Insolvenzverwalter: Hoffnung für Betriebe und Mitarbeiter

Insolvenzverwalter: Hoffnung für Betriebe und Mitarbeiter
Er ist Hoffnungsträger und Überbringer schlechter Nachrichten zugleich. Wenn er kommt, bedeutet es jedes Mal eine Zäsur, einen Einschnitt. Er räumt auf, ordnet, baut um und ja, entlässt auch Beschäftigte: der Insolvenzverwalter. Peer Jung, 36, evangelisch, ist einer von ihnen. Und gerade die Wirtschaftskrise beschert seiner Zunft neue Arbeit.
12.10.2009
Von Frauke Weber

Wenn bei Peer Jung das Telefon klingelt, kann sich auf der anderen Seite immer ein Richter eines Insolvenzgerichts melden und dem 36-Jährigen einen neuen Fall übertragen. Ist der Insolvenzantrag eingereicht, ist Jung zunächst vorläufiger Insolvenzverwalter. Dann sind seine Flexibilität und Schnelligkeit gefragt. Denn oft erfährt Jung während des Anrufs nur wenig über den insolventen Kunden. Den Namen des Unternehmens, die Branche, Geschäftsführer, manchmal auch die Zahl der Mitarbeiter, wer und warum den Insolvenzantrag stellte.

Am besten ist in dieser eigentlich misslichen Lage noch, wenn die Geschäftsführung oder der Eigentümer selbst den Antrag gestellt hat. "Dann zeigen die Betroffenen Einsicht und nehmen die Unterstützung durch einen Insolvenzverwalter an", sagt Jung aus seiner Erfahrung. Schwieriger wird es dagegen, wenn Finanzamt oder Krankenkassen den Antrag stellen, weil seit mehreren Monaten Steuervorauszahlungen oder Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr gezahlt wurden. In einem solchen Fall fehlt in der Firmenleitung oftmals die Einsicht.

Von Metallverarbeitung bis Medizintechnik

Die Stunden nach einem Anruf aus dem Gericht verbringt der gelernte Jurist in Gesprächen mit Managern oder Geschäftsführern, um sich einen ersten Überblick über die Situation zu verschaffen. Dabei spezialiert sich ein Insolvenzverwalter nicht auf eine konkrete Branche. Jung begleitet Betriebe von Metallverarbeitung bis Medizintechnik. Mit den Jahren hat er sich zwar einen gewissen Überblick über bestimmte Zweige erarbeitet. Aber viel wichtiger ist ihm sein Team, das im Hintergrund mit ihm und für ihn arbeitet. Jung ist bei der Kanzlei Kübler angestellt, die an bundesweit 28 Standorten 230 Mitarbeiter beschäftigt. Damit kann er auf enges, internes Netzwerk setzen.

In den ersten Tagen eines neuen Insolvenzfalls ist Jung fast ständig vor Ort im Unternehmen. Er ist derjenige, der den klaren Kopf behält, wenn der Geschäftsführung beispielsweise die Geldflüsse entglitten sind. Er verhandelt mit Banken, beruhigt Lieferanten und Kunden. Und er muss den Beschäftigten in die Augen schauen. Möglichst in den ersten Tagen als vorläufiger Insolvenzverwalter beruft Jung eine Betriebs- oder Mitarbeiterversammlung ein. Dabei bringen ihm die Angestellten eher selten Misstrauen entgegen, sondern im Gegenteil, sie sind froh, dass jetzt jemand da ist, der sich kümmert, ihnen Mut macht, der plant, organisiert, verhandelt und wieder für eine Perspektive sorgt - vielleicht. Diese Versammlung bezeichnet Jung als erste Klippe. Denn er braucht motivierte Mitarbeiter, die sich weiter für den Betrieb einsetzen. Dann kann es auch schon mal emotional werden, denn Versprechen kann ein Insolvenzverwalter nichts. Sprich: Auch wenn er es schafft, die Beschäftigten wieder aufzubauen, so kann es doch sein, dass am Ende Kündigungen stehen.

Ob es zu einem solchen Schritt kommt, wie es überhaupt weitergeht, dazu bleibt Peer Jung nicht viel Zeit. In der Regel hat er drei Monate, manchmal weniger. Der Zeitraum hängt mit der Zahlung des Insolvenzgeldes zusammen. Die Bundesagentur für Arbeit überweist die Gehälter für die Angestellten eben genau drei Monate. In diesem Vierteljahr kann ein Insolvenzverwalter zusammen mit der Geschäftsführung erste Schritte zur Sanierung und Umstrukturierung einleiten. Er kann dafür sorgen, dass ausstehende Geldbeträge eingetrieben, Prozesse umgestellt oder längere Zahlungsziele mit Lieferanten vereinbart werden.

Insolvenzverwalter haftet für Entscheidungen

Ob ein Gericht das Insolvenzverfahren letztlich eröffnet, hängt von zwei Faktoren ab: Ist ausreichend Masse (Geld, Vermögen, Immobilien, Maschinen) vorhanden, um die Kosten des Verfahrens bezahlen zu können? Und gibt es tatsächlich einen Insolvenzgrund, zum Beispiel Überschuldung. Lassen sich beide Fragen bejahen, geht es für einen Insolvenzverwalter erst richtig los. Im Insolvenzverfahren haftet er für jede seiner Entscheidungen. Wenn er Waren bestellt, muss er dafür gerade stehen, dass diese letztlich auch bezahlt werden. Gerade bei größeren Unternehmen und Verfahren kann es leicht um Millionensummen gehen.

Dann agiert er wie ein Unternehmer, freut sich über die Erfolge, ärgert sich über die Misserfolge. "Angst vor Verantwortung darf man natürlich nicht haben, man muss sich schon in den Sturm stellen, sonst ist man in dem Job falsch", sagt Jung. Ihn hat die Verantwortung, aber auch das Teamwork von Anfang gereizt. Jung ist in Wuppertal in einem evangelischen Unternehmerhaushalt aufgewachsen und mit kaufmännischen Grundsätzen groß geworden. Jung hat Jura studiert, wollte aber unbedingt unternehmerisch arbeiten – seit 2001 ist nun in der Insolvenzverwaltung tätig, seit 2006 als Insolvenzverwalter.

Am Anfang, so gibt er zu, schleppte er die Verfahren auch nach Feierabend mit sich. Gerade die Verbraucherinsolvenzen. "Der klassische Fall ist die alleinerziehende Mutter, vom Ex-Mann mit den Schulden sitzengelassen. Das geht einem dann schon nahe", sagt Jung. Doch mit der Zeit lerne man, nicht alles an sich ranzulassen – schon zu seinem eigenen Schutz. Seine in christlichen Werten verwurzelte Erziehung helfe ihm dabei, so Jung. "Diese Fälle erinnern einen daran, in welch glücklicher Lage man sich selbst doch befindet."