Stifterpreis für die Förderung von Gemeinsamkeit

Stifterpreis für die Förderung von Gemeinsamkeit
Man könnte fast den Überblick verlieren über die zahlreichen sozialen, ökologischen und kulturellen Projekte, an denen Jens Mittelsten Scheid als Initiator, Ideen- und Geldgeber oder Mitarbeiter beteiligt ist. Für sein gesellschaftliches Engagement, dessen Herzstück die Münchner "Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis" und die "Stiftung Interkultur" sind, erhält der 68-Jährige am Freitag in Frankfurt den Deutschen Stifterpreis.
06.05.2010
Von Gisela Dürselen

"Wir haben hinreichend Probleme - weltpolitisch und national", meint Scheid. Weil diese Probleme von Menschen gemacht seien, könne nur der Mensch sie lösen. Aus diesem Ansatz heraus gründete Scheid 1982 die "anstiftung" mit dem Ziel, Strukturen zu schaffen, die den Menschen dabei helfen, selbst tätig zu werden und damit sich und die Umwelt verändern.

1987 entstand das Münchner "HEi", das "Haus der Eigenarbeit": In den mittlerweile sechs offenen Werkstätten können Interessierte Möbel bauen, Kleidungsstücke nähen, Kunstwerke schmieden oder einfach ihr Fahrrad reparieren und sich dabei von einer Fachkraft beraten lassen. Viele Menschen seien unsicher, wenn sie kämen, und sähen dann, was sie alles können. "Sie werden ihr Werk nicht so schnell wieder wegwerfen, weil sie stolz sind auf ihre Leistung", sagt Scheid.

Von Nazi-Forschung bis zu Stadt-Tomaten

Jens Mittelsten Scheid (Bild links) ist nicht das erste und auch nicht das einzige Mitglied der Unternehmerdynastie "Vorwerk", das sich sozial in die Gesellschaft einbringt: Seine Eltern gründeten die Stiftung "ertomis" mit Schwerpunkt auf NS-Forschung, Architektur und Medizin. Nach dem Tod seiner Eltern fusionierte Scheid "anstiftung" und "ertomis" zu einer deutschlandweit tätigen Stiftungsgemeinschaft mit dem Ziel, Menschen zu befähigen, ihre Kompetenzen zu entdecken und Räume zu schaffen, "in denen der Einzelne nicht nur sein Konto im Blick hat, sondern auch seine Nachbarn und seine eigene Kreativität", so Scheid.

Vielfalt ist das Anliegen der 2003 gegründeten "Stiftung Interkultur": In bundesweit rund 100 interkulturellen Gärten verbindet sie Menschen aus verschiedenen Kulturen durch Gartenbau, handwerkliche und umweltbildende Arbeiten. "Vor der Integration in eine neue Gesellschaft muss ein Mensch erst Wurzeln schlagen und sich wohlfühlen", sagt Scheid. Oder das Projekt "Urbane Landwirtschaft": In München und anderen deutschen Städten wachsen auf Balkonen, auf Dach- und Abstandsflächen und auf städtischen Ackerflächen Gemüse und Obst. Die Ernte hilft den Menschen, sich selbst zu versorgen.

Teilhabe in der individualisierten Gesellschaft

Damit die Arbeit weitere Früchte trägt, wurde 2009 das "Netzwerk Wandelstiften" gegründet. Der Zusammenschluss von bisher 16 Stiftungen hat sich das Ziel gesetzt, "dem sozialen Wandel ein menschliches Gesicht zu geben". Außerhalb seiner Stifterarbeit engagiert sich Scheid in einer langen Reihe weiterer Projekte auf den Gebieten Ökologie, Nachhaltigkeit und Kultur. Wenn Scheid nicht gerade für eines dieser Projekte unterwegs ist, arbeitet auch er mit seinen eigenen Händen: auf seinem Bauernhof in den bayerischen Alpen.

Der Deutsche Stifterpreis wird 2010 zum zwölften Mal anlässlich des Deutschen Stiftungstags vergeben. Das Thema in diesem Jahr lautet "Stiftungen in der Stadt - Impulsgeber für das Gemeinwesen vor Ort". Für die Findungskommission des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen steht fest, dass Scheid mit seinen Projekten zeigt, wie Stiftungen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft entwerfe er Konzepte, "die den Menschen Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten bieten".

epd