Beten für mehr Kindersegen?

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Beten für mehr Kindersegen?
Zu wenige Kita-Plätze, individualisierte Lebensläufe, eine Arbeitswelt, die hohe Mobilität fordert, erhebliche Trennungs- und Scheidungsraten: Das sind nur einige Gründe, die angeführt werden, wenn es um Erklärungen geht für die niedrige Geburtenrate in Deutschland. Aber gibt es auch einen Zusammenhang von Religiosität und Kinderzahl?
11.07.2014
evangelisch.de
Franziska Fink

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Haben wir weniger Kinder, weil es immer weniger religiöse Menschen gibt? Studien haben in der Tat belegt, dass religiöse Paare mehr Kinder haben als nicht-religiöse. Woran könnte das liegen? Zunächst wird davon ausgegangen, dass Familie und die Mutterrolle in Religionsgemeinschaften in der Regel einen hohen Stellenwert haben. Hinzukommt, dass Gläubige auf das soziale Netzwerk ihrer Gemeinden zurückgreifen können und damit auf emotionale und praktische Unterstützung bei der Familiengründung.

Schließlich hilft der Glaube, schwierige und neue Lebenssituationen zu meistern, wozu auch die Geburt von Kindern gehört. Entscheidend bei Umfragen war übrigens die Häufigkeit des Kirchgangs und nicht etwa die bloße Konfessionszugehörigkeit. Wer häufig in die Kirche geht, das ist die Ausgangs-These, der lebt aktiv seinen Glauben und ist  in einer Gemeinde eingebunden. Frauen, die regelmäßig zur Kirche gehen bekommen demnach also mehr Kinder.

Warum so niedrige Geburtenzahlen in religiösen Ländern?

Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass Länder, die als überdurchschnittlich religiös gelten, trotzdem im Vergleich niedrige Geburtenzahlen haben: Die Schlusslichter Europas bilden die katholischen Staaten Ungarn, Polen, Italien und Spanien. An der Spitze der Geburtenraten hingegen stehen Schweden, Island, Frankreich und Großbritannien - also ausgerechnet Länder, in denen der Glaube eine nicht so große Rolle spielt.

###mehr-links###Auf den ersten Blick ist das paradox. Warum gilt das, was auf Individuen zutrifft nicht auch für Länder? In der Forschung wurden zwei entscheidende Punkte für hohe Geburtenraten in westlichen Gesellschaften identifiziert: Die Vereinbarung von Familie und Beruf und die Bereitschaft von Vätern, Verantwortung zu übernehmen. In religiös geprägten Ländern, vor allem die mit katholischer Tradition, wird eine eher konservative Familienpolitik vertreten, die sich an traditionellen Geschlechterrollen orientiert. Frauen werden dort also noch immer als Hauptverantwortliche für die Kindererziehung gesehen und auch die institutionelle Kinderbetreuung wird eher skeptisch betrachtet.

"Kinder bekommen ist eine Dilemma-Entscheidung"

Auch das Familienbild bei uns in Deutschland ist - trotz der familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre - weiterhin konservativ, wie Michaela Kreyenfeld, Professorin für Soziologie an der Hertie School of Governance in Berlin, bestätigt: "Kinder bekommen und Beruf sind für Frauen einfach wenig vereinbar und nach wie vor eine Dilemma-Entscheidung." Zwar wurde in den letzten Jahren viel für Familien getan, trotzdem vermisst Kreyenfeld eine klare Linie: "In Deutschland gibt es ein Hin und Her in unterschiedliche Richtungen: Erst kam das Elterngeld, jetzt das Betreuungsgeld."

In Deutschland wird die Familienreform eher halbherzig durchgeführt.  "Man hat das Elterngeld eingeführt, der Kita-Ausbau geht ein wenig schleppend voran und das Einkommenssplitting wird überhaupt nicht mehr zur Diskussion gestellt."

Die zögerlichen Maßnahmen erklären auch, warum die deutschen Reformen vielleicht nicht so durchschlagend sind wie in anderen Ländern, wo Änderungen in der Familienpolitik radikaler durchgeführt wurden. "In Schweden wurde erst das Einkommenssplitting abgeschafft und dann das Elterngeld eingeführt", so Kreyenfeld. "Schweden hat auch einen anderen Arbeitsmarkt. Der Anteil von Frauen, die im öffentlichen Dienst arbeiten ist höher, weil dort Familie und Beruf deutlich besser vereinbar sind als in der Privatwirtschaft."

Kinderlosigkeit steigt an

Religiöser werden für mehr Kinder ist also per se nicht die Lösung. Zwar bekommen religiöse Menschen tendenziell mehr Kinder. Aber dass Einzelne mehr Kinder bekommen, gleicht noch lange nicht die niedrigen Geburtenraten auf Länderebene aus.

Schließlich ist auch insgesamt ein Anstieg der Kinderlosigkeit in Europa zu beobachten - und das gilt auch für religiöse Menschen! Immerhin bleiben laut dem European Social Survey 2006/07 in 40 Prozent von 22 untersuchten europäischen Ländern religiöse Frauen häufiger kinderlos als nicht-religiöse. So bekommen gerade in Westdeutschland viele Paare keinen Nachwuchs. Im europäischen Vergleich weist nur noch die Schweiz ähnliche Zahlen bei Kinderlosigkeit vor.

Wo also die Bedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht genügend vorhanden sind, werden häufig erst gar keine Kinder geboren oder eine späte Familiengründung sorgt dafür, dass es oft bei einem Einzelkind bleibt. Und das gilt für nicht-religiöse wie religiöse Menschen.