Eine Frage der Ethik: Sind Babyklappen vertretbar?

Eine Frage der Ethik: Sind Babyklappen vertretbar?
Babyklappen sollen verhindern, dass verzweifelte Mütter ihre Kinder aussetzen oder gar töten. Dieser Wunsch hat sich aus Sicht von Experten nicht erfüllt. Doch über die Einrichtungen wird weiter gestritten.
25.11.2009
Von Ulrike Baureithel

Sinnig oder nicht - klar ist: Für Babyklappen und Einrichtungen zur anonymen Geburt fehlen nach wie vor die Rechtsgrundlagen. Das anonyme Hinterlassen eines Kindes ist illegal. Die Mutter, der Vater oder in den Einrichtungen beteiligte Dritte verstoßen gegen die Meldepflichten des Personenstandsgesetzes und begehen damit eine Ordnungswidrigkeit.

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Die Politik tut sich schwer damit, diese Grauzone juristisch auszuleuchten: Vier Gesetzesentwürfe gab es seit 2001. Alle Initiativen scheiterten, weil sie verfassungsrechtlich mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft sowie auf Erziehung durch die Eltern kollidierten.
 

Klappen können Kindstötungen nicht verhindern

Der jüngste Fall stammt aus Leipzig. Dort wurde Mitte September um vier Uhr morgens ein kleines Mädchen in einer Babyklappe abgelegt. 1999 wurde die erste anonyme Übergabestelle im Rahmen des "Moses"-Projektes in Bayern eingerichtet. Die erste Babyklappe startete ein Jahr später in Hamburg. Mittlerweile gibt es bundesweit 80 bis 90, genaue Zahlen sind nicht bekannt.

Selbst Betreiber solcher Einrichtungen räumen inzwischen ein, dass "Kindstötungen durch Babyklappen nicht vermieden werden können", wie Maria Elisabeth Thoma, Vorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen, bei einer Anhörung des Deutschen Ethikrats im Oktober 2008 erklärte.

Darüber hinaus bieten bundesweit rund 130 Krankenhäuser die anonyme Geburt an, das heißt, schwangere Frauen können dort entbinden, ohne ihre Identität preisgeben zu müssen. Im Unterschied zu den Babyklappen können sie im Krankenhaus nicht nur medizinisch versorgt, sondern auch beraten werden.

Liane Becker (Name geändert) war 43 Jahre alt, als sie feststellte, noch einmal schwanger zu sein. Nach drei Kindern wollte der Ehemann kein weiteres Kind. Erschwerend kam hinzu, dass er gar nicht der Vater war. "Am Anfang habe ich das einfach verdrängt. Dachte, ich käme in die Wechseljahre, als die Regel ausblieb und ich an Gewicht zulegte. Als ich im fünften Monat den Test machte, war es für einen Abbruch zu spät."

Ihr gelang es, die Schwangerschaft zu verheimlichen. Als die Wehen einsetzten, ging sie in eine Klinik, die anonyme Geburt anbietet. Dem 2007 geborenen Jungen gab sie keinen Namen, aber sie hinterließ in der Klinik einen vertraulichen Brief. So kann der Junge nach seinem 16. Geburtstag herausfinden, wer seine leibliche Mutter ist.

Die Kinder leiden später oft unter seelischen Problemen

Die meisten Frauen, sagen Sachverständige, wollten wie Becker ihre Anonymität weniger gegenüber dem Kind als im sozialen Umfeld wahren. Doch deren Wunsch, anonym zu bleiben, steht der grundrechtliche Anspruch des Kindes gegenüber, zu wissen wer seine Eltern sind. Das ist auch strafrechtlich relevant, weil die Eltern ihm gegenüber unterhaltspflichtig und das Kind gegebenenfalls erbberechtigt ist.

Auch die Krankenhäuser bewegen sich in einer juristischen Grauzone. Denn sie sind, wie auch die Betreiber von Babyklappen, verpflichtet, die Geburt und den Personenstand eines Kindes, soweit er ihnen bekannt ist, innerhalb einer Woche zu melden. Das hat in der Vergangenheit bereits zu strafrechtlichen Ermittlungen geführt. Union und FDP denken laut Koalitionsvertrag an Veränderungen, bleiben aber vage: "Das Angebot der vertraulichen Geburt sowie mögliche Rechtsgrundlagen sind zur prüfen", heißt es

Wie die Adoptionsforschung zeigt, haben Kinder ohne Kenntnis ihrer Abstammung oft massive psychologische Probleme zu schultern. "Diese Kinder fühlen sich doppelt verstoßen. Weggegeben von den Eltern, haben diese es nicht einmal für nötig befunden, dem Kind ihre Identität mitzugeben", sagt die in Frankfurt praktizierende Psychotherapeutin Irmela Wiemann. Das sei eine sehr tiefe Verletzung.

epd