Caster Semenya: Was macht eine Frau zur Frau?

Caster Semenya: Was macht eine Frau zur Frau?
Wie aus dem Nichts gewann die Südafrikanerin Caster Semenya 2009 Gold über 800 Meter bei der Leichtathlethik-WM. Seit der Zeit geht es nur noch um die Frage, ob Semenya ob ihres männlichen Aussehens tatsächlich eine Frau ist. Die Antwort ist nicht einfach.
04.02.2010
Von Petra Thorbrietz

Was macht eine Frau zur Frau? Diese Frage wurde im Fall der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya zum Politikum, zu einem der "heißesten Themen des Jahres 2009", wie die New York Times schrieb. Denn es geht dabei um viel mehr als um die Diagnose, ob die 19-Jährige, die an der Universität Pretoria Sportwissenschaften studiert, eine "richtige" Frau ist. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Erkenntnisse der modernen Life Sciences wie Biologie und Medizin die Philosophie des sportlichen Wettkampfs nicht völlig ad absurdum führen.

Wenn das Geschlecht von Caster Semenya wirklich weiblich ist, wie ist sie dann zu ihrer tiefen Stimme gekommen und zu ihrem Aussehen, das eher an einen schönen Jüngling erinnert? Und wie konnte sie es schaffen, fragen sich Sportfans und Offizielle in der ganzen Welt, dass sie sich in kaum einem Jahr vom langsamen Entlein der Juniorenweltmeisterschaft 2008 zur Goldmedaillengewinnerin im 800-Meter-Lauf bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 in Berlin mauserte, über zwei Sekunden schneller war als die Zweite und Dritte im Ziel? Ist Caster keine Frau, sondern ein so genannter Hermaphrodit, ein Zwitter?

Kampf um Rangordnungen

Was sonst eher als Kuriosum der Natur gewertet würde, gerät im Sport zum verbissenen Kampf um Rangordnungen. Zwar ist klar, dass ein hoher Anteil männlicher Hormone in einem Frauenkörper einen Wettbewerbsvorteil darstellt - egal ob durch Doping oder von der Natur erzeugt. Aber was heißt eigentlich "natürlich"? Die Bestimmung, was Mann und was Frau sind, ist gar nicht so einfach, denn hinter dem, was das Geschlecht ausmacht, steckt weit mehr, als die äußere Anschauung preisgibt.

Deshalb brachte auch die Kontrolle der Geschlechtsorgane auf der Toilette nichts, die bei Caster schon in der Schulzeit klären sollte, ob sie im Wettkampf wirklich bei den Mädchen mitlaufen sollte, wie ihr ehemaliger Direktor einer Zeitung erzählte. Das gegnerische Team hatte immer wieder diesen Beweis verlangt. "Aber dann kamen sie zurück und es hatte sich kein Hinweis ergeben, dass etwas an ihr anders war. Also lief sie bei den Mädchen." Jetzt munkeln viele, warum wohl die Ergebnisse mehrerer Geschlechtstests nicht veröffentlicht werden, die von internationalen und nationalen Leichtathlethikverbänden in Auftrag gegeben wurde.

"Die Sportverbände wollen klare Antworten, aber die Biologie kann sie nicht geben", erklärt das Alice Dreger, Bioethikprofessorin der Northwestern University. "Biologie ist nicht so simpel wie diese Tests", betont sie und kritisiert in der New York Times, dass die Methoden der Verbände fraglich seien: "Man sollte das wissenschaftlich überprüfen!"

Spitzensportler weichen ab

Am 20. Januar empfahl nun ein Ärztegremium des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das Thema weniger unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Sport zu sehen, sondern mehr unter dem Aspekt medizinischer Risiken. Athleten, die zwar als Frauen in den Wettkampf gingen, aber maskuline Charakteristiken aufwiesen, seien besonderen Gefahren ausgesetzt und sollten entsprechend überwacht und behandelt werden. Die Frage, ob sie an den Start gehen dürften, müsse von Fall zu Fall entschieden werden - mehr Einigkeit konnte die interdisziplinär besetzte Gruppe unterschiedlicher Experten von Gynäkologen, Genetikern, Endokrinologen und Psychologen nicht erzielen. Prinzipiell aber, so das Ergebnis, sollten solche "Individuen" nicht vom Wettkampf ausgeschlossen werden. Das Statement rief international heftigen Widerspruch hervor. Wozu bräuchte man dann überhaupt noch Männer- und Frauenteams, hieß es, dann könnte man doch gleich gemischte Teams aufstellen?

Wahr ist, dass sich Hochleistungssportler unter geschlechtlichen Gesichtspunkten ohnehin vom Durchschnitt der Bevölkerung.unterscheiden: Extremes Training, spezielle Ernährung und im Zweifelsfall auch Doping unterstützen einen Trend zur Vermännlichung. Auch kann es sein, konstatierten die Experten des IOC, dass bestimmte Menschen überhaupt erst durch körperliche Besonderheiten zu Höchstleistungen im Sport befähigt werden, ohne dass dies augenfällig wird. Das gälte zum Beispiel für Personen, die zwar - wie ein Mann - ein Y-Chromosom besitzen, deren Körper aber nur gering auf das männliche Geschlechtshormon Testosteron anspricht. Es liege dann zwar in hohen Dosen im Körper vor, der aber entwickele sich ähnlich dem einer Frau.

In anderen Fällen könnten auch Menschen, die durch zwei X-Chromosomen genetisch als Frauen definitiert sind, zum Beispiel durch einen Tumor an der Hirnanhangdrüse vermehrt Testosteron ausschütten, das ihnen Kräfte verliehe wie einem Mann.Testosteron ist einer der wichtigsten Faktoren, warum Männer zu größeren Kraft- und Energieleistungen fähig sind als Frauen: Die Substanz beeinflusst nicht nur die Entwicklung von Muskel und Skelett, sondern sorgt unter anderem auch für ein größeres Herz und mehr rote Blutkörperchen zum Transport des nötigen Sauerstoffs. "Diejenigen Sportler, die sich untersuchen und individuell behandeln lassen, sollen teilnehmen dürfen", empfahl die IOC-Beraterin Maria New, Expertin für sexuelle Entwicklungsstörungen. "Die anderen sollte man vom Wettkampf ausschließen." Behandeln - das bedeutet unter anderem eine medikamentöse Senkung des Testosteron-Spiegels. Doch sofort ergeben sich die nächsten Fragen: Auf welches Niveau sollte der Hormonspiegel abgesenkt werden - auf einen angenommenen Mittelwert? Und wäre das fair, wenn es vielleicht Konkurrentinnen gibt, die darüber liegen?

Was ist schon normal?

Unter Gesichtspunkten der Fairness ist eine Behandlung also fraglich. Auch ließen sich dadurch bereits ausgeprägte sportliche "Benefits" wie ein größeres Herzvolumen oder mehr Muskelmasse nicht mehr wettmachen. Und auch das Leben der Betroffenen würde durch eine solche Hormonbehandlung verändert:: Sie würden in eine Norm gepresst, die nie die ihre war. Ein solcher Schritt müsste in seinen Auswirkungen problematisiert werden und dürfte selbstverständlich nur freiwillig geschehen. Doch die Dopinggeschichte zeigt, was Athleten alles bereit sind, mit sich und ihrem Körper zu tun und dass Freiwilligkeit im Sport ein relativer Begriff ist.

Normwerte führten ohnehin kaum weiter, erläuterte der IOC-Experte Myron Genel von der Universität Yale auf dem Expertenpanel. Er zitierte das Beispiel einer finnischen Familie, die in ihrem Heimatland Dutzende von Preisen für ihre Leistungen im Cross-Skilaufen einheimste und die Sportmediziner vor Rätsel stellte. Bis herauskam, dass sie über eine genetische Besonderheit verfügten, die ihren Hämoglobin-Haushalt positiv veränderte, die Fähigkeit also, dem Körper genug Sauerstoff zur Verfügung zu stellen.

Vor allem bei großen internationalen Wettbewerben ist die eindeutige Geschlechtsbestimmung immer wieder mal ein Thema. Bis zum Jahr 1999 war ein Geschlechtstest bei Sportlerinnen obligatorisch, um an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können: Danach wurde nur noch von Fall zu Fall getestet. Doch Sanktionen sind selten. Der letzte bekannte Fall ereignete sich bei den Asiatischen Spielen 2006, als der Silbenmedallientitel der indischen Läuferin Santhi Soundarajan aberkannt wurde, weil ihr Geschlecht unklar war.

Semenya leidet unter Streit

An der jungen Südafrikanerin Semenya geht der Streit, was an ihr normal, richtig oder falsch sei, nicht spurlos vorüber. Sie sei traumatisiert, sagt ihre Familie, die zusehen musste, wie Semenya schon als Kind immer wieder von anderen gehänselt wurde, weil sie lieber mit den Jungs Fußball spielte als mit den Mädchen zusammen zu sein. Eine spanische Hürdenläuferin, María José Martínez-Patiño, hat ihre Geschichte in dem renommierten Wissenschaftsjournal "Lancet" geschildert:: 1983 war sie im Alter von 22 Jahren bei den Weltmeisterschaften in Helsinki. getestet und als Frau bestätigt worden. Zwei Jahre später, auf den World University Games im japanischen Kobe wurde sie jedoch wegen des entgegengesetzten Ergebnisses ausgeschlossen. Schließlich stellte sich heraus, dass sie zwar ein männliches Y-Chromosom trug, aber durch einen Genfehler nicht über die notwendigen Rezeptoren verfügte, mit deren Hilfe das Testosteron einen vollständigen männlichen Körper ausprägt.

"Ich wurde aus dem Mädchencamp ausquartiert", schrieb sie, "mein Sportstipendium wurde mir entzogen und meine bisherigen Erfolge aus der Sportagenda gestrichen. Ich schämte mich. Ich verlor meine Freunde, meinen Verlobten, meine Hoffnung - und trotzdem wusste ich immer: Ich bin ein Frau! Ich habe einen Busen und eine Vagina. Ich habe nicht betrogen!"

Zahlen von 1996 zeigen, dass solche Fälle rar sind. Von 3.387 getesteten Sportlerinnen wiesen nur acht geschlechtliche Besonderheiten auf. Alle durften denoch als Frauen an den Start gehen. Trotzdem seien sportmedizinische Untersuchungen wichtig und ein gutes Mittel, um Betroffene aufzuspüren, befanden die IOC-Experten. So gäbe es Frauen, die Hoden in ihrem Bauchraum trügen, ohne es zu wissen - was genauso wie überhöhte Hormonwerte ein Krebsrisiko darstelle.

Sport trägt Ungleichheit in sich

Eric Vilain, der das kalifornische U.C.L.A. Zentrum für geschlechtsspezifische Biologie auf dem IOC-Treffen vertrat, appellierte an die Sportverbände, die Frage nach Normwerten und Fairness ganz fallen zu lassen. Sport trage das Thema der Ungleichheit in sich, argumentierte er, Athleten hätten seit jeher andere Fähigkeiten als der Rest der Bevölkerung. "Es gibt keine allgemein gültigen Kategorien für Menschen", sagte er: "Wir müssen akzeptieren, dass es Bandbreiten gibt.".

Ganz davon abgesehen, dass die Möglichkeiten der modernen Medizin, Körper gezielt zu formen, diese "Bandbreiten" eher noch vergrößert. So erlaubt die World Anti-Doping Agency "therapeutische" Hormondosen bei Sportlern, die argumentieren, ihr Organismus produziere so wenig Testosteron, dass dies ein Gesundheitsrisiko darstelle. Das gilt zum Beispiel für Menschen, die mit drei Geschlechtschromosomen geboren wurden. Dieser Genfehler, der Klinefelter-Syndrom genannt wird, kann unter anderem zu Asthma führen. Bei den Sportlern, die medizinische begründete Ausnahmen beantragen, liegen die Werte jedoch in aller Regel nicht niedrig genug, um ernsthafte Symptome zu produzieren, sonst könnten sie ihren Sport gar nicht praktizieren.

Werden Frauen in diesem Kampf um biologische Merkmale benachteiligt? Caster Semenya, verkündete nun Südafrikas Leichtathletik ASA-Verband, dürfe weiterhin bei internationalen Wettkämpfen nicht an den Start gehen, bis ihr Geschlecht endgültig geklärt sei.


Dr. Petra Thorbrietz ist Wissenschaftsjournalistin und Autorin. Sie schreibt unter anderem für evangelisch.de.