Orgel im Verdener Dom darf weiter alle Register ziehen

Orgel im Verdener Dom darf weiter alle Register ziehen
Ein ungewöhnlicher Prozess ging am Mittwoch im niedersächsischen Verden zu Ende: Die Orgel im örtlichen Dom sollte einen Schalldämpfer verpasst bekommen. Doch die Klage einer Nachbarin wegen Lärmbelästigung scheiterte.
18.11.2009
Von Dieter Sell

Penetrant, traurig, dröhnend: Elisabeth Beckmann beschreibt wenig schmeichelhaft die Kirchenmusik im Dom der niedersächsischen Kreisstadt Verden. Orgeln und Posaunen setzten ihr selbst dann zu, wenn sie zu Oropax greife, klagt die pensionierte Lehrerin, die direkt neben dem gotischen Sakralbau wohnt. Vom Verdener Landgericht wollte sie der Musik einen Schalldämpfer verpassen lassen. Instrumente sollten nur noch so laut gespielt, Chorstücke nur noch so verhalten geprobt werden, dass kein Ton nach außen dringt. Doch das Gericht wies ihre Zivilklage am Mittwoch ab.

Der massige Dom ist nicht nur in seiner baulichen Erscheinung das unbestrittene Zentrum der Kleinstadt. Auch kulturell ist die 1490 eingeweihte Hallenkirche seit langem das Herz der Region. In ihrer über fünfhundertjährigen Geschichte hat Musik stets eine wichtige Rolle gespielt. Quellen aus dem Ende des 13. Jahrhunderts belegen bereits die Existenz einer Kantorei. Heute gibt es im Dom fünf Orgeln - vom kleinen Instrument mit wenigen Pfeifen bis zur großen, spätromantischen Orgel auf der Westempore mit 51 Registern. Immer wieder locken große Konzerte Gäste auch von weither in den historischen Dom.

Grenzwerte eingehalten

Wenn Kirchenmusikdirektor Tillmann Benfer dort oben dann "Tutti" spielt, also alle Register zieht, kommen an der Grundstücksgrenze von Elisabeth Beckmann laut Gutachten noch 52 Dezibel an. Damit werden die Grenzwerte eingehalten, befindet Richter Stefan Koch bei der Urteilsverkündung. Die Klage habe auch deshalb keine Chance, weil die Musik in einer Kirche "ortsüblich" sei. Überdies sorgten in der Nachbarschaft im Kernbereich der Stadt Kneipen und Straßen mehr als die Kirche für Lärm, hieß es schon beim ersten Gerichtstermin im Oktober. Den Einwand, dass der Dom weder eine Musikschule noch ein Konzertsaal sei, ließ Koch nicht gelten: "Zum Orgellernen braucht man eben Orgeln - und die befinden sich traditionell in Kirchen."

In der Vergangenheit waren es eher die Kirchenglocken, die immer wieder zu juristischen Auseinandersetzungen geführt haben. Ruft die Gemeinde mit Glocken zum Gottesdienst, dann darf sie das in der Regel fast ohne Einschränkung tun, denn das sogenannte "liturgische Glockengeläut" ist Teil der verfassungsrechtlich geschützten freien Religionsausübung. Anders sieht es aus, wenn die Glocken die Zeit schlagen. Dann müssen Grenzwerte eingehalten werden, in der Nacht maximal 60 Dezibel. Doch juristisch zählt das Glockengeläut zum normalen religiösen Leben.

Nächste Klage gegen Glocken

Genauso wie Kirchenmusik, bekräftigt Richter Koch. Der Wunsch der Klägerin nach Ruhe rund um die Uhr ist für ihn objektiv nicht durchsetzbar. Schon beim Gütetermin vor ein paar Wochen machte der Jurist kein Hehl aus seiner Einschätzung: "24 Stunden am Tag Friedhofsruhe, damit werden Sie hier nicht erfolgreich sein", warb er für einen Vergleich. Er schlug eine Mittagsruhe zwischen 13 Uhr und 15 Uhr vor - und nur in Ausnahmefällen Konzerte nach 22 Uhr. Doch Beckmann sah keinen Raum für einen Vergleich in dem Konflikt, der seit 2003 schwelt. Die Musik im Garten, beim Lesen, "das reißt mich einfach runter, da kann ich nicht fröhlich empfinden".

Eine Mittagspause halte die Domgemeinde seit Jahren ein, sagt Benfer. "Und Chorproben gibt es nur bei geschlossenen Fenstern." Als Sieger fühlt sich der 53-jährige Orgelvirtuose mit dem Richterspruch trotzdem nicht. Erleichtert sei er, ja. Aber der Konflikt schwele weiter, das bleibe im Hinterkopf. Ob es eine Berufung geben wird, ist noch nicht klar. Seine Mandantin sei nach wie vor überzeugt, dass ihr Anliegen berechtigt sei, sagt der Anwalt der Klägerin, Gero Landzettel. Unterdessen liegt schon die nächste Lärmklage auf dem Tisch der Domgemeinde, diesmal nicht von Elisabeth Beckmann. Nun geht es um die Glocken.

epd