Der Gläubige als ein von Gott befreiter Mensch

Der Gläubige als ein von Gott befreiter Mensch
Messerscharfer Denker, faszinierender Prediger, unerschrockener Kommentator - für den evangelischen Theologen Eberhard Jüngel passen viele Etikette. Zu seinem 75. Geburtstag würdigte ihn die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann als "Klassiker des 20. Jahrhunderts".
04.12.2009
Von Rainer Lang und Marcus Mockler

Die Arbeit des Tübinger Professors für Systematische Theologie, stößt seit Jahrzehnten weltweit auf Beachtung. Seine Bücher sind Standardwerke, vor allem das in zahlreiche Sprachen übersetzte Werk "Gott als Geheimnis der Welt". Jüngel ist ein Meister des Worts. Bei seinen Predigten in der Tübinger Stiftskirche gelang es ihm, die Zuhörer 45 Minuten lang zu fesseln. Er beschreibt Theologie als "Nachdenken über das, was uns vorgegeben ist in den Texten der Bibel". Darin findet er "die Wahrheit, die uns frei macht". Für sein Lebenswerk als Prediger erhielt er 2006 den ökumenischen Predigtpreis des Verlags für die Deutsche Wirtschaft.

Jüngel distanziert sich von "schlechter fundamentalistischer und kritischer Exegese". Bei der Auslegung legt der Wissenschaftler, der bis 2003 als Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Tübingen lehrte, die methodische Strenge der Philosophie an und pocht auf präzise und genaue Unterscheidungen. Im Bewusstsein seiner eigenen geistigen Stärke verlangt er auch von der Kirche, dass sie selbstbewusster auftritt und Mission wieder als etwas Positives versteht im Sinn eines bekennenden Christentums. Sein auf der EKD-Synode in Leipzig 1999 geäußertes Bonmot, eine missionsvergessene Kirche bekomme "Herzrhythmusstörungen", ist unzählige Male zitiert worden.

Langer Atem in der Ökumene

Er spricht vom "Stolz, evangelisch zu sein". Denn dazu gehöre das "herrliche Bewusstsein, dass ein glaubender Mensch ein freier, ein von Gott befreiter Mensch ist". Zugleich fordert er weitere Schritte in der Ökumene. Aber dafür sei ein "langer, langer Atem" nötig. Der vielfach ausgezeichnete Theologe ist Mitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste sowie mehrerer in- und ausländischer Akademien. Bevor der aus Magdeburg stammende Jüngel 1969 nach Tübingen kam, war er ab 1965 Rektor der Kirchlichen Hochschule in Ostberlin. 1966 ging er an die Universität Zürich.

Mehr als 30 Jahre lang war Jüngel Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und auch Vorsitzender der Kammer für Theologie der EKD. Von 1987 bis 2005 leitet er das Evangelische Stift in Tübingen, eine traditionsreiche württembergische Ausbildungsstätte für Pfarrer. Auch nach seiner Emeritierung hat er sich in zahlreichen Zeitungsbeiträgen und Vorträgen - etwa auf Kirchentagen - zu Wort gemeldet und insbesondere zur Ökumene, aber auch zum Themenbereich Glück und Seligkeit aus philosophisch-theologischer Sicht Stellung genommen.

Kreativer theologischer Denker

Unter den zahlreichen Würdigungen, die Eberhard Jüngel erhielt, durfte jene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nicht fehlen. Ratsvorsitzende Margot Käßmann schrieb in ihrer Gratulation, der Jubilar gehöre mit seinem Werk zu den "Klassikern der Theologie des 20. Jahrhunderts". Darin nennt die Landesbischöfin den Forscher einen "Virtuosen theologischer Unterscheidungen". Mit kreativem Denken habe er "Freude am Geheimnis des lebendigen Gottes geweckt und Menschen auf den Weg der Gott entsprechenden Liebe verwiesen".

epd