Salzstock Morsleben wird zum Atommüllgrab

Salzstock Morsleben wird zum Atommüllgrab
Das Atomendlager Morsleben in Sachsen-Anhalt wird in den kommenden zwei Jahrzehnten stillgelegt. Der weitverzweigte Salzstock ist nicht stabil. 36.000 Kubikmeter Atommüll liegen hier.
22.10.2009
Von Stefan Kruse

In zwei Minuten rauscht der Förderkorb 500 Meter in die Tiefe, es folgt eine kurze Fahrt auf einer nur spärlich beleuchteten Strecke durch weiß-graues Salzgestein. Neben einer stählernen Tür warnt ein Schild vor "erhöhter Gammadosisleistung", dahinter fällt der Blick auf die wohl gefährlichste Hinterlassenschaft, die Menschen der Erde zumuten. In einem riesigen Hohlraum stehen tausende gelbe Fässer mit Müll aus Atomkraftwerken, feinsäuberlich gestapelt, drei Lagen übereinander. Vergleichbar mit einem Kirchenschiff, ist die mächtige unterirdische Kathedrale das größte von Dutzenden derartigen Arealen im Atomendlager Morsleben in Sachsen-Anhalt.

1971 von den DDR-Behörden eingerichtet, wird das Lager für schwach- und mittelradioaktiven Müll in den kommenden zwei Jahrzehnten stillgelegt. "Ein weltweit einmaliger Vorgang", sagt der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König. Ziel seiner Behörde als Betreiber ist es, in dem derzeit laufenden Planfestellungsverfahren, dessen Unterlagen von Donnerstag an alle Bürger einsehen können, die sogenannte Langzeitsicherheit nachzuweisen. Und dies ist, das weiß auch König, eine Mammutaufgabe.

Denn der weitverzweigte Salzstock an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, aus dem 100 Jahre lang Stein- und Kalisalz gefördert wurde, ist nicht stabil. Schon 2001 krachten in Bereichen, in denen kein Atommüll liegt, tonnenschwere Salzbrocken von der Decke, im Frühjahr gab es einen weiteren sogenannten Löserfall. Zur Stabilisierung pumpten Arbeiter bislang 1,6 Millionen Tonnen Braunkohlenasche und Salzbeton in die Tiefe, um die Hohlräume aufzufüllen.

"Wir kaufen Zeit"

"Wir kaufen damit Zeit für ein geordnetes Stilllegungsverfahren", sagt König. "Und sammeln Erfahrung für die eigentliche Stilllegung", fügt er hinzu, denn diese soll mit Hilfe ähnlicher Technologie umgesetzt werden. Schätzungsweise weitere acht Millionen Tonnen Salzbeton - ein Spezialgemisch - braucht es, um den Müll einzubetonieren, die Kammern zu versiegeln, Barrieren für Grundwasser und Speicher für entstehendes Gas zu bauen. Denn die Natur arbeitet, die Salzschichten sind in Bewegung. Hauptziel des Verfahrens ist es, so lange wie möglich zu verhindern, dass Grundwasser mit Atommüll in Kontakt und dann an die Oberfläche kommt.

"Ich denke, wir können die Langzeitsicherheit auf diese Weise herstellen", sagt König. Zwar sei im schlimmsten Fall damit zu rechnen, dass in vielen tausend Jahren radioaktive Nukleide in kontaminiertem Wasser nach draußen gelangen. Bis dahin, so glauben die Fachleute, soll die Radioaktivität jedoch so stark abgebaut sein, dass heute geltende Grenzwerte nicht überschritten, Mensch und Natur also nicht geschädigt werden. Umweltschützer sind skeptisch. "Der hochaktive Müll muss da raus", fordert eine von Umweltverbänden unterstützte Bürgerinitiative. "Niemand weiß wirklich, wass mit dem Bauwerk in 1.000 Jahren passiert." Unter der Erde strahlt der Müll teils bis zu einer Million Jahre.

Einlagerungen vor zehn Jahren gestoppt

36.000 Kubikmeter liegen in Morsleben, überwiegend aus Atomkraftwerken, auch aus Forschungseinrichtungen. Plutonium ist dabei, Kobaltquellen aus Trinkwasserbrunnen, auch ganz banale Dinge wie kontaminierte Schutzkleidung aus Atomkraftwerken, aber keine Brennstäbe. Vieles lagert in Fässern, die gestapelt sind oder zeitweise einfach in ein großes Loch gekippt wurden. Nach der Wende lief die DDR-Genehmigung weiter, obwohl es früh Zweifel an dem Lager gab. "Nach bundesdeutschem Recht wäre es nie genehmigt worden", sagt Strahlenschützer König. 1998 stoppten Naturschützer per Gerichtsbeschluss die Einlagerungen. Die Stilllegung kostet den Steuerzahler voraussichtlich 2,2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Kraftwerksbetreiber zahlten für die Einlagerung weniger als 90 Millionen Euro.

dpa