Zu zweit im Eis der Ostsee: "Angst haben wir nicht"

Zu zweit im Eis der Ostsee: "Angst haben wir nicht"
Über die Verspätungen der Deutschen Bahn, die das Eiswetter mit sich bringt, ärgern sich viele, auch wenn es nur 20 Minuten sind. Richtig festzusitzen, ohne die Chance zu haben, auch nur irgendwo hin zu fahren - das wäre für viele ein Alptraum. Vor der Ostseeküste hat sich ein Paar aus Mecklenburg aber genau dafür entschieden. Sie wachen auf der Insel Ruden.
07.01.2010
Von Martina Rathke

Im Hafen der kleinen Ostseeinsel Ruden hat sich die Stille über das vereiste Meer gelegt. Vorsichtig tastet sich Ursula Todt wenige Meter auf das Eis vor "ihrer" Insel vor. Die Eisdecke ist dünn - fünf Zentimeter nur - doch mit den anhaltenden Minusgraden wird die Schicht von Tag zu Tag dicker. Am Dienstag hatte sich der Seenotkreuzer "Eugen" ein letztes Mal bis zu dem zwischen Rügen und Usedom gelegenen Eiland vorgekämpft, Post und Frischwasser gebracht. Danach schloss sich der Eispanzer auch im Hafen. Die Verkehrsadern zum Festland sind seitdem gekappt: Ulla Todt und ihr Lebenspartner Conrad Marlow, die einzigen Bewohner des Inselchens im Peenestrom, sind isoliert von der Außenwelt. Nicht nur für Tage, sondern voraussichtlich für mehrere Wochen. Ein ungewohnter Gedanke für einen Großstadtmenschen, aber nicht für Todt und Marlow.

Selbst gewählte Isolation in der flachen Ostsee

Die beiden "Robinsons" sehen der Eiszeit mit Gelassenheit entgegen. "Angst haben wir nicht", sagt die 60-Jährige. Am Mittwochmorgen sahen die beiden den Reif auf den Bäumen glitzern. Eine Kegelrobbe aalte sich genüsslich vor der Südspitze der Insel. "Das Leben ist einfach nur traumhaft", schwärmt Todt. Seit November hat sich das Paar auf einen Eiswinter vorbereitet. Ulla Todt kochte Rinderbraten, Schweinebraten, Gulasch sowie den geliebten Mecklenburger Rippenbraten und weckte das Essen ein. Konservenfleisch mögen die beiden nach fünf Jahren Inselleben inzwischen nicht mehr essen. Im Keller lagern mehr als 50 Kilogramm Kartoffeln, vier Stiegen Äpfel und kiloweise Brotmehl. Strom wird über einen Generator erzeugt, Frischwasser lagert abgefüllt in 20-Liter-Kanistern in einem Nebengebäude. "Wir können den Winter bis März problemlos überstehen", sagt Todt.

Die Isolation auf der Insel ist selbst gewählt. Jahrelang lebten der inzwischen 58-jährige Gaststättenbetreiber und seine Lebenspartnerin im mecklenburgischen Recknitztal nur für die Arbeit. Dann schlug das Schicksal zu: Conrad Marlow hatte Schmerzen, nur eine Hochzeitsfeier wollte er noch ausrichten. Dann brach er bewusstlos zusammen. Die Ärzte diagnostizierten einen lebensbedrohlichen Magendurchbruch. Kurz darauf - im Jahr 2003 - traf das Paar die Entscheidung, ihr Leben radikal zu ändern. Damals hatten sie erfahren, dass der alte Inselbewohner Eberhard Kästel die Insel Ruden verlassen wollte und bewarben sich um dessen Nachfolge. Seit 2004 leben sie auf dem Eiland. Bereut habe sie die Entscheidung zu keiner Sekunde, sagt Ulla Todt: Einen "Inselkoller" habe sie noch nie bekommen.

Streit gibt's nur um das Fernsehprogramm

Einsam ist es auf der Insel auch nicht, denn Ruden ist ein beliebtes Ausflugsziel, und wie ihr Vorgänger Eberhard Kästel sind Ulla Todt und Conrad Marlow für die Touristenbetreuung zuständig. Zwischen April und Oktober strömen jedes Jahr 14.000 Tagesgäste auf die ehemalige Lotseninsel, die inzwischen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gehört und seit 1925 unter Naturschutz steht. Das Paar, das in Personalunion als Hafenmeister, Touristenführer und Naturschutzwart tätig ist und für das Wasser- und Schifffahrtsamt die Pegelstände abliest, hat dann alle Hände voll zu tun. Von dem Verdienst können sie ihr Leben auf der Insel finanzieren. Die Ruhe im Winter genießen die beiden dann umso mehr. "Man muss sich schon gut verstehen, wenn man so eng aufeinander hockt", sagt Ulla Todt. Manchmal gehen sich aber auch die beiden sonst so harmonischen Insulaner aus dem Weg. Nicht wegen eines Streits, sondern zum Fernsehen: Dann schaut sie einen Film und er im Nachbarzimmer eine Nachrichtensendung.

dpa