, doch es sei an vielen Stellen erkennbar gewesen, dass sie eine "kindliche Grundstruktur im Umgang mit der der eigenen Sexualität" aufwiesen, so Raue.

Gegen pauschale Entschädigungszahlungen

Dartmann widersprach Raues Ausführungen in zwei Punkten: Mit Hilfe von externen Fachpsychologen werde das Feld der Aufklärung und Sexualität bereits vor dem Eintritt der Kandidaten ausgeleuchtet und finde auch während der Ausbildung genügend Aufmerksamkeit. Von pauschalen Entschädigungszahlungen an die Opfer halte er nichts. Das Geld sei wichtiger für die Präventionsarbeit. Er sei aber zu einem weiteren Dialog mit den Opfern bereit und wolle sie finanziell bei den "notwendigen Hilfen" unterstützen.

Den Abschlussbericht bezeichnete Dartmann als "wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Aufklärung" und betonte, dass dieser "kein Schlusspunkt" sei. Erneut bat der Pater die Opfer um Verzeihung und dankte ihnen dafür, "dass sie das Schweigen gebrochen, ihre Stimme erhoben und ihnen zugefügte Unrecht beim Namen genannt, ja bisweilen herausgeschrieen haben".