Der Koran bleibt in der Kopftuchfrage vage

Der Koran bleibt in der Kopftuchfrage vage
Burka, Nikab, Tschador: Die islamischen Kleidervorschriften sind bei weitem nicht so eindeutig, wie fundamentalistische Muslime gerne behaupten. Der Koran bleibt in Sachen Verhüllung vage.
21.01.2010
Von Andreas Gorzewski

"Oh Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunter ziehen. Dadurch ist am besten gewährleistet, dass sie erkannt und nicht belästigt werden." So heißt es in Koransure 33 im 59. Vers. Wie genau das Herunterziehen des Dschilbab genannten weiten Überwurfs zu verstehen ist, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander.

Im heiligen Buch des Islam finden sich mehrere Verse, die traditionell als Gebot zur Verhüllung verstanden werden. Eindeutig sind diese Stellen jedoch nicht. So mahnt Koransure 24,31 die gläubigen Frauen, gegenüber fremden Männern den Blick zu senken und ihre Scham sowie ihren Schmuck zu bedecken. Dazu sollen die Frauen ihren Chimar über den Kleiderausschnitt ziehen. Ein Chimar ist ein
Tuch, das über Kopf und Schultern gelegt wird. Allerdings bezieht sich die Mahnung offenkundig auf die Bedeckung des Dekolletés, nicht des Kopfes.

Einst Vorhang, heute Gewand

Koransure 33,53 schreibt vor, dass die Frauen des islamischen Propheten Mohammed nur hinter einem Hidschab angesprochen werden dürfen. Darunter war vor knapp 1.400 Jahren vermutlich eine Art Vorhang zu verstehen. Heutzutage ist ein Hidschab ein weites Gewand über Kopf und Körper.

Obwohl die Koranverse zur Verhüllung eher vage sind, hält ein Großteil der muslimischen Theologen und Rechtsgelehrten die Verhüllung für notwendig. Unstrittig ist, dass die erwähnten Verse Sittlichkeit und Schamhaftigkeit verlangen. Wie viel und welche Art von Bedeckung dafür nötig ist, wird seit langem diskutiert. Viele Gelehrte glauben, dass der zu bedeckende Schmuck einer Frau ihre Haare einschließt.

Der in der arabischen Welt überaus populäre, streng konservative Rechtsgelehrte Yusuf al-Qaradawi forderte von Frauen, alle Köperteile außer Händen und Gesicht zu bedecken. Auch der beliebte ägyptische TV-Prediger Amr Khaled schärfte seiner überwiegend jungen Anhängerschaft im Internet ein: "Jede Frau sollte den Hidschab tragen, und jeder Mann sollte sich in Reue zu Allah wenden und von seiner Frau verlangen, den islamischen Bekleidungsbräuchen zu entsprechen."

Zeichen für sozialen Rang

Die türkische Theologin Beyza Bilgin verwies dagegen auf die altarabische Frauenmode mit einem sehr tiefen Kleiderausschnitt. Ein Kopftuch sei zur Zeit Mohammeds Teil dieser Mode gewesen. Allerdings habe dieses Tuch mehr den sozialen Rang markiert, als Haut und Haar verborgen. Nur die freien Frauen hätten den Kopf bedeckt, die Sklavinnen hingegen nicht. Den freien Frauen zu empfehlen, dieses Tuch aus Gründen der Schamhaftigkeit über ihr Dekolleté zu ziehen, sei nur praktisch gewesen, erklärte die Professorin für Religionspädagogik.

Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, dass ein Kopftuch ein Muss sei. Sittlichkeit sei auch mit anderer Kleidungsform gewährleistet, erklärte Bilgin. "Das Kopftuch ist eine weltliche Angelegenheit, eine Empfehlung, aber kein unverzichtbares religiöses Gebot", schrieb die Islamgelehrte im türkischen Massenblatt "Sabah".

So vielfältig wie die Deutungen der Koranverse sind auch die Arten der Verhüllung. Dabei spielen kulturelle Einflüsse, die oft auf vorislamische Zeit zurückgehen, eine wichtige Rolle. In Afghanistan und Teilen von Pakistan ist die Burka verbreitet. Das sackähnliche, meist blaue Gewand verhüllt den Körper vollständig. Ein netzartiger Schleier vor dem Gesicht macht die Trägerinnen unkenntlich. Unter der Herrschaft der Taliban mussten Frauen eine Burka anlegen, wenn sie das Haus verließen.

Tschador im Iran üblich

Im Iran gilt ebenfalls, dass Frauen nur mit bedecktem Haupt auf die Straße dürfen. Üblich ist der Tschador, ein dunkler Umhang um Kopf und Körper. Das Gesicht bleibt dabei frei. Viele junge Iranerinnen kleiden sich jedoch modischer. Sie kombinieren leichte Mäntel mit dezenten Kopftüchern, die oft noch ein paar Haarsträhnen sehen lassen.

In einigen arabischen Staaten binden sich Frauen zusätzlich zum Hidschab den Nikab um. Das Tuch bedeckt das Gesicht und lässt nur einen Sehschlitz frei. In der Türkei und in vielen anderen islamisch geprägten Staaten sind dagegen einfache Kopftücher verbreitet. Davon abgesehen bedecken viele Musliminnen ihre Haare heutzutage gar nicht – wenn Staat und Gesellschaft ihnen die Freiheit dazu
lassen.

Die Begriffe im Überblick:

 

 

Burka - Sackähnliches, meist blaues Gewand, das den Körper vollständig verhüllt. Ein netzartiger Schleier vor dem Gesicht macht die Trägerin unkenntlich. Verbreitet in Afghanistan und Teilen von Pakistan.

 

 

 

 

Chimar - Tuch, das über Kopf und Schultern gelegt wird (genannt in Koransure 24,31).

 

 

 

 

 

Hidschab (Gewand) - Zur Zeit Mohammeds vermutlich eine Art Vorhang, hinter dem die Frauen des Propheten ausschließlich angesprochen werden durften. Heutzutage ein weites Gewand über Kopf und Körper.

 

Nikab (Gesichtsschleier) - Tuch, das in einigen arabischen Staaten zusätzlich zum Hidschab getragen wird. Es bedeckt das Gesicht und lässt nur einen Sehschlitz frei.

 

 

 

 

 

Tschador - Dunkler Umhang um Kopf und Körper, der im Iran verbreitet ist. Das Gesicht bleibt dabei frei.

 

 

 

 

 

 

 

 


Andreas Gorzewski ist Islamwissenschaftler und Promotionsstudent an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.