Merkel äußert sich persönlich zu Missbrauchsfällen

Merkel äußert sich persönlich zu Missbrauchsfällen
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich erstmals persönlich zu den sexuellen Missbrauchsfällen in katholischen Schulen und anderen Kircheneinrichtungen geäußert. "Kindesmissbrauch ist eines der schrecklichsten Delikte", sagte die CDU-Politikerin am Sonntag im Interview der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin".

Deshalb sei Aufklärung zentral. Sie habe den Eindruck, dass die Kirche dies auch anerkenne. Merkel begrüßte es, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sich bei den Opfern entschuldigt habe und die kirchlichen Leitlinien zur Untersuchung von Missbrauchsfällen überarbeitet werden sollen.

Patres kündigen Selbstanzeige an

Inzwischen sind 150 Fälle von sexuellem Missbrauch in katholischen Einrichtungen bekanntgeworden, einen Runden Tisch zur Aufarbeitung lehnt die Kirche aber ab. Missbrauch von Kindern sei kein spezifisches Problem der katholischen Kirche, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, der "Welt am Sonntag". Bei der Anwältin Ursula Raue haben sich laut "Berliner Morgenpost" etwa 150 Opfer aus ganz Deutschland gemeldet. Jeden Tag berichteten ihr weitere Männer und Frauen von Übergriffen aus den 1950er- bis 1980er Jahren, sagte Raue. Zwei Patres, die vor etwa 25 Jahren an einem Internat in Homburg (Saarland) unterrichteten, kündigten am Wochenende Selbstanzeige an.

Merkel ging in dem Interview auch auf den kürzlichen Streit zwischen Zollitsch und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) ein. Sie begrüße es, dass sich beide zu einem Gespräch treffen wollten. Leutheusser-Schnarrenberger hatte kürzlich einen Runden Tisch speziell zu den Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen gefordert.

Klare Absage für den geforderten Runden Tisch

Dieser Forderung erteilte Zollitsch jetzt eine klare Absage. Sexueller Missbrauch von Kindern habe "weder etwas mit dem Zölibat zu tun, noch mit Homosexualität, noch mit der katholischen Sexuallehre. Deshalb brauchen wir auch keinen runden Tisch speziell für die katholische Kirche", sagte der Freiburger Erzbischof.

Die FDP reagierte "enttäuscht". "So entsteht nicht mehr Vertrauen der Öffentlichkeit in die Aufarbeitungsbemühungen der katholischen Kirche, insbesondere vor dem Hintergrund der stetig gestiegenen Opferzahlen in den letzten Tagen und einer bedauerlicherweise immer noch zu befürchtenden großen Dunkelziffer", sagte der parlamentarische Geschäftsführer und rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt. Die katholische Kirche solle ihre Ablehnung noch einmal überdenken.

Zollitsch betonte, dass die Kirche an einem Runden Tisch für alle gesellschaftlich relevanten Gruppen teilnehmen würde, wenn die Ministerin diesen einrichte. Jedenfalls nehme er die Einladung der Ministerin zu einem Gespräch an. Er halte es für positiv, wenn über die Verlängerung der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch debattiert wird. Im Südwestrundfunk kündigte Zollitsch am Samstag an, im März Papst Benedikt XVI. zu informieren. Im Sommer wollen die Bischöfe Initiativen gegen den sexuellen Missbrauch Minderjähriger auf den Weg bringen. Die Bischofskonferenz hatte sich für die Vorfälle entschuldigt.

Externe Komission zur Aufklärung

Erste Missbrauchsfälle waren am Berliner Canisius-Kolleg Ende Januar öffentlich geworden. Der Jesuitenorden als Träger der Schule beauftragte daraufhin Raue, sich um die Opfer zu kümmern. Die Bischofskonferenz hatte vergangene Woche den Trierer Bischof Stephan Ackermann als Beauftragten zur Aufklärung der Missbrauchsfälle benannt. Raue hält diese Entscheidung für unzureichend. Sie forderte für jedes Bistum externe Mitarbeiter. "Sie dürfen nicht Teil der Organisation und Hierarchie sein, denn dann sind da mitunter andere Loyalitäten, andere Bindungen an das System, als wenn jemand von extern eingesetzt wird."

Im Erzbistum soll jetzt eine externe Kommission eingesetzt werden. Der Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums Berlin, Stefan Dybowski, hat darum gebeten, von seinem Amt entbunden zu werden. Das bestätigte Bistums-Sprecher Stefan Förner, am Samstag. Dybowski leite zugleich die Seelsorge-Abteilung im Ordinariat und habe damit nach eigener Einschätzung nicht die nötige Distanz zu möglichen Tätern.

Sinkendes Vertrauen in die katholische Kirche

Das Vertrauen in die Institution katholische Kirche sinkt, ergab eine Umfrage. Nur knapp 20 Prozent der Deutschen gehen nach einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" (Samstagsausgabe) davon aus, dass die Kirche zur Missbrauchs-Aufklärung beiträgt. Nach einer Umfrage für den "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstagsausgabe) hält weniger als ein Drittel der Befragten die katholische Kirche für ehrlich. Für die Studien waren jeweils 1000 Menschen befragt worden.

Der katholische Orden der Salesianer Don Bosco hat weitere Hinweise auf Missbrauchsfälle in seinem mittlerweile geschlossenen Berliner Kinderheim am Wannsee in den 1960er Jahren. In einem weiteren Fall sei 1955 gegen einen Pater Strafbefehl erlassen worden, weil er einen Schüler "körperlich" misshandelt habe. In den kommenden Tagen will der Orden einen Zwischenbericht vorlegen.

dpa