Paulina Hildesheim
Gott und Freiheit
"Wichtig ist die Freiheit, die wir uns selbst geben"
chrismon: Wann haben Sie sich das letzte Mal richtig frei gefühlt?
Bernhard Schlink: Ich fühle mich immer frei. Das ist eine enttäuschende Antwort, ich weiß. Sie hätten gerne den einen großen Moment. Aber es ist so.
Wie kommt das?
Wir sind frei, wenn wir nach dem Gesetz leben, das wir uns selbst geben. Nicht nach den Vorgaben und Vorstellungen anderer, nicht in Abhängigkeit von unseren momentanen Befindlichkeiten, Stimmungen, Launen. Die Vorgaben anderer können so überwältigend, so unterdrückend sein, dass wir uns ihnen nicht entziehen können. Aber das ist selten, und meistens ist die Freiheit, die wir uns selbst geben, wichtiger als die, die uns die anderen lassen. Sollte Sie irritieren, dass wir uns mit einem Gesetz Freiheit geben, denken Sie an Alkohol- und Drogenabhängige, die statt unter dem eigenen Gesetz unter dem der Sucht leben.
Was meinen Sie mit dem selbst gegebenen Gesetz?
Es ist das Wissen, was zählt, was man will, wie man mit sich und mit anderen richtig umgeht. Man könnte auch daran denken, von einem Lebensplan zu sprechen. Aber Gesetz trifft es besser; Lebenspläne müssen immer wieder veränderten Lebenssituationen angepasst werden. Eine Zeit lang stehen die Kinder auf dem Lebensplan, eine Zeit lang Beruf und Karriere, für mich bestimmte lange das Recht das Leben, dann kam das Schreiben dazu. Aber wie die gewählten und gestellten Aufgaben anzugehen und ihnen gerecht zu werden ist, verändert sich nicht gleichermaßen.