Auch auf Plattdeutsch kann man rappen

Auch auf Plattdeutsch kann man rappen
Das niederländische Leeuwarden ist eine hübsche, kleine Stadt, in der Fremde schon mal auffallen, vor allem, wenn sie grüppchenweise auftreten und noch dazu sardisch, gälisch oder karelisch sprechen. So geschehen beim 8. Europäischen Minderheitensprachenfestival "Liet International" vom 30. Oktober bis 1. November.
04.11.2009
Von Thorsten Börnsen

Diesen Wettbewerb gibt es seit 2002. "Damals mussten wir noch durch Europa fahren, um Bands aufzuspüren, die da mitmachen wollten", erinnert sich Onno Falkena, der Organisator des Festivals. Die Zeiten haben sich geändert, heute kommen die Bewerber von selbst, das Interesse ist groß und es gibt weit mehr Anfragen, als berücksichtigt werden können. Wie beim "großen Bruder", dem Eurovision Songcontest, gibt es mittlerweile auch für "Liet International" in mehreren Regionen lokale Vorentscheidungsrunden, so z.B. im norditalienischen Friaul oder in Lappland. Wer sich dort gegen die Konkurrenz durchsetzen kann, wird ins europäische Finale geschickt. Anders als im nationalen Wettbewerb entscheidet hier eine aus Angehörigen aller teilnehmenden Sprachgruppen bestehende Jury über die Platzierung der Künstler.

[reference:nid=6214]

Teilnehmen können Musiker, die in einer der rund 300 europäischen Kleinsprachen texten und singen, die in ihren jeweiligen Herkunftsländern von einer Minderheit gesprochen wird. Das allein reicht aber nicht aus. "Mainstream wird nicht akzeptiert", erläutert Onno Falkena die Auswahlkriterien. "Was 'in the middle of the road' liegt, also durchschnittlich ist, bekommt hier keine Chance. Es ist eine Art Indie-Festival." Der Wettbewerb will auch musikalisch das Besondere zeigen. In diesem Jahr ist es elf Bands, Ensembles und Einzelkünstlern gelungen, sich dafür zu qualifizieren.

Niederdeutsch ist eher uncool

Das Spektrum der teilnehmenden Künstler hat eine beachtliche Breite. Es reicht von Hardrockbands und Rappern über Troubadoure bis hin zur klassischen Folkband. Gemeinsam ist allen, dass sie ihren eigenen, individuellen Stil haben. Es liegt auf der Hand, dass es unter solchen Bedingungen trotz vieler Bewerber nicht einfach ist, die richtigen Kandidaten zu finden. Auch die deutschen Teilnehmer, eine plattdeutsche Hip-Hop-Band namens "De Fofftig Penns" - der Name spielt auf den amerikanischen Rapper "50 Cent" an - seien nicht durchschnittlich, sagt Falkena. Sie räumen in der Tat mit den zählebigen Klischees auf, die dem Plattdeutschen anhaften. Besonders unter Jugendlichen hat die norddeutsche Regionalsprache einen schweren Stand. Sie gilt als angestaubt und rückwärtsgewand, kurz, Niederdeutsch ist einfach "uncool".

Den Fofftig Penns scheint spielerisch und ganz nebenbei zu gelingen, was jahrzehntelang mit halbherzig betriebenen Förderprogrammen vergeblich versucht wurde: Jugendliche und junge Erwachsene wieder für die Sprache zu interessieren. Ihren ersten Auftritt hatten die drei jungen Männer auf dem diesjährigen Kirchentag in ihrer Heimatstadt Bremen. Und schon dort brauchten sie sich über mangelnde Resonanz nicht zu beklagen. In das niederdeutsche Kirchentagszentrum kam ein anfangs neugieriges Publikum, das nach kurzer Zeit begeistert mitsang und tanzte. Das sei ein Phänomen, das man derzeit bei vielen Minderheitensprachen überall in Europa beobachten könne, erklärt Onno Falkena. Junge Bands nähmen die Sprache ihrer Eltern oder Großeltern auf, machten darin neue, eigene Texte und spielten dazu ihre Musik, so der Festivalorganisator.

Neues Selbstbewusstsein durch Musik für die Samen

Manchmal ist es diese Musik, die eine echte Wende einleitet. Bei der noch etwa 50.000 Angehörige zählenden Volksgruppe der Samen in Lappland war das der Fall. Jahrzehntelang wurden sie wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Man steckte die Ureinwohner Nordeuropas in spezielle Internate, wo man sie zwang, ihre Traditionen, Gebräuche und vor allem ihre Sprache aufzugeben und gegen die der "modernen" skandinavischen Gesellschaften einzutauschen. Noch bis in die 1960er Jahre war es zum Teil nicht erlaubt, in der Öffentlichkeit samisch zu sprechen. Bei manchen führten solche "Erziehungsmaßnahmen" zur Selbstverleugnung bis hin zum Selbsthass.

Dass es heute ein neu erwachtes Selbstbewusstsein unter den jungen Samen gibt, hat wesentlich auch mit dem Gebrauch ihrer Sprache in der Musik zu tun. Die samische Musikszene ist – im Verhältnis zur Größe dieser Bevölkerungsgruppe – sehr vielfältig und enorm erfolgreich. So erfolgreich wie die Szene keiner anderen Sprachgruppe, die am Wettbewerb "Liet International" teilnimmt. Bereits 2003, 2004 und 2006 landeten samische Musiker auf dem ersten Platz. Und in diesem Jahr gelang es der Hardrockband "Somby", deren Mitglieder mit zwischen 18 und 20 Jahren zugleich die jüngsten Teilnehmer waren, den begehrten Preis wieder nach Lappland zu holen.


Thorsten Börnsen ist freier Autor aus Hamburg und schreibt von Zeit zur Zeit für evangelisch.de.