Verschwörung: Die im Dunkeln sieht man nicht!

Verschwörung: Die im Dunkeln sieht man nicht!
Dan Brown hat sich Verschwörungstheorien nicht ausgedacht, er hat nur Romane daraus gemacht. Und er hätte noch viel Stoff für weitere Bücher. Eine Reise ins Land der verrücktesten Verschwörungstheorien und der Versuch der Erklärung dieses Phänomens.
14.10.2009
Von Anne Buhrfeind

Dürre Büsche, ein ausgetrockneter Salzsee, im Hintergrund ein kahler Gebirgszug: Das ist die sagenumwobene Area 51. Hundert Quadratkilometer im US-Staat Nevada, ein militärisches Sperrgebiet. Hier testet die Air Force neu entwickelte Flugzeuge, aber hier geht noch viel mehr: Überall liegen UFO-Wracks herum, "extraterrestrische Lebensformen“ sollen hier auseinandergenommen worden sein, hier treffen sich US-Geheimdienste zu Gesprächen mit Aliens. Und: In diesem Sperrgebiet wurde 1969 die "Mondlandung“ gedreht, die nämlich in Wirklichkeit niemals stattgefunden hat.


Wie, hat niemals stattgefunden? Genau – die Mondlandung war ein Fake, inszeniert, um das "space race“, den Wettlauf zum Mond, zu gewinnen, den die Sowjets schon fast für sich entschieden hatten. Angeblich sind zwanzig Prozent der Amerikaner davon überzeugt, dass der Astronaut Neil Armstrong mit keinem Mondstaubkörnchen in Berührung gekommen ist und die ganze Welt mit Fernsehbildern aus Nevada genarrt wurde. Wie kommt es – nur so als Beispiel – dass bei der Mondlandung die US-Flagge im Wind weht, wo es doch auf dem Mond gar keine Atmosphäre gibt, geschweige denn einen Luftzug?

Gezüchtete Viren

Die Schweinegrippe hat die Pharmaindustrie in die Welt gesetzt, der Aids-Virus wurde von den Industrieländern entwickelt, um die Bevölkerung in der Dritten Welt zu kontrollieren, Adolf Hitler hat sich nicht erschossen, sondern ist zusammen mit Eva Braun geflohen und lebte bis zu seinem Tod in einer unterirdischen Stadt in der Antarktis. Und dann noch Präsident Kennedy: War es wirklich nur der Einzeltäter Lee Harvey Oswald, der ihn erschoss? Oder waren es nicht doch die CIA, die Mafia, der militärisch-industrielle Komplex?

Gut, die offizielle Erklärung eines spektakulären Vorfalls muss wirklich nicht immer die wahrheitsgemäße sein. Aber was bringt Menschen dazu, Erklärungen zu glauben, die noch viel verrückter, noch viel weiter hergeholt scheinen? Vielleicht ist es einfach schwer zu ertragen, dass die Welt so wenig stabil ist. Dass Prinzessinnen auf der Straße umkommen und Präsidenten von irgendeinem Snyper abgeknallt werden können. Das darf doch nicht wahr sein! Es muss doch einen Sinn dahinter geben! Kann sein, dass es für viele Menschen ein beruhigender Gedanke ist,  dass irgendjemand doch alles im Griff hat – und seien es die westlichen Geheimdienste.

Dahinter steckt oft ein schlichtes Weltbild, das darauf baut, dass Gut und Böse immer schön getrennt und unterscheidbar sind. Einfach gesagt: Für das Böse in der Welt ist der Teufel verantwortlich. Weil der aber nicht alles alleine auf die Reihe bekommt, braucht er Helfer – die "Agenten des Bösen“ nennt sie der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann. Ein echter Verschwörungstheoretiker stellt auf der Suche nach diesen Agenten daher gerne die Frage: "Wem nützt es?“ Und ermittelt so schnell und schlüssig die Übeltäter: Wem nützten die Anschläge auf das World Trade Center? Oder: Wem nützt die Wirtschaftskrise? Dem New Yorker Finanzhaus Goldman Sachs! Das meint jedenfalls ein gewisser Rainer Sommer im Internetportal "Telepolis". Auch die absurdesten Aktionen der amerikanischen Geld- und Wirtschaftspolitik "beginnen Sinn zu machen, wenn man deren Sinn in der Förderung der Interessen von Goldman Sachs zu suchen beginnt“, so Sommer. Dann folgen komplizierte Aufzählungen – welche Ex-Mitarbeiter heute in Regierungsfunktionen tätig sind, wie man welche Aktien bewusst hat crashen lassen, welche Milliarden wohin geflossen sind. Wirklich sehr kompliziert – und nachzulesen im Internet.

Verbreitung über das Internet

Über das Internet können sich Verschwörungstheorien noch rascher verbreiten als bislang – keiner weiß, wer sie hat, keiner kann sie stoppen, jeder kann noch heute eine neue in die Welt setzen. Aber gegeben hat es solche konspirativen Ideologien wohl schon immer. Wer hat die Pest in Europa verbreitet? Die Juden! Wer hat die Französische Revolution angezettelt? Die geheime Bruderschaft der Illuminaten! Wer hat mit dem "Schadenszauber“ im Mittelalter schlechtes Wetter gemacht, Impotenz verursacht, Häuser und Ställe angezündet, dafür gesorgt, dass Kühe keine Milch mehr gaben? Die Hexen!

So ein Quatsch! Aber Gegenargumente werden nicht zugelassen – oder gleich zu Beweisen umfunktioniert. Wie in dem Film "Fletchers Visionen“: "Wissen Sie, warum The Grateful Dead immer auf Tournee sind?“ – "Nein.“ – "Das kann ich Ihnen sagen, weil sie alle britische Agenten sind. Geheimdienstagenten, Spione. Jerry Garcia selbst ist ein Doppel-Null Agent wie James Bond.“ – "Jerry Garcia ist tot.“ – "Das wollen die uns weismachen!“ Okay: Filme. Aber in Wirklichkeit sind wir doch nicht so blöd, solche Geschichten zu glauben! Na ja. Manchmal stimmen die Theorien ja auch. Denn: "Just because you’re paranoid, doesn’t mean they’re not out to get you“ – "Nur weil du paranoid bist, heißt es nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“

Andreas von Bülow war in den siebziger Jahren Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und bis 1982 Bundesminister für Forschung und Technologie. Er bezweifelte bald nach dem 11. September 2001, dass es islamistische Kämpfer waren, die die Flugzeuge in die New Yorker Wolkenkratzer gelenkt hatten. Die Anschläge seien in Wirklichkeit von der amerikanischen Regierung geplant gewesen, um konsequenter gegen Terroristen vorgehen zu können. Der CIA und der israelische Mossad hätten die Sache dann durchgeführt, die Flugzeuge ferngesteuert, die Hochhäuser von innen heraus gesprengt. Und von Bülow stand mit seiner Meinung nicht allein da.

Die Rolle der Geheimdienste

Geheimdienste, das liegt in der Natur der Sache, verschweigen viele ihrer Aktivitäten. Andreas von Bülow ist davon überzeugt, dass sie auch beim Tod von Uwe Barschel ihre Hand im Spiel hatten. Das war der schleswigholsteinische Ministerpräsident, der im Oktober 1987 in einem Genfer Hotel tot aufgefunden wurde. Selbstmord, sagen die offiziellen Ermittlungen. Mord, vermutet von Bülow. Demnach musste Barschel sterben, weil er zu viel über Waffengeschäfte des israelischen Geheimdienstes Mossad wusste.

Es gibt Verschwörungstheorien, aber es gibt auch jede Menge Verschwörungen. Julius Caesar ist einer zum Opfer gefallen, als er im Jahr 44 vor Christus ermordet wurde. Der Ku Klux Klan ist kein Gerücht, sondern eine immer noch aktive Organisation in Amerika, die um eine "weiße Weltherrschaft“ kämpft. Die Mafia lebt, neapolitanisch, russisch, vietnamesisch. Watergate – nichts anderes als eine Verschwörung. Und wie ist diese Geschichte? Am 31. August 1939 überfielen polnische Widerstandskämpfer den grenznahen deutschen Sender Gleiwitz und verkündeten in polnischer Sprache übers Radio die Kriegserklärung Polens gegen das Deutsche Reich. Wenige Stunden später verkündete Adolf Hitler: "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen“ – der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Später stellte sich heraus: Die Widerstandskämpfer waren in Wahrheit deutsche SS-Angehörige. Und die Toten, die hatte man aus dem KZ Sachsenhausen herbeigeschafft und im Senderaum schön drapiert. Das erste Opfer eines Krieges sei die Wahrheit, heißt es ja immer. Aber eigentlich wird sie schon vorher gemeuchelt.


Anne Buhrfeind ist Textchefin von "chrismon", dem evangelischen Monatsmagazin. Ihr  Artikel über Verschwörungstheorien  ist ursprünglich im Magazin "Junge Soldaten" der evangelischen Militärseelsorge erschienen.