Wer hat Angst vor türkischen Schulen?

Wer hat Angst vor türkischen Schulen?
Mit seiner Forderung, in Deutschland türkische Schulen einzurichten, hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine heftige Debatte ausgelöst, Ex-Bundeskanzler Schröder legte in der "Bild"-Zeitung nach. Das ist verwunderlich - denn solche Schulmodelle gibt es längst.
31.03.2010
Von Thomas Östreicher

Der Streit war vorhersehbar. "Die Zeichen der Zeit" habe Deutschland nicht erkannt, tönte der türkische Ministerpräsident Erdogan unlängst und forderte, die Gründung türkischer Schulen zuzulassen – ähnlich den bereits bestehenden deutschen Schulen in der Türkei. Angela Merkel lehnte dieses Ansinnen mit der Begründung ab, türkische Schulen dienten nicht der Integration von Ausländern.

"Warum dieser Hass gegen die Türkei?", konterte Erdogan. "Ich verstehe es nicht." Das habe er von der Bundeskanzlerin nicht erwartet. "Ist die Türkei ein Prügelknabe?", so der Regierungschef.

Ein Indiz für "Parallelgesellschaften"?

Bei Merkels Besuch in Ankara klangen beide Seiten schon versöhnlicher. Merkel räumte ein, den Türken in Deutschland stehe Gleiches zu wie den Deutschen anderswo - solange türkische Schulen nicht als Ausrede dienten, nur noch türkisch zu sprechen.

Womit sie genau den Punkt traf. Denn eigentlich ist der Streit überflüssig - deutsch-türkische Schulen in Deutschland gibt es vielerorts längst. Nicht als wahr gewordene Horrorfantasie derer, die beständig vor "Parallelgesellschaften" warnen, sondern als ein Bestandteil des vielfältigen Angebots in Deutschland.

"Erdogan ignoriert die Schullandschaft in Deutschland", erklärte denn auch Maria Böhmer (CDU), Integrations-Staatsministerin in Berlin. Bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren entstanden dort zweisprachige Schulen, in denen Türkisch mehr sein sollte als ein zusätzliches Fremdsprachenangebot. In der 1983 gegründeten Berliner Spreewaldgrundschule etwa werden die derzeit gut 400 Schülerinnen und Schüler in jeweils einer Klasse pro Jahrgang zweisprachig unterrichtet.

Man spricht Deutsch

Am Tüdesb-Gymnasium in Berlin-Spandau, 2004 in freier Trägerschaft gegründet, sollen demokratisches, tolerantes, respektvolles Verhalten und die friedliche Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Ansichten vermittelt werden. Unterrichtet wird auf Deutsch und Englisch, Türkisch kann als zweite oder dritte Fremdsprache belegt werden. In einem Offenen Brief macht die Schulleitung deutlich, dass sie Ministerpräsident Erdogans Ansinnen "nicht für erstrebenswert" hält. Auch auf dem 2006 bestehenden türkischen Sema-Privatgymnasium in Mannheim wird nicht auf Türkisch unterrichtet.

Viele vergleichbare Einrichtungen wie das Kölner Privatgymnasium Dialog in Köln legen entsprechenden Wert darauf, keine nationalitätsbezogene, sondern eine staatlich anerkannte Ersatzschule zu sein. Ziel sei "die integrative Erziehung und Bildung des Menschen in die heutige Gesellschaft sowie seine Vorbereitung auf die zukünftigen Herausforderungen", heißt es. Gültig ist ohnehin der Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes. Die Kölner Schule hatte zu Beginn vor zweieinhalb Jahren 37 Schüler, inzwischen sind es gut 150. Der Türkisch-Deutsche Akademische Bund fungiert als Trägerverein.

Zwei Sprachen = zwei Fremdsprachen?

Bilingualer Unterricht kommt dabei nicht unbedingt deren Bequemlichkeit entgegen. Im Gegenteil: Gerade Kinder aus Familien, die schon vor vielen Jahren nach Deutschland kamen, beherrschen nämlich kein korrektes Türkisch, sondern sprechen einen Mix aus Türkisch und Deutsch. Sie müssten sozusagen zwei Fremdsprachen lernen, und das könne sie überfordern, gab manch ein Experte schon vor Jahren zu bedenken.

Das mag auch der Grund sein, wieso die deutsch-türkische Alphabetisierung beispielsweise in der Hauptstadt wie ein Auslaufmodell anmutet. 1990 als Versuch in Berlin gestartet, verfolgten zehn Jahre später 19 Schulen das Konzept. Heute sind es nur noch fünf. Mancherorts scheitert die Idee schon mangels Masse: Wo der Migrantenanteil 80 oder 90 Prozent beträgt, ist es schlicht nicht möglich, zweisprachige Klassen zu bilden.

Bildungsschwerpunkt: Ausdrucksfähigkeit

Genau auf die sprachlichen Schwächen der Schüler hat sich das oft als "Hamburgs erste türkische Privatschule" titulierte Alsterring-Gymnasium spezialisiert. Die Einrichtung ging aus einem 1998 von türkischen Eltern gegründeten Nachhilfeinstitut hervor. 2009 startete der Schulbetrieb mit einer 5. Klasse. Das Ziel: mehr als an staatlichen Schulen an sich begabte Schüler zu fördern, die mit dem Deutschen Probleme haben, aber durchaus Aussichten haben, das Abitur zu schaffen.

"Wir sind eine ganz normale deutsche Schule", darauf legt Geschäftsführerin Gamze Casu großen Wert. Unterrichtet wird - in engem Kontakt mit den meiste türkischen Eltern - nach dem Hamburger Rahmenplan, statt Islamunterricht gibt es Ethik. Die Türkisch-AG einmal die Woche ist freiwillig.

Deutsche Schüler selten

Weil viele der Absolventen zuvor Nachhilfeunterricht besuchten, bleiben die rein deutschen Kinder zwar die Ausnahme. "Zu uns können aber auch Schüler aus Italien, Afrika oder woher auch immer kommen", so Casu zu evangelisch.de. Und was hält sie von der Forderung nach "türkischen Schulen"? "Eigentlich nicht so viel", sagt die Hamburgerin. "Ein flächendeckendes Modell dieser Art finde ich nicht sinnvoll, einen bilingualen Ansatz, um beidsprachig zum Abitur zu kommen, schon eher."

Rein türkischer Unterricht "verbaut Kindern, die bei uns leben, Integrations- und Aufstiegschancen", so Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Laschet kürzlich. Das sieht Gamze Casu genauso. Eine Schule in Deutschland, an der nicht auf Deutsch unterrichtet wird, sollte es ihrer Ansicht nach nur für Schüler geben, die zeitlich befristet hier bleiben wollen. Das ist an ihrem Gymnasium anders.

Wer kann sich Privatschulen leisten?

Trotz des integrativen Ansatzes bleibt aber ein Manko der privaten deutsch-türkischen Schulen mit ihrer spezialisierten Förderung bestehen: das erhobene Schulgeld, das sich beim Alsterring-Gymnasium in Hamburg zusammen mit der "Betreuungspauschale" auf 250 Euro pro Monat summiert. Das können sich Geringverdiener selten leisten, weswegen manche Bildungspolitiker gerade für deren Kinder langfristig eine schlechtere Versorgung befürchten. Immerhin: Die Einrichtung stellt "fleißigen und zugleich bedürftigen Schülern" Kostenermäßigung bis hin zum Erlass des Schulgeldes in Aussicht. Allerdings höchstens einem Kind pro Klasse. 


Thomas Östreicher ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt.