Präsidenten-Gelalle

Präsidenten-Gelalle
Wenn Donald Trump am Ende des G20-Gipfels wieder mal als trotteliger Grobian dasteht, könnten daran auch die Fotografen schuld sein. Die überraschende Erkenntnis aus dem Zeit-Interview mit Erdogan: Giovanni di Lorenzo und der türkische Präsident sind jetzt "per Du". Und ein Kriegsfotograf berichtet von seiner größten Sorge, und die hat weder mit seinen Honoraren zu tun - noch mit der Angst um sein Leben.

Gestern ist es schon wieder passiert. Donald Trump hatte gerade den polnischen Präsidenten Andrzej Duda begrüßt und wandte sich nun dessen Frau Agata Kornhauser-Duda zu. Aber die sah ihn gar nicht an. Sie lief an ihm vorbei und schüttelte zuerst Melania die Hand. Das Video ging schnell bei Twitter rum. 

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Schließlich berichteten Spiegel Online wie auch andere Nachrichten-Seiten. Und es wäre keine große Überraschung, wenn so etwas heute wieder passieren würde. Das liegt allerdings nicht nur daran, dass Donald Trump für Fehltritte dieser Art besonders anfällig wäre - in diesem Fall konnte er ja gar nichts dafür -, sondern auch daran, dass die Foto-Berichterstatter vor allem bei ihm darauf warten.

Carsten Luther und Michael Pfister haben mit dpa-Chef-Fotograf Michael Kappeler für Zeit Online darüber gesprochen, wie diese Bilder eigentlich zustandekommen.

Kappeler sagt:

„Man kann jeden Politiker bei nahezu jeder Veranstaltung so oder so fotografieren. Die Maske, die jemand aufsetzt, um eine bestimmte Stimmung zu transportieren, kann er nur eine bestimmte Zeit aufbehalten. Irgendwann rutscht sie kurz zur Seite und man erwischt die Leute vielleicht so, wie sie tatsächlich drauf sind. Wir bieten unseren Kunden alles an, und sie verwenden es so, wie der Spin ihrer Geschichte funktioniert.“

Und der Spin vieler Trump-Geschichten ist eben: Trotteliger Grobian beschämt alle anderen Beteiligten, was zwar einerseits oft stimmt, in den anderen Fällen aber einfach durch die Foto-Auswahl suggeriert werden kann, wie neulich beim Papst-Besuch, als nachher dieses Foto die Runde machte, das die Mimik des Papstes so zeigte, wie es sich viele wünschten - obwohl es zum Beispiel auch dieses Bild gegeben hätte.

Auch die Erklärung für ein anderes Foto, das Donald Trump und Angela Merkel vor einem sogenannten „Familienfoto“ mit allen Staatschefs beim EU-Gipfel in Brüssel zeigt, klingt nicht so, als ließe sich damit eine Geschichte über Differenzen zwischen Deutschland und den USA bebildern.

„Diese Bilder passieren bei Familienfotos immer, die schauen immer, wo sie hinlaufen müssen, weil sie nach ihren Platznummern-Schildchen suchen. Das ist nicht ungewöhnlich.“

Aber es wurde natürlich trotzdem gemacht. Hier, hier oder hier zum Beispiel.

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Mit einem ähnlichen Foto hätte man auch das Erdogan-Interview von Giovanni di Lorenzo in der aktuellen Ausgabe der Zeit ankündigen könnte, das im Altpapier gestern schon kurz erwähnt wurde. Die englische Version sowie eine Zusammenfassung des Gesprächs sind frei verfügbar.

Das Interview ist mit dem Wort „bizarr“ noch recht vorsichtig beschrieben, aber es macht an vielen Stellen deutlich, wie groß die Chancen einer Annäherung zwischen dem Erdogan’schen Verständnis einer freien Presse und der in Europa verbreiteten Vorstellung von einer solchen sind - nämlich gar nicht so groß. Manchmal geben darauf schon die Satzzeichen in Erdogans Antworten einen Hinweis. 

„ZEIT: Lassen Sie uns über andere starke Männer reden. Zu wem spüren Sie im Moment größeres Vertrauen: zu Putins Russland oder zu den Amerikanern unter Trump?

Erdoğan: Stellen Sie uns doch nicht vor so eine Wahl, dazu haben Sie kein Recht! (…)“

Aber es gibt auch Passagen, in denen der Blick auf die Satzzeichen sich erübrigt. Etwa diese hier.

„ZEIT: Ich bin seit 13 Jahren Chefredakteur der ZEIT, ich habe noch nie eine Intervention erfahren, weder von einem Politiker noch von meinen Verlegern. Und sollte das stattfinden, würde ich sofort meinen Dienst quittieren, weil ich dann nicht mehr unabhängig wäre.

Erdoğan: Nun, ich habe das bis heute nicht so erlebt. Ich habe sehr viele Medien-Chefs kennengelernt, viel Zeit mit ihnen verbracht und mit ihnen gesprochen. Und es kam vor, dass ich ihnen ihre eigenen Zeitungen zeigen musste.“

Und mit dem Hintergrund-Wissen, dass unabhängige Journalisten in der Türkei schnell mal im Gefängnis landen, ist diese Behauptung natürlich ganz besonders kurios - als würde ein Vater seinen Kindern mit Schlägen drohen, wenn sie nicht für ihn Klauen gehen, um dann zu behaupten: Die Jungs sind kriminell.

Der prägnanteste Abschnitt ist aber wohl der hier:

„ZEIT: Auch ich habe in meiner Laufbahn rechtsextreme und linksextreme Terroristen interviewt oder solche, die als Terroristen verdächtigt wurden. Wer dies als Journalist tut, ist der in Ihren Augen schon selbst Terrorist oder Unterstützer?

Erdoğan: Meines Erachtens ist er einer, der den Terroristen unterstützt, weil er weiß, dass diese Person ein Terrorist ist. Worüber sollten Sie schon ein Interview mit einem Terroristen führen? Und wo sollten Sie das veröffentlichen? Wenn Sie die Gedanken eines Terroristen in Ihrer Publikation abdrucken, was ist das dann? Das ist die Veröffentlichung des Terrorismus selbst. Sie leisten damit Beihilfe zur Propaganda der Terroristen. Das wird auch von den Anklageorganen überall auf der Welt so bewertet, weil sie sagen: Das ist Beihilfe für die Gedanken der Terroristen, und das ist ein Verbrechen.“

Und was man auch sagen muss: Zwischendurch erinnert das Interview mit Erdogan ein bisschen an ein Gespräch mit einem Besoffenen in der Bahnhofskneipe.

„Erdoğan: Moment mal, (wechselt plötzlich zum Du) vorhin sprachst du von Parteilosigkeit, mein Chef kann mir nichts vorschreiben, nun sagst du: ‚Ich bin nicht der Regierungssprecher‘ und so weiter. (…)“

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Noch etwas deutlicher wird Kemal Kiliçdaroglu, allerdings anders, als Erdogan es sich wünschen würde. Auf der FAZ-Medienseite erklärt der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei in der Türkei in einem kurzen Essay (45 Cent bei Blendle), warum er wie Tausende anderer Türken an einem 450 Kilometer langen Marsch von Ankara nach Istanbul teilnimmt.

„159 Journalisten und Medienmitarbeiter, zwölf Abgeordnete und Hunderte von Akademikern sitzen im Gefängnis. Es ist unmöglich, in der Türkei noch von Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sprechen. Zuletzt wurde unser Parteimitglied, der Istanbuler Abgeordnete Enis Berberoglu verhaftet. Bevor er Abgeordneter wurde, war er Journalist mit einer Berufserfahrung von 33 Jahren. In der Klageschrift, aufgrund deren er inhaftiert worden ist, geht es um seine Arbeit als Journalist. Die Verhaftung von Enis Berberoglu hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Am 15. Juni sagte ich: ‚Wir können das nicht mehr dulden’ und startete unseren ‚Gerechtigkeitsmarsch’.“

Und um hier nicht alles in Pessimismus versinken zu lassen, zitiere ich hier auch den folgenden Absatz.

„Trotz allen Drucks und aller Probleme, glaube ich zutiefst daran, dass unsere Gesellschaft die Demokratie wiederherstellen und die Gerechtigkeit in meinem Land wieder gedeihen wird. Ich glaube auch, dass eine gerechtere Welt möglich ist. Denn ich weiß, dass viele tugendhafte, gewissenhafte Menschen bestrebt sind, Lösungen zu finden, um die Ungerechtigkeit in unserer Welt zu mindern.“

Und dann schaut man auf der FAZ-Medienseite kurz nach rechts, und bekommt beim Blick auf die Meldungen kurz einen Schrecken. Überschrift: „Yücel und Erdogan“. Unterzeile: „Leipziger Preis für Medienfreiheit“. Aber das klärt sich glücklicherweise im ersten Satz der Meldung: „Der Leipziger Preis für die Freiheit und die Zukunft der Medien geht in diesem Jahr an Deniz Yücel und Asli Erdogan.

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Und nun noch einmal zurück zu den Bildern. Dem Fotografen Kainoa Little ist es nicht gelungen, seine letzte Bilder-Serie an eine Zeitung zu verkaufen. Die Fotos hatten wohl nicht den richtigen Spin, und da ließ sich auch durch Warten auf den richtigen Gesichtsausdruck nichts machen. Deswegen hat die Bilder nun im Netz veröffentlicht. Sie sind allerdings nicht aus Hamburg, sondern aus Mossul.

Auf seiner Website schreibt Little:

„I tried and failed to find newspapers and wire services who would purchase my photos. But the soldiers had fed me and given me a seat in their Humvees, and the refugees had tolerated my presence on some of the worst days of their lives. They very rightly expected that I would tell their story. The worst uncertainty for me as a freelancer in conflict isn’t that I won’t be able to pay my rent; it’s that no one will see the story, and then I will have failed to give a voice to the voiceless. So I have tried to share them where I can, and hopefully people can imagine some of the human tragedy and triumph playing out in Mosul.“

Und mit dieser kurzen Werbeeinblendung nun schnell rüber zum…


Altpapierkorb

+++ Im Altpapier gestern war bereits zu lesen, dass der Springer-Verlag sich den Sportsender Sport1 bemüht. Kathrin Müller Lancé berichtet nun für die taz, dass die Verhandlungen konkret werden. „Für den Springer-Konzern wäre der Kauf die zweite große TV-Übernahme. Und ein weiterer Schritt ins Bewegtbildgeschäft. Ende 2013 übernahm das Medienunternehmen den Nachrichtensender N24.

+++ Bild.de hatte schon ein spektakuläres Foto auf der Seite. Thomas Gottschalk vor einer „Wetten, dass…?“-Kulisse. Perfekt natürlich, um große Erwartungen zu wecken und diese dann gleich wieder zu enttäuschen. Um es kurz zu machen: Thomas Gottschalk kehrt nicht mit seiner alten Show ins Fernsehen zurück. Er war nur zu Gast in der ZDF-Show „Wir lieben Fernsehen – Unsere größten TV-Momente“. Und da hat er eine Art „Mini-Wetten, dass…?“ präsentiert. Joachim Huber und Markus Ehrenberg erklären die Hintergründe im Tagesspiegel.

+++ Susanne Kippenberger hat sich für den Tagesspiegel das Gemütlichkeits-Magazin Hygge (neulich schon Thema im Altpapier) angesehen.

+++ Nun kommt tatsächlich „Bild-Zeitung für AfD-Wähler“. Die Süddeutsche schrieb schon am Mittwoch über den Deutschland-Kurier (Altpapier). Joachim Huber hat herausgefunden, dass die Zeitung ab Mitte Juli erscheinen wird. Herausgeber ist danach der die rechtskonservativen Vereinigung zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten. Und das Beste zum Schluss: Die gerade aus dem Bundestag verabschiedete Nervensäge Erika Steinbach wird eine Kolumne schreiben.

+++ Die "Lindenstraße" legt zum ersten Mal in ihrer 1637 Folgen langen Geschichte eine Sommerpause ein. Und das ist eine der Neuerungen, die nichts mit Innovationsgeist zu tun haben, sondern mit Sparzwängen. Aber die anderen gibt es auch. Hans Hoff hat sich mit Hana Geißendörfer getroffen, der Tochter von "Lindenstraße"-Erfinder Hans W. Geißendörfer, die inzwischen auch seine Nachfolgerin als Produzentin der Serie ist und die Sparzwänge dann doch wieder für Innovationen nutzt. Darüber berichtet Hans Hoff auf der SZ-Medienseite. „‚Ich versuche da Tempo und Echtheit reinzubringen. Das Ziel ist, authentisch zu sein‘, formuliert sie ihr Bestreben. Ein weiteres Ziel: ‚Ich will davon weg, dass das Studio aussieht wie Studio‘, sagt sie, und mit Blick auf die amerikanischen Serien, die sie so gern schaut, packt sie gleich noch eine Portion Demut drauf: ‚Wir können natürlich noch besser werden.‘“

+++ DWDL.de hat Manfred Krupp, Intendant des Hessischen Rundfunks, zwei Tage lang begleitet, und ich will wirklich niemandem die Freude am Lesen nehmen, aber den Text hätte so auch Krupps Pressestelle schreiben können. Kleine Kostprobe: „Neben dem Aktenstudium zu Hause fand der Hobbykoch noch Zeit, drei Kilo Spargeln zu schälen und zu kochen. Zur Freude seiner Frau, einer Genderforscherin an der Frankfurter Goethe-Uni, tobt Krupp sich gelegentlich in der Küche aus, besonders gern beim Kuchenbacken.“

+++ 384 Journalisten haben sich um das Recherche-Stipendium des SZ-Magazins beworben, berichtet Chefredakteur Timm Klotzek auf seiner Facebook-Seite. Das Magazin hatte im Mai drei mal 5000 Euro für außergewöhnliche Recherche-Ideen ausgelobt.

+++ Dritter Versuch. Der Spiegel hat sich nach zwei Pleiten was Neues überlegt. Ein Gesundheitsmagazin mit dem Namen „Wohl“. Das neue Heft liegt allerdings, wie Stefan Winterbauer für Meedia berichtet, nicht separat am Kiosk, sondern vierteljährlich dem Magazin bei.

+++ Und der Spiegel hat der Bild-Zeitung den Titel des meistzitierten Mediums wieder abgenommen, meldet das Institut Media Tenor. Media-Tenor-Chef Dietmar Schatz: „Die BILD-Titel hatten sich zu Flüchtlingen, Asylpolitik und Integration im Vorjahr die Themenführerschaft hart erarbeitet, beide Titel scheinen nun aber einen langen Atem vermissen zu lassen und überlassen das Thema anderen Medien.“

+++ Julian Reichelt hatte sich via Twitter über den in seinen Augen „unverantwortlichen Umgang“ Martin Schulz’ mit dem Wort „Anschlag“ beschwert. Moritz Tschermak hat sich fürs Bildblog mal angesehen, wie verantwortungsvoll sie bei Bild.de mit derlei Wörtern umgehen. Und? Sie werden nicht überrascht sein.

+++ Ulrike Simon erklärt in ihrer Spiegel-Daily-Kolumne, warum in dem Rechtsstreit um die Kohl-Memoiren der Sänger Peter Alexander eine Rolle spielen könnte. Es geht nämlich unter anderem um folgende Frage: „Hat sich der Rechtsstreit mit dem Tod des Altkanzlers erledigt?“ Um diese Frage zur beantworten, könnte ein ähnlicher Fall hilfreich sein: „Im vorliegenden Fall durfte der Sohn des Entertainers Peter Alexander den Prozess gegen mehrere Medien nicht fortführen.“ Allerdings ist es nun so, „dass sich sowohl Kohls Anwalt Hermes als auch der Heyne-Anwalt Dresen gleichermaßen auf das Peter-Alexander-Urteil beziehen“. Sie sehen, es ist kompliziert. Am besten, Sie lesen den ganzen Text.

+++ Nachdem Donald Trump vor anderthalb Wochen eine kurze Video-Sequenz via Twitter veröffentlicht hat, in der zu sehen ist, wie er bei einem Wrestling-Kampf eine Person verprügelt, auf deren Schultern im Video kein Kopf, sondern ein CNN-Logo zu sehen ist, läuft nun wieder alles wie sonst auch: In der Kritik steht nicht Trump, sondern, richtig, CNN. Erst hatte geheißen, Trump rufe zu Gewalt gegen Journalisten auf, was nicht ganz von der Hand zu weisen war. Wie Karoline Meta Beisel auf der SZ-Medienseite berichtet, hatte der Mann, der für das CNN-Logo im Video verantwortlich ist, sich dann allerdings entschuldigt. Der Sender hatte deshalb darauf verzichtet, seinen Namen zu nennen, aber gleich angekündigt, das nachzuholen, wenn so was noch mal vorkomme. Und nun steht ein neuer Vorwurf im Raum: Erpressung.

Neues Altpapier gibt es Montag.

 

 

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