Winnenden: Die Albertville-Schule nach dem Amoklauf

Winnenden: Die Albertville-Schule nach dem Amoklauf
Winnenden fast ein Jahr nach dem Amoklauf: Die Albertville-Realschule steht leer, Schülerinnen und Schüler sind nach nebenan in ein Containerdorf gezogen. Vieles hat sich verändert in dem Ort in Schwaben.
23.02.2010
Von Judith Kubitscheck

Ein Zweckbau im Charme der 70er-Jahre mit einer weiß-grauen Fassade und schwarzen Fensterrahmen: Die Albertville-Realschule im schwäbischen Winnenden sieht aus wie eine ganz gewöhnliche Schule in einer ganz gewöhnlichen Stadt. Das war sie auch. Bis zum 11. März 2009, als der ehemalige Schüler Tim K. in diesem Gebäude acht Mädchen, einen Jungen und drei Lehrerinnen erschoss.

Containerdorf als Schule

Ein Jahr nach dem Amoklauf hat sich in der Realschule viel verändert: Seit der Tat steht das Gebäude bis zu seinem Umbau und der Renovierung leer. Das Leben der 600 Schüler spielt sich ein paar Meter weiter auf dem Gelände eines Sportzentrums ab. Innerhalb von drei Wochen wurde dort aus 165 Containern eine provisorische Schule aufgebaut. An den zwei Ausgängen sind Videokameras angebracht. Sie sollen das Gefühl von Sicherheit vermitteln.

"Im Sommer kann es ziemlich heiß und im Winter total kalt werden, aber das nehmen wir Schüler gern in Kauf, denn die meisten unter uns könnten es sich absolut nicht vorstellen, wieder in unserer alten Schule unterrichtet zu werden," sagt Carolin, eine Schülerin aus der 10. Klasse. Sie saß am 11. März vor der Tat im Deutschunterricht. Dort lasen sie den Artikel des Gehirnforschers Manfred Spitzer und diskutierten über die Auswirkungen von Computerspielen auf Jugendliche, bevor sich die Tür öffnete und drei Schülerinnen erschossen wurden.

Jetzt, fast ein Jahr nach der Tat, ist in den Containerklassenzimmern wieder ein gewisser Alltag eingekehrt. Bald müssen die Zehntklässler ihre Prüfung ablegen und sich damit beschäftigen, wie es nach dem Realschulabschluss weitergehen soll.

Ehrenamtliche Lernbegleiter helfen

Manche sind mit beidem überfordert. Deshalb wollen ehrenamtliche Lernbegleiter den betroffenen Schülern helfen, sich auf die anstehenden Prüfungen und Entscheidungen zu konzentrieren. Ein Mal die Woche trifft sich die Klasse mit den Schulpsychologen zu einem Gruppengespräch, manche Schülerinnen und Schüler sind in Einzeltherapie.

Manchmal, so berichtet der evangelische Religionspädagoge Martin Gerke, werden die Bilder in den Köpfen der Schüler wieder so lebendig, dass sie dem Unterricht nicht konzentriert folgen können. Dann dürfen die Zehntklässler jederzeit den Unterricht verlassen und in den "Raum der Stille" gehen.

Ein Boden grün wie Gras, Sofa und Sitzhocker in erdigen Brauntönen und himmelblaue Tücher an der Decke lassen dieses Containerzimmer freundlich aussehen. In einer Schrankwand liegen in kleinen quadratischen Fächern eine CD, ein Foto, ein Teddy und weitere persönliche Gegenstände, die an die ausgelöschten Leben der Opfer erinnern sollen.

Schüler richteten "Raum der Stille" ein

Den "Raum der Stille" hat ein Team der ökumenischen Schulgemeinde der Albertville-Realschule eingerichtet. "Die Schüler wollten nach dem 11. März selbst aktiv werden", berichtet Gerke, der mit seinem katholischen Kollegen die Aktionen der Schüler unterstützt und Deutschlands erste Schulgemeinde begründete.

Ihrer ersten Veranstaltung, einer Liturgienacht, folgte eine Adventsfeier, zu der auch die Opferfamilien eingeladen wurden. "Die Feier tat den Eltern gut. Sie sahen, dass in der Klasse ein Teil ihres Kindes immer noch mitlebt". Auch den Schülern habe es geholfen zu sehen, wie die Eltern mit der Trauer umgehen. Auch Carolin ist in der Schulgemeinde. Wenn sie Angst oder Alpträume hat, helfe ihr der christliche Glaube: "Ich weiß, dass ich im Leben wie im Sterben geborgen bin".

Seit dem Amoklauf tragen viele der Schüler Pullover und T-Shirts mit der Aufschrift "Wir haben einen Traum". Dieser Satz erinnert an den amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King, der sich eine gewaltlose Gesellschaft wünschte. "Wir haben einen Traum, dass wir ein Stückweit aus der sinnlosen Tat etwas Sinnvolles gestalten," sagt Rektorin Astrid Hahn.

epd