Warum deutsche Leser:innen Kishon liebten

Portait in schwarz/weiß vom Schriftsteller Ephraim Kishon
© epd-bild/Keystone
Der israelische Schriftsteller Ephraim Kishon war am Kriegsende auch in sowjetischen Arbeitslagern interniert.
Humor nach dem Holocaust
Warum deutsche Leser:innen Kishon liebten
Ephraim Kishon war ab den 1960er Jahren in fast jedem westdeutschen Bücherschrank vertreten. Doch was machte die Werke eines Holocaust-Überlebenden im Land der Täter so beliebt? Dem geht die Literaturwissenschaftlerin Birgit Körner auf den Grund.

Von 43 Millionen verkauften Büchern weltweit waren es allein in der BRD 32 Millionen! In der DDR nicht, denn Ephraim Kishon wie sein Übersetzer Friedrich Torberg waren Anti-Kommunisten und wollten nicht in Ost-Deutschland publizieren.

Dabei setzte Kishons großer Erfolg im Land der NS-Täter ein, als es in der Bundesrepublik eine Debatte gab, ob im Holocaust der typisch osteuropäisch-jüdische Humor für immer untergegangen war. Oder gab es die Fortsetzung eines jüdisch geprägten Sarkasmus in der Tradition Heinrich Heines oder Kurt Tucholskys? Oder aber war Kishon Vertreter eines ganz neuen israelischen Humors, über den die Deutschen unbeschwert lachen durften? Die Frankfurter Literaturwissenschaftlerin Birgit Körner hat jetzt ein Buch über Ephraim Kishon geschrieben.

"Der erste Stock war sein Reich. Als wäre er gerade vom Schreibtisch aufgestanden. Es gibt zwei Urkunden von Ehrendoktorwürden. Daneben hängen antisemitische Karikaturen. Es war sein Lebensthema: Die Anerkennung kombiniert mit der Verfolgung und Diffamierung als Jude", sagt Birgit Körner.

Seit seinem Tod 2005 ist das Arbeitszimmer von Ephraim Kishon in Tel Aviv unberührt. Die Literaturwissenschaftlerin hat es durchstöbern dürfen. Ephraim Kishon war ungarischer Jude und hieß Ferenc Hoffmann. Erst bei seiner Emigration nach Israel 1949 wurde ihm vom israelischen Grenzbeamten sein neuer Name gegeben. Kishons erstes Buch auf Deutsch erschien 1961: "Drehn Sie sich um, Frau Lot!" lautet der Titel. Sein Überleben als Zwangsarbeiter des ungarischen Arbeitsdiensts wird nur im Klappentext angedeutet.

Betroffen oder unterhalten - der Autor lässt die Wahl

"Kishon verschweigt es nicht, aber er packt es in dieses Satirische. Die Schulen waren schlimmer und die Arbeitslager waren deutsche, ungarische und russische. So dass das Deutsche etwas verschwindet. Wenn man die Schuldfrage stellt, dann ist es so: Es gab verschiedene", sagt Körner. Nicht nur die Deutschen hätten zwischen 1933 und 45 Schuld auf sich geladen, sondern auch die, die mit ihnen kollaboriert haben, und nach 1945 eben auch die Sowjets mit ihren Lagern, in denen Kishon auch interniert war.
Kishon sagte einmal, wenn man Deutschland nicht mehr besuchen wolle wegen seiner Nazi-Schuld, könne man viele andere europäische Staaten auch nicht mehr bereisen, weil sie mit Nazi-Deutschland kooperierten.

Nach dem Sieg der Roten Armee musste Kishon erneut in ein Lager. Daher rührte sein Antikommunismus. Redakteur Martin Doerry kritisierte später im Spiegel: "Die bunte Mischung aus besinnlichen und heiteren Anekdoten lässt dem Leser die Wahl, ob er nun betroffen, unterhalten oder beides zugleich sein will. Nicht in einer einzigen Zeile nötigt Kishon ihn zu Anerkennung von Schuld."

Tücken des Alltags, die jeder kennt

Dabei schrieb Kishon auf Hebräisch. Der "deutsche" Kishon war ein Konstrukt seines Übersetzers Friedrich Torberg. Viele Pointen wurden von ihm weggelassen oder entschärft. Torberg war ein österreichischer Jude, der ein Gespür dafür hatte, was er den Nachkriegsdeutschen zumuten konnte und was nicht. Kishon war wie Torberg im Humor-Umfeld der früheren K.u.K.-Monarchie aufgewachsen. Kishon hat das nach Israel mitgenommen. Torberg nennt es nun "israelischen Humor".

Die Frankfurter Literaturwissenschaftlerin Birgit Körner hat ein Buch über Ephraim Kishon geschrieben.

"Der Humor ist jetzt anders. Und er hat dem deutschen Publikum vermittelt: Das hat nichts mehr mit dem Davor zu tun. Ihr könnt das unbeschwert wahrnehmen", sagt Birgit Körner.

Kishon selbst hat das später in einem Hörfunk-Interview so ausgedrückt: "Jüdischer Humor war Humor von den armen Ghetto-Einwohnern. Sie konnten ihre Lage nicht anders leichter machen als durch lachen über sich selbst. Aber Israel ist kein Ghetto. Darum ist es so, was ich schreibe, auch wie der deutsche Leser es findet. Es sind dieselben Probleme: mit meinem Hund, meiner Frau, meinen Kindern und mit meinen Politikern."

Kishon konnte auch scharf sein

Also gab es Kishon für Steuerzahler, Kishon für Familien, Kishon für Autofahrer usw. usw. - und die Verkaufszahlen schossen in die Höhe. Kishon wurde in Radio- und TV-Sendungen eingeladen, führte selbst Regie, etwa für das ZDF. Und Kishon signierte seine Bücher und hatte so direkten Kontakt zu seiner deutschen Leserschaft.

Kishon konnte aber auch scharf sein. Etwa in der Geschichte "Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte" von 1963, in der die arabischen Staaten Israel zerstören. Im Detail beschreibt Kishon, wie die internationale Gemeinschaft es nicht verhindern kann, dass der jüdische Staat acht Jahre nach seiner Gründung und zehn Jahre nach der Schoah ausgelöscht wird. Dabei stehen vor allem die absurden Verhandlungen und Maßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im Mittelpunkt.

Während dieser satirischen Eskalation der diplomatischen Bemühungen wird draußen die Vernichtung Israels vollzogen. Auf den vom Bombardement verschont gebliebenen Strandabschnitten der in Trümmer gelegten Städte Tel Aviv und Haifa richten die Vereinten Nationen dann doch noch Zeltlager ein, in denen die 82616 überlebenden Juden untergebracht werden. "Und jetzt erwachte das Weltgewissen." Nun werden Gedenkgottesdienste abgehalten und die wenigen Überlebenden aufgenommen.

"Endlich wieder zusammen lachen"

Aber man wollte solch scharfe Kritik eben auch an der deutschen Erinnerungs- und Betroffenheitskultur kaum lesen. In Deutschland wollte man lachen. Kulturstaatsministerin Christina Weiß erklärte Kishon zum Brückenbauer, der zur Versöhnung zwischen Juden und Deutschen beigetragen hat.

"Es gab diese Idee, man konnte endlich wieder mit Juden zusammen lachen. Wo man sich fragt: Gab es überhaupt eine Zeit, wo das der Fall war? Wieso wollte man gerade lachen mit Juden nach 45? Es passt sehr gut in diese Wirtschaftswunderzeit", sagt Birgit Körner.

In Kishons Arbeitszimmer fand Birgit Körner auch Leserbriefe aus Deutschland. Neben Bewunderung für Kishon und Israel als für Deutsche zu entdeckendes Land finden sich auch Schmähungen und antisemitische Beschimpfungen. Die Deutschen hätten doch nun genug gelitten und bezahlt. Kishon muss das geschmerzt haben. Zumindest hat er diese Post aufgehoben.

Kishon aber hat sich schließlich mit Deutschland versöhnt. Sein Erfolg sei seine größte Genugtuung gewesen, sagt Literaturwissenschaftlerin Birgit Körner: "Es gibt Anekdoten, dass er im Cabrio durch Tel Aviv fuhr und dabei laut Reden von Hitler und Goebbels abspielte. Das ist auch eine Art von: Ich habe überlebt! Ihr seid tot! Dass die Enkel seiner Henker bei ihm Schlange standen zum Signieren, das war sein größter Erfolg."

Buchtipp: Birgit M. Körner, Israelische Satiren für ein westdeutsches Publikum, Ephraim Kishon, Friedrich Torberg und die Konstruktionen "jüdischen Humors" nach der Schoah, Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne, Bd. 29, Neofelis-Verlag Berlin, ISBN: 978-3-95808-427-8, 19,00 €